Kieferorthopädie in der Praxis

Bei Aplasie der zweiten Praemolaren sollte die Entscheidung, ob die Lücken kieferorthopädisch geschlossen oder mit Implantaten und Kronen versorgt werden, nicht davon abhängen, ob der Patienten primär einen Kieferorthopäden oder einen Implantologen aufsucht. Um sich richtig entscheiden zu können, müssen in jedem einzelnen Fall alle Für und Wider gegenübergestellt werden.

Bei meinem Patienten mit Nichtanlage von allen Fünfern waren die zweiten Milchmolaren frühzeitig verloren gegangen. Als er mit 18 Jahren eine Implantatversorgung mit anschließender Prothetik für die fehlenden Zähne durchführen wollte, war die okklusale Situation wenig zufriedenstellend. Es war mit der Zeit zu Zahnwanderungen in allen vier Quadranten gekommen, und der Raum im Bereich der Lücken hatte sich unterschiedlich stark verschmälert.

Im Bereich von 15 und 35 waren die Platzverhältnisse für eine prothetische Versorgung gerade noch ausreichend, aber der Raum im linken oberen Quadranten war vollständig verloren, und im rechten unteren Quadranten war der Sechser nach mesial in die Lücke gekippt. Auch hier fehlte Platz für ein Implantat. Der Patient kam daher mit dem Wunsch, seine Zahnfehlstellung korrigieren zu lassen, in meine Ordination.

Die kieferorthopädische Analyse ergab auf der rechten Seite im Molarenbereich eine Klasse-I-Verzahnung, 46 war nach mesial gekippt, die Eckzähne und Vierer standen vor der Fünferlücke in einer halben Klasse-II -Relation, und trotz des Deck- und Tiefbisses in der Front war der Biss seitlich offen. Links standen die Molaren in einer Klasse-II-Relation, die Lücke im Oberkiefer war geschlossen und im Unterkiefer offen.

„Eigentlich wäre es mir lieber, wenn Sie alle meine Lücken kieferorthopädisch schließen könnten", ließ mich der junge Mann, ein angehender Medizinstudent wissen. „Wenn ich schon eine Zahnspange benötige, will ich die Versorgung mit Implantaten und Kronen vermeiden. Als Student muss ich schließlich auch an die Behandlungskosten denken."

„Ein kieferorthopädischer Lückenschluss mit herkömmlichen Techniken ist in Ihrer Situation nicht möglich. Es würde Ihren Profilverlauf, der als noch zufriedenstellend bezeichnet werden kann, verschlechtern", musste ich den Patienten enttäuschen.

Dabei muss ich zugeben, dass sich mithilfe der heute schon routinemäßig verwendeten Minischrauben zur sklettalen Verankerung auch bei diesem Patienten ein Schluss aller Lücken erreichen lässt, ohne dass das Gesicht konkav wird.

Aber obwohl wir Kieferorthopäden dazu neigen, mit dieser neuen Behandlungstechnik Lücken an verschiedenen Stellen des Zahnbogens zu schließen, sprach in diesem Fall doch einiges gegen diese Behandlungsoption. 

„Sie sind ein sehr großer Mann, aber die Größe Ihrer Zähne ist unter dem Durchschnitt. Außerdem fehlen Ihnen außer allen Fünferen auch die Weisheitszähne. In Ihrer Situation sollte man die Zahnbögen nicht verschmälern und verkürzen. Weiters sind für den kieferorthopädischer Lückenschluss bei Ihrer Klasse II/2 mit tiefem Biss Miniimplantate zur Verankerung nötig, und Sie müssen mit einer sehr langen Behandlungsdauer rechnen. Wesentlich einfacher und effizienter sind Maßnahmen, die die Lücken nur im Oberkiefer schließen und im Unterkiefer für Implantate öffnen."

Der Patient war einverstanden. Zur Bißhebung klebte ich Aufbisse in der oberen Front palatinal. Die Lückenöffnung im Unterkiefer erfolgte mit Druckfedern und die Lücke bei 15 konnte mit Elastics geschlossen werden.

Die Zeit und Kosten, die er bei dieser Behandlungsoption sparte, investierte er unmittelbar in die prothetische Versorgung.

Primaria Dr. Doris Haberler

Aus Platzgründen können wir hier nicht alle Bilder darstellen. Die komplette Bildserie finden Sie in der Printausgabe der ZMT.