150 Jahre ÖGZMK: Die Geburt der wissenschaftlichen Zahnheilkunde

Vor 150 Jahren wurde die erste wissenschaftliche Gesellschaft zur Zahnmedizin in Österreich gegründet. Heuer wird gefeiert. Dr. Johannes Kirchner, Kustos des Wiener Museums für Zahnmedizin und Vorstandsmitglied des Wiener Zweigvereins der ÖGZMK, sprach über die Anfänge derselben und über die geplanten Feste zum Jubiläum.

Anfang des 19. Jahrhunderts waren Zahnärzte alles andere als angesehene Leute. Wissenschaftliche Ausbildung gab es so gut wie keine, der Großteil der Bevölkerung wurde von „Zahnbrechern" behandelt, und selbst in Ärztekreisen war die Spezialisierung auf Zahnmedizin so ziemlich das Letzte. Das zeigt sich nicht zuletzt in einer Aussage, die Dr. Moriz Heider seinem Lehrer Dr. Georg Carabelli gegenüber getätigt haben soll: „Ein honetter Mensch, der etwas gelernt hat, kann kein Zahnarzt werden."Carabelli sah das wohl etwas anders, war er doch nicht nur Hofzahnarzt der Habsburg-Lothringer, sondern auch Inhaber des einzigen Lehrstuhls für Zahnheilkunde in der K.u.K.-Monarchie Österreich-Ungarn. Er gilt auch als Begründer der wissenschaftlichen Zahnmedizin, nicht zuletzt, da er ein fundiertes „Systematisches Handbuch der Zahnheilkunde" verfasste.

Dr. Moriz Heider, erster Präsident
© Mag. Georg Reichlin-Meldegg

Der Österreicher in Berlin
Heider überwand offensichtlich seine Abneigung gegen die Zahnmedizin und bewies in der Folge, dass „honette Menschen, die etwas gelernt haben", die Zahnmedizin auch ein großes Stück weiterbringen können. Heiders Ruhm als Zahnarzt wurde so groß, dass er bei der Gründung des „Centralvereins deutscher Zahnärzte" (CVdZ) im Jahre 1859 in Berlin an die Spitze der neuen Institution gewählt wurde - trotz der damals noch immer oder schon wieder herrschenden Animositäten zwischen Preußen und Österreichern wenige Jahre vor dem „Deutschen Krieg". Beschlossen wurde damals auch, dass in den Ländern des Deutschen Bundes* Zweigvereine des Centralverbands gegründet werden sollten. Und so kam es am 11. November 1861 in Wien zur Gründung des Vereins der Österreichischen Zahnärzte, deren erster Präsident wenig überraschend wiederum Heider war.

Zu dieser Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts war das naturwissenschaftliche Wissen einerseits stark angewachsen, andererseits waren die verschiedensten Lehrmeinungen und zum Teil recht abenteuerliche Theorien im Umlauf. Viele Gebiete sahen die Notwendigkeit, das vorhandene Wissen zu erfassen, an die jeweiligen Kollegen zu vermitteln und nicht zuletzt die Theorien zu überprüfen. Kein Wunder, dass die medizinischen und naturwissenschaftlichen Gesellschaften fast wie Pilze aus dem Boden schossen.

Dr. Georg Carabelli, Hofzahnarzt
© Mag. Georg Reichlin-Meldegg

Im Zentrum die Wissenschaft
Gerade bei der Zahnheilkunde kam dazu, dass ihr Ansehen nicht sehr gut war. Heider setzte es sich zum Ziel, durch bessere Aus- und Fortbildung und Durchsetzen einer wissenschaftlichen Arbeitsweise nicht nur den Patienten zu besserer Behandlung zu verhelfen, sondern gleichzeitig auch das Ansehen der Disziplin zu heben. Er wetterte gegen mangelhafte Zitationen und Belege für Behauptungen in wissenschaftlichen Artikeln, las sich durch die damalige in- und ausländische Fachliteratur und redigierte selbst das neu gegründete Organ des CVdZ, die „Deutsche Vierteljahresschrift für Zahnheilkunde" bis zu seinem Tod. Diese Zeitschrift wurde nicht zuletzt deswegen neu begründet, weil die davor existierende Zeitschrift „Zahnarzt" für Heiders Geschmack zu populistisch und unwissenschaftlich war. Das führte nebstbei zu einer erbitterten Gegnerschaft zwischen dem Herausgeber des „Zahnarzt", Carl Wilhelm Ludwig Schmedicke, der ursprünglich an der Gründung des CVdZ beteil-igt war, aber schon kurz darauf austrat und einen Konkurrenzverein gründete.

Vom VÖZ zur ÖGZMK
Der CVdZ und der VÖZ setzten sich jedoch gegen alle Konkurrenten durch und wurden auch nach der Auflösung des Deutschen Bundes die wichtigsten zahnärztlichen wissenschaftlichen Gesellschaften in ihren jeweiligen Ländern. Wobei der VÖZ in ganz Österreich aktiv war, Bundesländervereine gründeten sich erst nach und nach.

Die Wirren zweier Weltkriege, in denen so mancher Bürger ohne Ortswechsel in seinem Leben auf mehrere Staatszugehörigkeiten kam, und die jeweiligen Nachkriegswehen inklusive der Erfindung des Dentistenberufs (nicht zuletzt, um dem Zahnärztemangel Herr zu werden), aber auch die nach dem Zweiten Weltkrieg immer rasanter werdende Entwicklung der medizinischen Möglichkeiten führten zu einer Reihe von Vereinen und Gesellschaften, die sich der zahnärztlichen Wissenschaft und/oder Fortbildung verschrieben.

Schließlich wurde der Wildwuchs an verschiedensten Vereinen so groß, dass erneut der Ruf nach einer Koordinierung und Vereinheitlichung laut wurde. 1977 wurde bei einem zahnärztlichen Kongress in Kärnten beschlossen, eine Österreichische Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ÖGZMK) als Nachfolgeorganisation des VÖZ zu gründen und alle Lokalvereine unter diesem Dachverband zusammenzufassen. Der ursprüngliche VÖZ wurde zum Zweigverein Wien. Jedes Bundesland sollte seinen Zweigverein erhalten, in dem möglichst die gesamten Aktivitäten hinsichtlich Wissenschaft und Fortbildung vereint sein sollten.

Die Fülle an Spezialisten
Das gelang im Großen und Ganzen erstaunlich gut. Zwar bestand das eine oder andere Bundesland auf seinem „alten" Namen, zwar ließen es sich andere Organisationen nicht nehmen, Fortbildungen außerhalb der ÖGZMK anzubieten, doch in Zusammenarbeit mit der damaligen Bundesfachgruppe in der Ärztekammer und vielen anderen Vereinen gelang es, ein einheitliches System zu schaffen und nicht zuletzt die Veranstaltungen zu koordinieren, womit es den Zahnärzten möglich wurde, mehr Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen. Auch die Dentisten wurden in die ÖGZMK eingebunden, denn der Vorwurf, sie würden ja nur handwerklich und nicht wissenschaftlich arbeiten, ließ sich nicht halten.

Die Spezialisierung macht der Einheit heute wieder einen Strich durch die Rechnung. Gesellschaften wie jene für Parodontologie, Implantologie, Endodontie, Kieferorthopädie und so weiter sind einerseits notwendige Erweiterungen im größer werdenden wissenschaftlichen Feld, andererseits aber leidet wieder die Koordination der Fortbildungsveranstaltungen und deren Termine unter der Fülle der Gesellschaften und ihrer Kongresse und Symposien. Dazu kommen noch Einladungen von Firmen, von denen viele, aber nicht alle, interessante und wissenschaftlich fundierte Informationen bieten, die aber nicht immer mit den wissenschaftlichen Gesellschaften zusammenarbeiten. Dennoch bleibt die ÖGZMK die zentrale wissenschaftliche Gesellschaft, ist sie doch auch das Dach für die vielen spezialisierten Fachgesellschaften und eine Reihe von Arbeitsgemeinschaften.

Internet: www.oegzmk.at

Livia Rohrmoser

* Der Deutsche Bund war eine politische Vereinigung der deutschsprachigen Staaten. Das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland war damals noch eine Ansammlung von Königreichen, (Groß-)Herzog- und (Kur-)Fürstentümern und Hansestädten. Die größten Reiche des Deutschen Bundes waren das Königreich Preußen, das Kaiserreich Österreich und das Königreich Bayern.

 

So wird gefeiert:
Das 150-jährige Jubiläum wird sich wohl durch die gesamten Aktivitäten der
ÖGZMK im heurigen Jahr ziehen. Einige Höhepunkte sind eine Donaureise im Mai, der Zahnärztekongress im September und ein Fest im November.
Unter dem Titel „Fortbildung im Zug der Zeit - 150 Jahre ÖGZMK" (27.-29. Mai) wird nach einer Eröffnungsveranstaltung im Rahmen des 43. Wachauer Frühjahrssymposium in Krems zu einer Schifffahrt nach Wien und einer Abendveranstaltung im Palais Ferstl geladen. Weiter geht es am Samstag mit der Teilnahme am OCMR-Kongress „Weisheitszahn - Freund oder Feind?", anschließend per „Majestic Imperator Train" zunächst nach Bratislava/Pressburg und abends weiter nach Budapest. Am Sonntag findet die Abschlussveranstaltung gemeinsam mit der ungarischen Schwestergesellschaft und die Rückkehr mit dem „Majestic Imperator Train" nach Wien statt. Genaue Informationen unter http://www.oegzmk.at/pdfs/oegzmk150inf.pdf

Anlässlich des Österreichischen Zahnärztekongresses vom 22. bis 24. September in Villach wird Dr. Johannes Kirchner eine kleine Ausstellung zur Geschichte der ÖGZMK kuratieren, zu deren Besuch nicht nur Kongressteilnehmer herzlich eingeladen sind.

Und schließlich feiert die ÖGZMK am 14. November bei der Herbsttagung in Rust, fast genau am Tag ihrer Gründung.

Dr. Johannes Kirchner, Kustos des Wiener Museums für Zahnmedizin