Orale Leukoplakie: Harmlose Schleimhautveränderung oder gefährliche Präkanzerose?

Orale Schleimhautveränderungen werden - besonders wenn es sich um diskrete, kleinräumige und schmerzlose Läsionen handelt - oft erstmals als Zufallsbefund im Rahmen einer zahnärztlichen Kontrolluntersuchung festgestellt.

Zu den häufigsten zählen dabei weißliche, im Gegensatz zu Cadidamycosen nicht abzustreifende Flecken auf der Mucosa der Mundhöhle. Diese entstehen durch übermäßige Verhornung der äußeren Gewebsschichten und erhalten ihre weiße Farbe durch Verquellung der abgestoßenen keratinisierten Zellen. Laut WHO werden diese Leukoplakien definiert als vorwiegend weiße Plaques, welche weder klinisch noch pathologisch einem anderen Krankheitsbild zuzuordnen sind. Die orale Leukolakie im engeren Sinne versteht sich als reizunspezifische, aber gewebsspezifische Reaktion des Mucosaepithels mit vermehrter Verhornung.

Dieser Prozess erscheint zunächst harmlos, dennoch stellen bestimmte Formen der Leukoplakie Präkanzerosen mit einem malignen Entartungsrisiko von bis zu 30% dar. Das Erkennen, die richtige Einschätzung und die frühzeitige Abklärung derartiger Läsionen haben deshalb in der Zahnarztpraxis hohe Priorität.

Betroffen sind vorwiegend Personen im mittleren und höheren Lebensalter mit einem Gipfel zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr, wobei Leukoplakien bei Männern mehr als doppelt so häufig auftreten wie bei Frauen. Die bevorzugten Lokalisationen sind Wange, harter Gaumen, Unterlippe und Zunge.

Ursachen und Formen der Leukoplakie
Die Diagnostik der oralen Leukoplakie und die rechtzeitige Intervention umfassen mehrere Schritte: Zunächst sind differenzialdiagnostisch ähnlich imponierende Läsionen auszuschließen. Dazu gehören Verätzungen, Lichen planus, pseudomembranöse Candidiasis und Friktionskeratosen.

Wichtig für die Abklärung des möglichen malignen Potenzials ist die Unterscheidung zwischen der vorläufigen und der definitiven Diagnose einer Leukoplakie. Was bedeutet dies nun für die Praxis: Zahlreiche Verhornungsprozesse der Mundschleimhaut sind lokale Reaktionen auf bestimmte Reize, welche nach Ausschalten der ätiologischen Faktoren ohne jegliche weitere Therapie abklingen. An erster Stelle steht also eine exakte Anamnese zur Auffindung der Ursache für die Läsion. Sehr häufig sind dies mechanische Reize, wie sie durch schlecht sitzende Zahnprothesen, überhängende Füllungen, scharfe Kanten abgebrochener Zähne oder Kauen auf der Wangenschleimhaut auftreten. Hierzu zählt auch die Stomatitis elektrogalvanica, welche zu Mundschleimhautverhornung durch Interferenzen unerschiedlicher Metallfüllungen der Zähne entsteht. Typische Verhornungsprozesse an den Lippen kennt man bei bestimmten Berufsgruppen, wie Schneidern, wenn etwa Nadeln im Mund festgehalten werden. Physikalische Reize entstehen durch Hitze (typische Schleimhautveränderungen bei Glasbläsern). Chemische Noxen sind in erster Linie auf erhöhten Tabak- und Alkoholgenuss zurückzuführen. Neben diesen exogenen irritativen Reizen kommen in selteneren Fällen auch Infektionen durch Papillomaviren, besonders der Gruppe 16, sowie lang bestehende Candidiasis und letztlich auch die HIV-Infektion hinzu. Endogene irritative Leukoplakien entstehen durch angeborene Dyskeratosen, Leukoplakien über vorbestehenden, submucösen Fibromen, Leukodermien, hyperplastischen und granulomatösen Mycosen, aber auch durch Hypovitaminosen, wie Vitamin A, C, ß-Karotin, Riboflavin sowie Zink- und Selenmangel.

Nach Abklärung eines möglichen Auslösers muss dann nach Eliminierung der Noxe die Läsion engmaschig bis zum völligen Abklingen kontrolliert werden. Ist die Ursache nicht zu beseitigen oder kommt es auch nach Ausschalten der Noxen zu keinem Abklingen des Verhornungsprozesses, müssen weitere therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden.

Ein wichtiger Stellenwert hinsichtlich der Möglichkeit einer malignen Transformation kommt auch der Lokalisation und dem morphologischen Typ der Leukoplakie zu. Es gibt sogenannte High-risk-Zonen mit Tendenz zur Entwicklung schwerer Zelldysplasien, nämlich den Mundboden, die lateralen Zungenränder, die dorsale Wangenschleimhaut und den weichen Gaumen. Fast 50% der Leukoplakien sind homogene Läsionen, der Rest verteilt sich auf noduläre und erosive Formen, wobei Letztere einer sofortigen Intervention bedürfen, da ihr malignes Entartungspotenzial bei immerhin 23% liegt. Für proliferative verruköse Leukoplakien beschrieben Zakrezwska et al. 1996 die Entwicklung eines invasiven oralen Carcinoms in einem Zeitraum von 7,7 Jahren bei 70,3% der betroffenen Patienten.

Histopathologische Diagnose persistierender Prozesse
Die histologische Bestimmung der Dignität einer Läsion mittels Stanzbiopsie ist hier unbedingt erforderlich. Zu oberflächlich entnommene Gewebsproben sollten vermieden werden, da mögliche invasive Prozesse sonst nicht sicher ausgeschlossen werden können. Ein cytologischer Abstrich kann lediglich eine Infektion des leukoplakischen Areals durch Candidahyphen nachweisen, ersetzt aber, da hier nur Oberflächenzellen zur Ansicht kommen, nicht die histopathologische Untersuchung. Ebenso ist es wichtig, auch Gewebsmaterial aus dem Randbereich einer verdächtigen Läsion zu entnehmen, da besonders bei malignen Prozessen das Gewebe zentral oft zu Nekrosen neigt und damit die Beurteilbarkeit der Probe eingeschränkt wird.

Für die Gefahr einer malignen Entartung ist vor allem der Schweregrad der Zelldysplasie von Bedeutung. Der Großteil der homogenen Leukolakien zeigt histologisch Hyper-ortho-, zeitweise auch -parakeratose und ausgeprägte Akanthose ohne epitheliale Dysplasie. Subepithelial findet man häufig ein diskretes, gemischt entzündungszelliges Infiltrat. Eine vollständige chirurgische Entfernung kleinerer, gut umgrenzter Schleimhautveränderungen sollte dennoch angestrebt werden. Ist die vollständige Entfernung der Läsion nur schwer oder gar nicht möglich, sollte sie regelmäßig in kurzen Abständen (3-4 Monate) kontrolliert werden.

Inhomogene Leukoplakien stellen wegen ihrer fast obligaten Assoziation mit Zelldysplasien stets ein hohes Risiko dar und sind prinzipiell als Präkanzerosen zu werten. Es kommt hier zum Verlust normaler Epithelreifung und Stratfizierung. Es besteht die Gefahr eines Übergangs zu einem Carcinoma in situ und in der Folge zur Entstehung eines invasiven Plattenepithelcarcinoms. Mittelgradige und schwere Dysplasien haben ein Entartungsrisiko von 30%. Begünstigt wird die Transformierung zu malignen Tumoren durch anhaltenden Tabakkonsum. Aromatische Kohlenwasserstoffe und Nitrosamine des Tabaks haben außerdem synergistische Eigenschaften mit Alkohol. Daneben spielen chromosomale Abberationen eine Rolle, welche eine verstärkte Aktivierung von EGFR und des Enzyms Telomerase, welches den natürlichen Zelltod verhindert, bewirken.

Therapie oraler Leukoplakien
Bei umschriebenen Läsionen, besonders bei inhomogenen und veruccösen Formen, ist die chirurgische Exzision mit Abtragung im Gesunden das Mittel der Wahl. Kryochirurgie und Laserentfernung stellen prinzipiell Alternativen dar, sind dem konventionellen chirurgischen Eingriff aber unterlegen, da das entfernte Gewebe nicht mehr histopathologisch untersucht werden kann. Bei den eher seltenen multifokalen und sehr ausgedehnten Leukoplakien kann eine chirurgische Entfernung schwierig werden. Alternativ wurden hier Behandlungen mit Vitamin A, welches die Differenzierung epithelialer Gewebe beeinflusst, diskutiert. Der Einsatz ist aber wegen der hohen Toxizität und der massiven Nebenwirkungen nur bedingt möglich. Bestimmte aromatische Retinoide und Bleomycin bringen Verbesserungen, und bei egfr-Gen-Abberationen sind Therapien mit EGFR-Kinaseinhibitoren möglich.

Eine frühe Diagnose und Intervention können spätere Komplikationen mit großflächigen Läsionen in jedem Fall weitgehend vermeiden.

Ch. Eder, L. Schuder