Säuren und orale Gesundheit - Gastroösophagealer Reflux und Essstörungen in der zahnärztlichen Praxis

Schäden an Zähnen und der oralen Mukosa können unterschiedliche Ursachen und Auslöser haben. Neben bakterieller, fungaler und viraler Genese sind nicht selten mechanische oder chemische Noxen für orale Läsionen mitverantwortlich. Endo- und exogen applizierte Säuren führen in Abhängigkeit von ihrer Konzentration zu Verschiebungen des Speichel-pH-Wertes und zu Verätzungen der Zahnhartsubstanz und der Schleimhäute.

Zu den bekanntesten mikrobiellen Säurebildnern der Mundhöhle zählen die Kariesbakterien Streptococcus mutans und Lactobacillus, welche als saccharolytische Keime durch den Abbau von Zucker aus Nahrungsmitteln nicht nur einen niedrigen pH-Wert erzeugen, sondern in diesem sauren Milieu     durch ihre Fähigkeit, über Effluxmechanismen den eigenen intrazellulären pH-Wert aufrechtzuerhalten, überleben.
Exogen zugeführte Säuren führen meist zu Verätzungen an der Mukosa. Dies geschieht durch regelmäßigen Genuss sehr saurer Nahrungsmittel oder durch Einnehmen von unverdünntem Essig zur Beschleunigung der Verdauung zur Gewichtsreduktion. Aber auch lokale Applikation von salicylathaltigen Tabletten kann ein Aspirin-Ulkus oder „Aspirin burn“ induzieren. Hierbei entsteht durch lokale Positionierung der analgetischen Tablette zwischen Wange und Zahn eine Verätzung des oberflächlichen Epithels. Dieses verfärbt sich weiß, wird abgehoben, darunter zeigen sich seichte Ulzerationen, welche nach Entfernung der Noxe rasch abheilen und meist keiner weiteren Therapie bedürfen.

GERD – ein unabhängiger Risikofaktor für chronische Parodontitis

Wenn die im Magen gebildete Salzsäure über längere Zeiträume immer wieder in die Mundhöhle gelangt, führt dies zu ausgeprägten Läsionen bevorzugt an der Zahnhartsubstanz. Dies geschieht bei regelmäßigem Erbrechen, wie im Rahmen von Essstörungen, aber auch bei schwerem gastroösophagealem Reflux (GERD). GERD ist mit einer Prävalenz von 10–20 % in den westlichen Ländern eine durchaus häufige Erkrankung. Die Folgen sind neben chronischer pharyngealer Mukositis, respiratorischen Problemen und Heiserkeit auch Entzündungen und Ulzerationen der Mundschleimhaut und der Gingiva. Untersuchungen an Patienten mit schwerem GERD und gleichzeitig bestehender chronischer Parodontitis ergaben einen signifikanten Zusammenhang hinsichtlich der Progression und Schwere beider Erkrankungen. Durch gastroösophagealen Reflux kommt es aus bisher ungeklärter Ursache zu einer deutlichen Verminderung der Salivation. Nun hat der Speichel neben zahlreichen Abwehrfunktionen, wie der Bildung von IgA, Lysozym, Speichelperoxidase und Lactoferrin, eine wichtige stabilisierende Wirkung auf den intraoralen pH-Wert. Aber gerade diese hier so notwendige Pufferwirkung gegen die Salzsäure des Magens ist nun vermindert; Zahnschmelz und Mukosa sind den H+Ionen schutzlos ausgesetzt. Zusätzlich entstehen durch die mangelnde Ummantelung von harten Nahrungsbestandteilen durch muzin-haltigen Speichel ständig kleine Verletzungen der Schleimhaut, welche dann wiederum Angriffsflächen für potenziell pathogene Mikroorganismen bilden. Aufeinander abgestimmte parallele Therapien von Refluxerkrankung und chronischer Parodontitis zeigten in Studien deutlich bessere Effekte als isolierte Behandlungen der jeweiligen Krankheitsbilder.

Essstörungen und orale Läsionen

Die Zunahme von Essstörungen mit induziertem Erbrechen macht ein spezielles Eingehen auf diese Problematik in der Zahnarztpraxis notwendig. Da bei Bulimie meist bereits im Frühstadium der Erkrankung typische orale Läsionen auftreten, kommt dem  Zahnarzt bei der ersten Verdachtsdiagnose eine wichtige Rolle zu. Essstörungen werden von den betroffenen Patienten häufig negiert oder geleugnet. Daher erfordert es großes Einfühlungsvermögen beim Ansprechen der Erkrankung und individuelle wertfreie Beratung zur Vermeidung schwerer Folgeschäden. Der erbrochene Speisebrei hat einen durchschnittlichen pH-Wert zwischen 2,9 und 5 und führt so zu Verätzungen des Zahnschmelzes und des darunter liegenden Dentins. DasAusmaß der entstehenden Schäden korreliert mit der Häufigkeit des Erbrechens und der Dauer der bulimischen Erkrankung. Die Läsionen haben typische Lokalisationen und werden als „Perimolysis“ bezeichnet. Im Oberkiefer sind vor allem die okklusalen und palatinalen, nicht jedoch die bukkalen Flächen involviert. Im Gegensatz dazu findet der Zahnarzt im Unterkiefer die Erosionen eher bukkal und okklusal, während die lingualen Zahnflächen durch die Zunge geschützt sind. Die Schäden werden durch das bei Bulimikern häufige aggressive Putzen der Zähne unmittelbar nach dem Erbrechen verstärkt. Die durch die Säure aufgeweichte Zahnoberfläche wird dabei zusätzlich mechanisch abradiert.
Ähnlich wie beim gastroösophagealen Reflux induziert der veränderte  pH-Wert auch hier eine Reduktion der Speichelproduktion mit allen bereits genannten negativen Folgeerscheinungen. Zusätzlich kommt es durch das Erbrechen und den häufigen Laxanzienmissbrauch zu einer Dehydratation, welche ihrerseits die Xerostomie verstärkt.

Protektive Maßnahmen bei Patienten mit Essstörungen

An erster Stelle steht eine nicht immer leicht zu erzielende Bereitschaft des Patienten zur Therapie der  Grunderkrankung. Unabhängig davon muss der Zahnarzt im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchen, die oralen Folgeschäden so gering wie möglich zu halten. Dazu gehören mechanische Abdeckungen von Schäden mit einer Kompostschicht. Zur Abschwächung der Säureeinwirkung sind Fluoridspülungen und das Auftragen von Fluoridgel auf die Zähne sowie eine mindestens 4x jährliche Versiegelung der Zähne mit Fluoridlack auf Polyurethanbasis geeignet. Für restaurative Versorgungen sind bei Bulimikern metallische Materialien resistenter gegen Erosionen als reine Composites. Spezielle Kaugummis können den reduzierten Speichelfluss anregen. Die Recall-Intervalle müssen den speziellen Anforderungen angepasst werden.
Insgesamt ist jedoch immer eine ganzheitliche Lösung anzustreben, da bei Weiterbestehen der Essstörungen die Prognose für die orale Gesundheit als eher schlecht einzustufen ist.    

Unter Mitarbeit von Dr. L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER

FA für Pathologie und
Mikrobiologin
mailto://eder.gasometer@chello.at