Komplementäre Maßnahmen: Vor- und Begleitbehandlung zur Schienentherapie

Aufbiss-Schienen sind die wichtigste Maßnahme eines Zahnarztes bei Problemen mit dem Kiefergelenk und der Kaumuskulatur. Sie dienen auch dazu, eine akzeptable Bisslage und auslösende Störfaktoren zu finden. Wenn die Bissnahme richtig ist, funktioniert fast jede der zahlreichen Schienenarten, die es gibt – wenn nicht anders möglich auch ohne Begleittherapie.

Komplementäre Maßnahmen können die Bissnahme ermöglichen oder erleichtern und den Therapieerfolg beschleunigen und optimieren, sie sind immer sinnvoll. Thema dieses Artikels sind einfache Maßnahmen für Zahnärzte, um Bissnahme oder Einschleifen auch bei stark verspannten Patienten durchführen zu können, wenn einmal keine Kooperation mit Osteopathen oder Physiotherapeuten möglich ist, zum Beispiel bei akuter Öffnungseinschränkung mit Schmerzen und starker Verspannung.

Akutmaßnahmen in der Praxis
MR Dr. Eva-Maria Höller

Recoil-Technik des Pterygoideus lateralis:
Man gleitet mit dem kleinen Finger entlang des Alveolarfortsatzes bis hinter den Tuber und drückt den Finger langsam und unter leichter Drehung in den verspannten Muskel hinein. Diese Position wird etwa 90 Sekunden gehalten, dabei spürt man, dass der Muskel etwas weicher wird. Dann lässt man plötzlich los und zieht den Finger zurück. Diese Technik ist schmerzhaft, aber die Patienten merken danach sofort eine Erleichterung und der Mund geht weiter auf.
Wenn wir ein paar Tage Zeit haben: warme Umschläge und Übungen für die Patienten, um die am stärksten verspannten Muskeln zu entspannen.
Sinnvolle Ergänzung: Lymphtropfen, z.B. Lymphdiaral oder Lymphomyosot, 3x15 Tropfen.
Beides sind homöopathische Mischungen mit Tiefpotenzen von Mitteln, die den Lymphabfluss fördern. Lymphomyosot enthält Fucus vesiculosus (Blasentang) und soll daher nicht bei Schilddrüsenüberfunktion verwendet werden. Wie bei allen Homöopathika ist ein Abstand zum Essen einzuhalten (mindestens 10 Minuten vor, eine Stunde nach dem Essen oder auch ohne Nahrungsaufnahme).

Beißen auf Watterollen oder Gelkissen (ev. Aqualizer):
Dies soll eine muskulär geführte Lage durch Ausschalten der Zahnkontakte ermöglichen.
Dauer: 10–20 Minuten, reicht aber bei starker Verspannung nicht aus, um eingeübte Muster zu deprogrammieren.

Myomonitor, TENS-Geräte:
Die Elektroden werden im Masseterbereich und im Nacken angelegt. Es soll zu Muskelzuckungen ohne Zahnkontakt kommen. Dauer etwa 20 Minuten.
Für Patienten unangenehm, im Praxisbetrieb störend.

Akupunktur:
Der allgemeine Entspannungspunkt aus der Akupunktur wäre Leber 3 am Vorfuß – sehr effektiv, aber für uns Zahnärzte nicht sonderlich praktisch. Genauso wirksam, für uns aber weniger problematisch ist ein Sonderpunkt nach Dr. Jochen Gleditsch: beidseits 1 cm unter dem Mundwinkel. Klassischerweise wird beidseits eine Nadel gesetzt, gelegentlich leicht gedreht, soll mindestens 10 Minuten liegen. Mutige stechen durch die Lippe bis zum Periost durch; die Technik klingt brutal, ist aber nicht wirklich schmerzhaft.

Alternativen:

• Klebekristalle (Swarovski Tattoo), leichtes Massieren verstärkt die Wirkung.
• Mini-Anästhesiedepot (0,2 ml) an der Mundschleimhaut gegenüber dem Akupunkturpunkt – eine Technik aus der Mundakupunktur – tolle allgemeine Entspannung!
• Mundakupunktur im Retromolarbereich: Kleine Quaddelkette hinter dem Weisheitszahngebiet von lingual schräg nach bukkal – etwa 1,5 cm weit. Fünf bis sechs Quaddeln à 0,2 ml Lokalanästhetikum.

Auch wirksam:

• Ohrakupunktur – etwas schwieriger zu erlernen, mehrere Nadeln kombinieren.
• Schädelakupunktur nach Körber: beidseits 1 cm paramedian von der Stirn bis zur Scheitelhöhe palpieren, Nadel setzen, wo eine deutliche Verhärtung zu spüren ist. Der Bereich für Kopf/Kiefergelenk und Halswirbelsäule befindet sich oben am Kopf (Akupunkturzonen GG20-21).

Homöopathie
Der große Vorteil der Homöopathie ist ihr fast unmittelbarer Wirkungseintritt. Das klassische Entspannungsmittel ist Magnesium phosphoricum. Der Magnesiumanteil wirkt entspannend auf die Muskulatur, der Phosphoranteil wirkt angstlösend. Das Mittel kann ungetestet aufgrund der Symptomatik verwendet werden, es gibt keine nennenswerten Nebenwirkungen.
Empfohlene Anwendung zur Bissnahme:
• Magnesium phosphoricum D6-Tabl. (Schüßler Salz Nr. 7) – 2 bis 3 Tabl.
• Magnesium phosphoricum D12- Globuli – fünf Stück
• Magnesium phosphoricum D30 – fünf Stück
Man kann die Mittel nacheinander im Abstand von 10 Minuten bis zum Wirkungseintritt geben oder als Potenzakkord unmittelbar hintereinander. Stark verspannte Patienten nehmen oft schon längere Zeit Magnesium, können dies aber offenbar nicht richtig aufnehmen oder verwerten. Magnesium phosphoricum überwindet Aufnahmebarrieren und ermöglicht auch wieder die Aufnahme des stofflichen Magnesiums.

Begleitbehandlung:
Magnesium phosphoricum D6-Tabl, 2x2, oder
Magnesium phosphoricum D12, 2x5 Globuli täglich oder
Magnesium phosphoricum D30, 2x5 Globuli pro Woche, jeweils 6 bis 8 Wochen.
In diesem Fall werden die Mittel nicht gleichzeitig eingesetzt, Anfänger ohne homöopathische Erfahrungen können sie aber nacheinander einsetzen. Magnesium phosphoricum kann auch gleichzeitig mit orthomolekularem Magnesium oder im Wechsel damit eingesetzt werden.
Wer sich mit Homöopathie auskennt oder einen Homöopathen zuziehen kann, dem stehen auch Konstitutionsmittel zur Verfügung (Typmittel in D30 oder D12), häufig hilft z.B. das stabilisierende Silicea.

MR Dr. EVA-MARIA HÖLLER
Zahnärztin und Kieferorthopädin in Wien
Schwerpunkt: Komplementärverfahren
Gerichtlich beeidete Sachverständige mit Zusatzbezeichnungen
Kieferorthopädie und Komplementärverfahren
ordi.hoeller@aon.at 

 

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Die Begleitbehandlung zur Schienentherapie
Dr. Eva Meierhöfer

Wir alle wünschen uns Patienten, die für ihre Gesundheit selbst Verantwortung übernehmen, und die Patienten freuen sich, wenn sie das Gefühl haben, selbst auch etwas tun zu können, um ihrem Wohlbefinden näher zu kommen. Die Begleitbehandlung zur Schienentherapie bietet hier gute Möglichkeiten.
Zu diesen Therapien, zu deren Erfolg der Patient durch sein konsequentes Dranbleiben maßgeblich beiträgt, gehören in meiner Praxis z.B. die orthomolekulare Medizin, die Magnetfeldtherapie und die nach Prof. Roccabado modifizierten Kiefergelenksübungen.
Die orthomolekulare Medizin ist angewandte Biochemie, deshalb wird sie auch in klassisch schulmedizinischen Behandlungen immer mehr integriert. Die American Association of oral and maxillofacial surgeons empfiehlt sie nicht nur als Begleitbehandlung für jede Kiefergelenkstherapie, sondern auch zur Unterstützung bei allen Kiefergelenksoperationen.
Dabei gibt es verschiedene Komponenten, aus denen sich die Begleitbehandlung zusammensetzt: Die erste ist die Oxidationsprophylaxe. Freie Radikale entstehen natürlicherweise im Körper und sind an sich nichts Schlechtes, da sie bei der Abwehr von Bakterien und Viren eine wichtige Rolle spielen. Doch wie immer macht die Menge das Problem. Entstehen durch äußere Einflüsse wie Stress, Rauchen, falsche Ernährung etc. zu viele freie Radikale, wird das für die Neutralisierung freier Radikale verantwortliche Enzymsystem überlastet und der oxidative Stress kann zu eingeschränkten Zellfunktionen oder Zelltod durch Membranschäden, DNA-Schäden, Inaktivierung von Enzymen, verminderte Bildung körpereigener Eiweiße und  Zerstörung von Rezeptoren an der Zelloberfläche kommen. Deshalb ist es wichtig, die für eine gute Enzymfunktion notwendigen Elemente wie Zink, Mangan, Selen in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, vor allem aber auch die sogenannten Antioxidantien. Die bekanntesten sind hier Vitamin C als wasserlösliches Vitamin und Vitamin E als fettlösliches Vitamin. Beide sind in der Lage, Elektronen abzugeben, um nicht gebrauchte freie Radikale zu neutralisieren und den Stress im Körper so zu reduzieren.
Auch Coenzym Q10 ist als wichtiges Antioxidans hier zu nennen. Neben dieser Wirkung spielt es auch bei der Energiegewinnung in unseren Mitochondrien eine ganz essenzielle Rolle. Nur im ausreichend mit Coenzym Q10 versorgten Gewebe laufen die Zellfunktion und die metabolischen Aktivitäten optimal ab.
Die zweite Komponente sind  Omega-3-Fettsäuren. Werden sie in ausreichender Menge regelmäßig zugeführt, haben sie eine entzündungshemmende und schmerzstillende Wirkung, da die daraus im Stoffwechselprozess gewonnene Eicosapentaensäure (EPA) einen positiven Einfluss aus den Prostaglandinstoffwechsel hat. Zudem halten sie Zellmembranen flexibel, wodurch dort ein guter Stoffwechsel zwischen intra- und extrazellulärem Raum erst ermöglicht wird.
Sind bereits Schäden an den knöchernen Strukturen des Kiefergelenks aufgetreten, wird auch Calcium und Vitamin D empfohlen. Neben der Unterstützung des Calciumeinbaus in den Knochen kann diese kombinierte Gabe auch noch weitere positive Effekte auf die Kiefergelenksbehandlung haben. Durch den Calciumspiegel wird auch die Sauerstoffverwertung in der Zelle und darüber der Energiehaushalt und die Muskelkraft gesteuert. Ausreichende Calciumaufnahmen  können Muskeln entkrampfen. Für all das ist ein stabiler Calciumspiegel sinnvoll, der nur im Zusammenspiel mit Vitamin D erzielt werden kann.
Eine weitere wichtige Komponente der Kiefergelenksbehandlung ist der Komplex der B-Vitamine, das konnte in einer Studie von Dr. Volkmann und Prof. Winzen gezeigt werden.  In dieser Untersuchung wurden die Gelenkbahn und die Kieferöffnung computergestützt vermessen. Dabei  stellte sich heraus, dass bereits eine kleine auf die Zunge applizierte Menge Vitamin-B-Komplex in einem Sekundenphänomen zu einer weiteren Mundöffnung und einer harmonischeren Gelenksöffnungsbewegung führt. Noch weiter verstärkt werden konnte sie, indem dem Komplex Zink und Mangan zugefügt wurde. Zink unterstützt die Gewebsneubildung und reduziert die Gelenkschwellung und Steifheit, wie aus der Rheumabehandlung bekannt ist. Mangan-Enzyme unterstützen den Aufbau von Kollagen und sind damit für eine gute Knochen- und Knorpelbildung unerlässlich. Bei längerer Einnahme zeigt sich eine Stabilisierung dieses Sekundenphänomens.
Nicht jeder braucht alles! „Unsere Nahrungsmittel sollen unsere Heilmittel und unsere Heilmittel unsere Nahrungsmittel sein!“, sagte bereits Hippokrates. Viele der hier beschriebenen Orthomolekularia können wir aus der Nahrung beziehen und teilweise sogar selbst synthetisieren. Doch gerade wenn gesundheitliche Probleme auftreten, ist zu überprüfen, ob nicht Mängel vorliegen, die durch Substitution ausgeglichen werden sollten. Dies kann am besten mittels Blutanalysen oder über Testverfahren wie die Applied Kinesiology/funktionelle Myodiagnostik  bestimmt werden. Das Ziel sollte jedoch immer sein, nach Auffüllen von entsprechenden Mängeln wieder zur Aufnahme über die Nahrung zurückzukehren. Bei den Orthomolekularia an sich ist auf eine hypoallergene Herstellung naturidenter Reinsubstanzen zu achten.
Darüber hinaus setze ich die Magnetfeldtherapie in meiner Praxis ein. Durch die Anwendung niederfrequenter pulsierender Magnetfelder kommt es zur Beeinflussung des Membranpotenzials einzelner Zellen. Bei Optimierung dieses Potenzials erhöht sich die Permeabilität (Durchlässigkeit) der Zellwand, wodurch der Austausch an der Zellmembran, also der Stoffwechsel der Zelle, verbessert wird. Die Nährstoffe, die wir also zuführen, gelangen besser an ihren Wirkungsort. Auch der Sauerstofftransport wird verbessert und verbrauchte Stoffe werden schneller aus der Zelle abtransportiert.
Die zweite positive Auswirkung einer Behandlung mit Magnetfeld ist die regulative Wirkung über das Vegetativum.  Bei Patienten mit Kiefergelenksfehlstellungen liegen in fast allen Fällen auch eine Stresskomponente und stark verspannte Muskulatur vor. Schon aus diesem Grund ist eine optimale Zuordnung des Oberkiefers zum Unterkiefer, bei der auch gesamtorthopädische Auswirkungen berücksichtigt werden sollten, nur sehr schwer möglich. Hier können bei regelmäßiger Anwendung durch MFT gemeinsam mit manueller Therapie eine Entspannung der Gesamtmuskulatur und ein Ausgleich sympathischer und parasympathischer Phasen erreicht werden. Bei Nutzung direkt vor der Bissnahme kann eine wesentlich verbesserte myozentrische Bissnahme erzielt werden.
Auch in akuten Schmerzsituationen mit Mundöffnungsblockaden kann nach Einsatz von Applikatoren, die direkt aufs Kiefergelenk gerichtet sind, eine messbar verbesserte  schmerzfreie Mundöffnung – im Durchschnitt um 10% Verbesserung  – mit jeder Anwendung erzielt werden. Der Einsatz kann in der Praxis, aber auch durch den Patienten selbst in seiner häuslichen Umgebung erfolgen.
Dass Myopathien oft einen großen Anteil an Kiefergelenksproblemen haben, beschrieb  Dr. Roccabado in seinen wissenschaftlichen Arbeiten. Gemäß dem Ausspruch von Goodheart „When bowns and mussels fight, bowns never win“,  versuchte Roccabado mittels einfacher Muskelübungen, die der Patient selbstständig zu Hause durchführen kann, die Situation im Kiefergelenk zu verbessern. Die positiven Auswirkungen dieser Übungen lassen sich  bei regelmäßiger, konsequenter Anwendung sogar im MRT nachvollziehen. Das Neue an den modifizierten Übungen ist, dass nicht mehr für alle Patienten dieselben Übungen verwendet werden, sondern je nachdem, was wir durch den Funktionsstatus an Ergebnissen finden und an Fehlfunktionen ermitteln konnten werden für den Patienten individuell aus einem Pool von Übungen diejenigen ausgewählt, die in der individuellen Ausgangslage des Patienten zu einer Verbesserung seiner Kiefergelenkssituation führen. In meiner Arbeit hat es sich bewährt, die Übungen mit dem Patienten zu trainieren, beim Kontrolltermin auch seine Fortschritte zu verzeichnen und gegebenenfalls eingeschlichene Fehler zu korrigieren. Damit der Patient eine Gedächtnisstütze für zu Hause hat, bekommt er einen speziell dafür angefertigten Folder mit Erklärung der modifizierten Roccabadoübungen in Bild und Schrift mit nach Hause.
Durch diese Begleitbehandlungen hat der Patient die Möglichkeit, sich aktiv in seine Behandlung einzubringen. Ein Patient, der uns durch Einnahme seiner Substitution und auch entsprechende Ernährung, durch regelmäßige Anwendung der Magnetfeldtherapie und durch konsequentes Training seine Motivation zeigt, erzielt nicht nur viel schneller und bessere Erfolge, es macht uns als Ärzten auch viel mehr Spaß, mit ihm zu arbeiten.

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at

Isometrischer Muskelaufbau nach Roccabado