Rechtsfragen - Aufklärungspflicht über Lokalanästhesie:

Haftet der Zahnarzt trotz Lege-artis-Behandlung für unvermeidliche nachteilige Folgen, wenn er den Patienten vor dem Eingriff über das später schicksalhaft verwirklichte Risiko nicht aufgeklärt hatte und sich der Patient auch bei vollständiger Aufklärung für den Eingriff – allerdings im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes – entschieden hätte?

In einer dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegten Causa beschäftigte sich dieser mit der Aufklärungspflicht hinsichtlich der Verabreichung von Lokalanästhesie: Eine Patientin unterzog sich – bei einem niedergelassenen Zahnarzt – einer operativen Entfernung ihrer vier Weisheitszähne. Im Zuge der kunstgerecht durchgeführten Entfernung der Weisheitszähne kam es durch eine Injektionsnadel, mit der die Lokalanästhesie verabreicht wurde, zu einer Nervenläsion, der linke nervus lingualis der Patientin wurde völlig anästhesiert und diese litt in der Folge an einer über Monate andauernden Nervenlähmung sowie Gefühlsempfindungsstörungen.
Im Rahmen des Gerichtsverfahrens stellte sich heraus, dass die Patientin vom behandelnden Zahnarzt weder über die Möglichkeit einer stationären Operation zur Entfernung der Weisheitszähne noch über die Risiken der Operation, insbesondere dass die Injektionsnadel, mit der die Lokalanästhesie verabreicht wird, einen Nerv treffen oder ein Taubheitsgefühl verursachen könnte, aufgeklärt wurde.
Die Patientin behauptete schließlich im Gerichtsverfahren, dass sie bei „genauer Aufklärung über die Folgen", insbesondere über die typischerweise auftretenden Nervenverletzungen mit vielmonatigem Taubheitsgefühl, die Operation zur Entfernung ihrer vier Weisheitszähne dennoch – allerdings während eines stationären Aufenthaltes in einem Krankenhaus – durchführen hätte lassen. Damit hätte sie sich auch bei vollständiger Aufklärung demselben Risiko, nämlich einer trotz Lege-artis-Behandlung eingetretenen Nervenläsion, ausgesetzt.
Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der behandelnde Arzt nicht nur Diagnostik, sondern auch Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Der Patient muss in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung über die Diagnose und die darauf folgenden medizinischen Behandlungsweisen durch den Arzt.
Ist ein Eingriff nicht dringlich, so muss der Arzt den Patienten auch auf allenfalls bestehende Behandlungsalternativen, beispielsweise auch auf die stationäre Behandlungsalternative statt des ambulanten Eingriffs, hinweisen. Dabei sind Vor- und Nachteile, verschiedene Risiken, verschieden starke Intensitäten der Eingriffe, differierende Folgen, Schmerzbelastungen und unterschiedliche Erfolgsaussichten gegeneinander abzuwägen.
Grundlage für einen Schadenersatzanspruch des Patienten gegen den behandelnden Arzt wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist nicht, dass der ärztliche Eingriff fahrlässig bzw. nicht fachgerecht durchgeführt wurde, sondern dass er überhaupt vorgenommen wurde und ursächlich für den Schaden des Patienten war.
Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu der ärztlichen Behandlung erteilt hätte.
Der Oberste Gerichtshof führte in seiner Entscheidung aus, dass ambulante und stationäre Behandlungen nicht gleichartig seien. Bei Entfernung der Weisheitszähne im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes wäre die Komplikation durch Beschädigung des Nervs – selbst wenn sie auch dort aufgetreten wäre – besser beherrschbar gewesen als bei Vornahme des Eingriffs durch den niedergelassenen Art (der bei Auftreten von Komplikationen am Wochenende nach dem Eingriff schwerer erreichbar ist). Die sofortige Behandlung der Schmerzzustände hätte auch zu kürzeren Schmerzperioden der Patientin geführt. Im gegenständlichen Fall hätte der behandelnde Zahnarzt das entscheidende Gericht davon überzeugen müssen, dass die Patientin auch bei vollständiger Aufklärung den Eingriff im Rahmen einer ambulanten anstelle einer stationären Behandlung hätte durchführen lassen.
Dieser Beweis ist dem betroffenen Zahnarzt allerdings nicht gelungen, da das Gericht davon überzeugt war, dass die Patientin bei genauer Aufklärung über die Folgen des ambulanten Eingriffs die Operation aufgrund der besseren Beherrschbarkeit der Komplikation und schnelleren Behandlungsmöglichkeit während eines stationären Krankenhausaufenthalts hätte durchführen lassen.
Der behandelnde Arzt wurde wegen der Verletzung der Aufklärungspflicht zur Zahlung eines Schadenersatzbetrages für die von der Patientin erlittenen – über die mit der Entfernung der Weisheitszähne zu erduldenden hinausgehenden – Schmerzen verpflichtet.
Der niedergelassene Zahnarzt haftet daher aufgrund eines Aufklärungsfehlers für nachteilige Folgen einer Lege-artis-Behandlung, wenn der Patient die Behandlung zwar auch bei vollständiger Aufklärung vornehmen hätte lassen, sich für deren Durchführung aber im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes entschieden hätte, bei dem Komplikationen im Vergleich zu einem ambulanten Eingriff besser beherrschbar sind.

Mag. Regina Krahofer
Rechtsanwaltsanwärterin
in St. Pölten
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