6. ARGE-MED-Kongress: Arzthaftung und Wohlfahrtsfonds diskutiert

Der sechste ARGE MED-Kongress eröffnete dem Fachpublikum neue Zahlen zur Situation der zivil- und strafrechtlichen Arzthaftung in Österreich. So hat sich die Anzahl an Schadenersatzforderungen in den letzten fünf Jahren verdreifacht.

Die Zahl an strafrechtlichen Verfolgungen ist sogar noch stärker gestiegen. 2012 war generell das Jahr mit den meisten Anspruchsfällen gegen Ärzte. Auch die Höhe der Haftungssummen steigt kontinuierlich, in Einzelfällen schon über die gesetzliche Pflichtsumme von zwei Millionen Euro. Die Statistiken, die auf dem sechsten ARGE MED-Kongress präsentiert wurden, sprechen eine klare Sprache: Die Anzahl der zivilrechtlichen Inanspruchnahmen gegen österreichische Ärzte, insbesondere Schadenersatzforderungen, hat sich im Zeitraum 2007 bis 2012 verdreifacht. Die Zunahme der Häufigkeit von strafrechtlichen Anzeigen und Verfolgungen wird im Vergleichszeitraum von den Experten sogar noch höher eingeschätzt. Die Wahrscheinlichkeit, als Arzt oder Zahnarzt in einem bestimmten Jahr Adressat von zivil- oder strafrechtlicher Verfolgung zu werden, orten die Experten derzeit bei 5%. Das würde etwa zwei Klagsfällen in einem durchschnittlichen Ärzte-Berufsleben entsprechen.
„Die Zahlen sind im internationalen Vergleich noch gering, aber die Tendenz ist stark steigend. 2012 war das Jahr mit den bisher meisten Anspruchsfällen. Österreichs Ärzte müssen gemäß dieser Entwicklung in den nächsten Jahren mit einer starken Zunahme an Klagsfällen rechnen. Vergleicht man die internationalen Statistiken, liegt sogar rund ein Haftungsfall alle ein bis zwei Jahre im normalen Bereich", kommentiert Mag. Marcel Mittendorfer, Obmann der ARGE MED die Sachlage.

Klagssummen werden höher

Neben der Häufigkeit steigt auch die Höhe der Klagssummen. Beträge in Millionenhöhe sind zwischenzeitlich keine Einzelfälle mehr. Dies ist außerhalb der Expertenkreise kaum bekannt, denn diese Causen finden aufgrund außergerichtlicher Einigung nicht den Weg in eine breitere Öffentlichkeit. Die gesetzlich vorgegebene Pflichtsumme von zwei Millionen Euro erachten die Experten als zu gering und empfehlen, zur Absicherung von Großschäden, unbedingt höhere Versicherungssummen abzuschließen. Die höchsten standardtariflichen Angebote für die Arzthaftpflicht gehen derzeit bis 10 Millionen Euro. Eine Aufstockung verursacht nur geringe Aufschläge auf die Prämien, die international verglichen in Österreich ohnehin - noch - recht niedrig ausfallen. Für eine optimale Absicherung sei aufgrund der Komplexität der Sachlage die Beratung durch einen auf die Berufsgruppe der Ärzte spezialisierten und vor allem unabhängigen Versicherungsmakler unumgänglich. Nur das gebe die Sicherheit, dass der Berater über den jeweils aktuell optimalen Versicherungsschutz informiert ist, so die Experten.

Anstellung schützt vor Klage nicht

Ein weiteres Problemfeld wurde am ARGE MED Kongress diskutiert: Die aktuelle Statistik zeigt, dass zwei von drei der höchsten Schadenersatzforderungen gegen angestellte Ärzte erhoben wurden. Ein Arbeitsverhältnis als angestellter Krankenhausarzt wird irrtümlicherweise noch immer als automatischer Schutz vor persönlichen Haftungsklagen angesehen.
Mittendorfer dazu: „Angestellte Ärzte unterliegen hohen persönlichen Haftungsansprüchen. Häufig sind Entscheidungen in Akutsituationen blitzschnell zu treffen. Dass der verantwortliche Arzt für allfällige negative Konsequenzen persönlich haftet, ist vielen nicht (ausreichend) bewusst. Denn der Haftungsschutz, den Krankenhäusern ihrem ärztlichen Personal bieten, ist beschränkt. Mitunter steht der Arzt im Klagsfall alleine da bzw. findet sich vor Gericht neben dem Patienten mitunter noch seinem Arbeitgeber bzw. dessen Haftpflichtversicherer gegenüber." Die Experten empfehlen daher, auch als angestellter Arzt immer einen eigenen Versicherungsschutz und damit eigene anwaltliche Vertretung  zu haben.

Strafrechtsschutz für jeden Arzt ein Muss

Ohnehin immer persönlich ist die Haftung des Arztes im Strafrechtsfall, völlig unabhängig von einer angestellten oder selbstständigen Tätigkeit. Der Gefährdungsgrad steigt hier sogar für Führungskräfte, also Oberärzte, Primare oder ärztliche Leiter. Mittendorfer: „Entgegen einem häufigen Irrtum ist die Arzthaftpflicht für die Verteidigung in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder im Strafverfahren nicht zuständig." Dafür ist ein spezieller Ärzte-Strafrechtsschutz erforderlich. „Die Arzthaftung manifestiert sich in finanziellem Schadenersatz und in potenzieller Haftstrafe. Typische strafrechtliche Anzeigen erfolgen wegen Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. Ein Spezial-Ärztestrafrechtschutz ist unumgänglich, um bei strafrechtlicher Verfolgung sofort professionellen Rechtsbeistand an der Seite zu haben. Jede Berufsabsicherung ist daher unvollständig, sofern sie nicht sowohl Haftpflicht als auch Strafrechtsschutz angemessen berücksichtigt. Noch ist das aber in der Ärzteschaft nicht der Standard".

Gute Nachrichten aus dem Wiener Wohlfahrtsfonds

Positives gab es von den Vorsorgeeinrichtungen der Ärzteschaft zu berichten. DDr. Claudius Ratschew, stv. Vorsitzender des Wiener Wohlfahrtsfonds, berichtete in seinem Vortrag über die Aktualität und Leistungsfähigkeit des Wohlfahrtsfonds für die Ärzte- und Zahnärzteschaft. Dessen Hauptvorteil sei der Sozialcharakter, vergleichbar mit der gesetzlichen Pflichtversicherung. Nach wichtigen Reformen steht der Wiener Wohlfahrtsfonds sehr sicher und ertragreich da. Wie Sozialversicherung, Wohlfahrtsfonds und private Absicherungen in Zukunft optimal kombiniert werden sollten, wurde in einer abschließenden Fachdiskussion von DDr. Ratschew mit Branchenvertretern erörtert.
Mag. Marcel Mittendorfer, Obmann
der ARGE MED