Antibiotika in der Zahnheilkunde/Teil 1: Antibiotika in Prävention & Therapie

Viele odontogene Infektionen erfordern zur optimalen Sanierung eine systemische oder lokale unterstützende Therapie mit antibiotischen und/oder antimykotischen Substanzen.

Dazu gehören aggressive und therapierefraktäre Verlaufsformen von Parodontitis, akut ulzerierende Entzündungen von Gingiva und Parodontium ebenso wie periapikale Abszesse, Pericoronitis und Periimplantitis. Zahnfleisch -und Zahnbetterkrankungen bei Problempatienten wie Diabetikern, Immunsupprimierten und Patienten mit schweren konsumierenden oder chronischen Erkrankungen bedürfen dabei einer gezielten Erregerabklärung zur Erfassung sämtlicher beteiligter - auch atypischer - Keime. Auch retinierte infizierte Zähne oder infizierte Wurzelreste und Zysten können Streuherde oral-pathogener Keime sein. Prinzipiell unterscheidet man zwischen therapeutischer und prophylaktischer Gabe von Antibiotika im Rahmen zahn- und kieferchirurgischer Interventionen, wobei es aber immer wieder, besonders bei Patienten mit parodontalen Läsionen, Überschneidungen gibt.

Die prophylaktische Antibiotikagabe hat immer dann zu erfolgen, wenn eine durch zahnärztliche Maßnahmen hervorgerufene Bakteriämie für den betroffenen Patienten eine ernsthafte Gefahrenquelle darstellt. Eine Bakteriämie wird im Rahmen sämtlicher oralchirurgischer Eingriffe, besonders bei längerer Dauer des Eingriffs, ausgelöst. Dazu gehören beispielsweise Wurzelspitzenresektionen, Zystenoperationen, Weich- und Hartgewebe-Augmentationen, Eingriffe in der Kieferhöhle und die Setzung von Implantaten. Andererseits können im Rahmen schwerer Entzündungen von Gingiva und Parodontium bereits durch geringfügige Manipulationen wie professionelle Mundhygiene beträchtliche Keimmengen in die Blutbahn geraten. Diese Gemische aus aeroben, fakultativ und obligat anaeroben Keimen persistieren im Blut gesunder Menschen für etwa 45 Minuten. Danach werden sie bei normaler Immunlage von den intravasalen neutrophilen Ganulozyten phagozytiert und eliminiert. Versagen allerdings diese Mechanismen der Immunabwehr, können sie zu Auslösern schwerer Erkrankungen werden.
Die Notwendigkeit einer prophylaktischen Antibiotikagabe orientiert sich daher an verschiedenen Parametern: der Dauer und Invasivität des geplanten Eingriffs, dem Kontaminationsrisiko, welches aus der vorbestehenden individuellen Keimbelastung resultiert, und möglichen Grunderkrankungen des betroffenen Patienten.

Kardiale Risikopatienten sind besonders durch orale Keime gefährdet

Nach vorausgegangenen Erkrankungen wie infektiöser Endokarditis, Insuffizienz oder Prolaps der Mitralklappe,  nach Klappenoperationen, Klappenersatz, bei angeborenen Herzfehlern, auch im Zustand nach palliativer Operation oder bei residualen Herzfehlern sowie bei Conduits und  Gefäßprothesen sollte vor allem bei zahnärztlich-chrurgischen Eingriffen immer eine prophylaktische antibiotische Abschirmung erfolgen. Es besteht hier sonst akute Gefahr der Auslösung einer bakteriellen Endokarditis. Besonders parodontalpathogenen Keimen kommt hier Bedeutung zu. Weiters kann es ohne antibiotischen Schutz zu einer Besiedelung endoprothetischer Shunts oder Herzschrittmachersonden kommen. Die Keime können im schlimmsten Fall metastasische Absiedelungen in Gehirn, Leber, Milz und Pleura bilden.
Eine prophylaktische bzw. präventive Antibiotikagabe erfolgt hier meist in Form einer 1-Shot-Gabe vor dem Eingriff. Dauert die Intervention länger als drei Stunden, ist eine weitere Dosis zu empfehlen. Die Dosierungen der Wirkstoffe orientieren sich an den Richtlinien der New York Heart Association. Sie  betragen für normalgewichtige Erwachsene: 2g Amoxicillin oder 2g Cephalexin oder - bei Penicillinallergie - alternativ 600mg Clindamycin oder 500mg Clarythromycin, jeweils ca. eine Stunde vor dem Eingriff.
Ähnlich ist die Empfehlung der DGZMK mit 3x 750 mg Amoxicillin eine Stunde vor dem chirurgischen Eingriff und optional einer Einzelgabe von 750mg sechs Stunden nach der Operation. Die Dosierungen für Clindamycin und Clarythromycin sind ident mit jenen der NYHA. Zusätzlich wird hier noch, alternativ zu Penicillin, die Gabe von 1g Cefuroxim vor der Intervention empfohlen.

Erhöhte Risiken durch Bakteriämie bei oral-pathogenen Mikroorganismen

Zur Diskussion stehen prophylaktische Antibiotikagaben bei Patienten mit Gelenksendoprothesen. Odontogene Keime spielen bei Infektionen dieser Prothesen zwar eine untergeordnete Rolle, sind aber doch bei immerhin bis zu 15% der Fälle mitbeteiligt. Besonders bei Risikopatienten mit rheumatischen Gelenkserkrankungen oder bei zu erwartender massiver Bakteriämie  ist ein antibiotischer Schutz sehr zu empfehlen.
Antibiotikagaben zur Prävention des Gesamtorganismus benötigen auch Patienten mit  geschwächtem Immunsystem bei hämatologischen Erkrankungen, wie Leukämien, Neutropenie und angeborener oder erworbener Immunschwäche. Ebenso können Cytostatikatherapien oder  Langzeitgaben von Cortison die körpereigene Abwehr reduzieren und bei Bakteriämien schwerwiegende systemische Infektionen auslösen. Parallel zu prophylaktischen Antibiotikagaben sollten hier auch Antimykotika (Amphotericin B) verabreicht werden, um opportunistische Pilzinfektionen von vornherein zu vermeiden.
Ein weiterer Risikofaktor ist die Bisphosphonattherapie bei Patienten mit schwerer Osteoporose oder Knochentumoren/-metastasen. Eingriffe ohne begleitende Antibiose erhöhen hier beträchtlich das Risiko der gefürchteten Kiefernekrose. Ganz ähnlich ist auch die Situation bei Patienten während oder auch langfristig nach Radiatio im Kopf- und Halsbereich.
Bei sämtlichen Indikationen ist natürlich die 1-Shot-Gabe nur als unmittelbare Schutzmaßnahme während des zahnärztlichen Eingriffes zu sehen. In vielen Fällen wird das Infektionsrisiko des Gesamtorganismus in Zusammenhang mit einer bestehenden bakteriell/fungal bedingten oralen Erkrankung stehen. Dies ist immer der Fall bei parodontalchirurgischen Eingriffen, Inzisionen von Abszessen, Osteomyelitis des Kieferknochens oder bei der Entfernung infizierter Zysten. Dann ist abzuwägen, ob die perioperative Abschirmung nicht parallel mit einer die Therapie unterstützenden Antibiose durchgeführt werden sollte. In vielen Fällen wird nur eine gezielte Antibiose in Abhängigkeit von Keimspektrum und Resistenzmuster der Erreger zum gewünschten Therapieerfolg führen.

Ch. Eder, L. Schuder