Fallbericht: Kieferorthopädie in der Praxis

Wie schon öfter vor Wahlen wurde auch diesmal die „Gratiszahnspange für alle Kinder“ versprochen. Aber kaum jemand glaubt, dass diese Ankündigung auch wirklich umgesetzt wird, denn das würde, wie jeder weiß, zu einem starken Anstieg an kieferorthopädischen Behandlungen führen und die Kosten in die Höhe schnellen lassen.

Um dem entgegenzuwirken überlegen die zuständigen Gesundheitspolitiker nun zahlreiche Einschränkungen, wie zum Beispiel eine Altersobergrenze von 18 Jahren und Regelungen, die eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen an Apparate koppelt und mit einer Dauer von drei Behandlungsjahren limitiert, sowie niedrige Gebühren für kieferorthopädische Therapien in eigenen Einrichtungen.
In der Praxis werden solche Maßnahmen aber jene benachteiligen, die kieferorthopädische Behandlungen für ihre Mundgesundheit am dringendsten benötigen. Ich denke dabei an Patienten, die zur Rehabilitation des Gebisses orthognath-chirurgische Eingriffe oder Implantatversorgungen benötigen.
Ihre Therapie startet häufig erst mit Ende des Wachstums. Auch für Spaltträger, deren kieferorthopädische Betreuung mit dem ersten Lebenstag beginnt und meist erst im Erwachsenenalter endet, sind, weil Art und Ausmaß der kieferorthopädischen Behandlung sehr individuell erfolgen müssem, Indices, die das Krankheitsbild bewerten, vorteilhafter.

Fallbeispiel Ich möchte dazu einen Patienten mit beidseitiger, vollständiger Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vorstellen. Die kieferorthopädische Behandlung begann mit dem Tag der Geburt. Der Patient trug im Oberkiefer eine Abdeckplatte. Diese hatte die Aufgabe, Mundraum und Nasenraum zu trennen. Durch ein korrektes Adaptieren der Platten wurden das Wachstum und die Entwicklung der Kiefersegmente gesteuert. Als Teil eines Teams von Spezialisten war ich dafür verantwortlich, dass die Verzahnung am Ende ästhetisch ansprechend und funktionell zufriedenstellend hergestellt war. Dazu waren jahrelang regelmäßige Kontrollen nötig, damit, konform mit dem chirurgischen Behandlungskonzept, die notwendigen kieferorthopädischen Maßnahmen zum geeigneten Zeitpunkt durchgeführt wurden. Das machte mich als Kieferorthopädin neben dem Kieferchirurgen zum wichtigsten Ansprech- partner für Eltern und Kind.
Viel ärztliche Zuwendung war nötig und eine Vielzahl von Fragen musste beantwortet werden, damit sich die Betroffenen mit ihren Ängsten nicht alleine gelassen fühlten. Schließlich musste ich dafür sorgen, dass der Patient nicht übertherapiert wird und für die aktive Behandlungszeit motiviert bleibt.
Trotzdem teile ich nicht die Meinung jener, die glauben, dass Spaltträger besser in speziellen Ambulanzen betreut werden. Erfahrungsgemäß kommt es dort häufig zum Wechsel der Behandler und der Behandlungskonzepte, was sowohl das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten als auch die Effizienz der Gesamtbehandlung beeinträchtigt.
Schließlich war, wie bei jeder kieferorthopädischen Behandlung, für den Erfolg die Motivation und die Mitarbeitsbereitschaft meines Patienten ausschlaggebend. Es wäre zu wünschen, dass diese Leistungen auch entsprechend abgegolten werden.

Primaria Dr. Doris Haberler


Bilderserie zum Fallbeispiel:

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