Zahnschmelzhypoplasien: Ursachen und Folgen für die orale Gesundheit

Unterentwicklungen oder sogar partielles Fehlen des Zahnschmelzes sind Strukturanomalien durch unvollständige Anlage oder Störungen während der Amelogenese mit Schädigung des Schmelzorganes.

Die Ursachen liegen in einer peri- oder postnatalen Störung der Verkalkung des Schmelzes während der Mineralisationsphase der betroffenen Zähne oder in einer Funktionsstörung der Ameloblasten, welche zu Strukturanomalien der organischen Matrix und zu teils schweren Missbildungen der Zahnkronen führen kann. Die Anlage der Milchzähne erfolgt im vierten Schwangerschaftsmonat, deren Mineralisation wird ca. elf Monate postpartal abgeschlossen. Das Dauergebiss folgt in Anlage und Mineralisation etwas später, die Mineralisation beginnt hier im dritten postpartalen Monat, die Keime für die Weisheitszähne werden erst im vierten bis fünften Lebensjahr angelegt. In diesen sensiblen Phasen kann es durch unterschiedliche Auslöser zu einer Fehlfunktion der Ameloblasten und daraus resultierend zur Bildung minderwertigen Schmelzes kommen.

Im Elektronenmikroskop findet man eine wirbelartige Desorientierung der Kristallstrukturen mit Mikrofurchenbildungen und kleinsten verzweigten Kanälchen, welche das Schmelzgefüge durchziehen und auflockern. Hypoplastischer Schmelz hat eine erhöhte Porosität und einen vermehrten Karbonatgehalt bei gleichzeitiger Reduktion von Kalzium und Phosphat.

Ätiologie der Schmelzdefekte
Es lassen sich genetische Ursachen, endogene Störungen und exogene Noxen unterscheiden. Die häufigste genetische Ursache ist die je nach Untergruppe auf unterschiedlichen Einzelgenmutationen beruhende Amelogenesis imperfecta, die regional verschieden mit Häufigkeiten zwischen 1:1400 (USA) bis 1:800 (Schweden) auftritt. Der Gendefekt wird teils autosomal, teils X-Chromosomen-gebunden vererbt und manifestiert sich sowohl in quantitativen als auch qualitativen Schmelzbildungsstörungen. Die normale Ausbildung des Zahnschmelzes durchläuft drei Stadien:
1. die Entstehung der extrazellulären Matrix
2. die Matrixmineralisation
3. das Wachstum der Kristallite und die Reifung des Schmelzes

Ist eines dieser Stadien gestört, kommt es zu Dys- oder Hypoplasien des Schmelzes. Häufig liegen Defekte in den Matrixproteinen Amelogenin und Enamelin vor. Die vier Hauptgruppen der Amelogenesis imperfecta sind: der hypoplastische Typ, der Hypomaturationstyp, der Hypokalzifikationstyp sowie ein sehr seltener Typ mit partieller Unreife, Unterverkalkung und Taurodontismus. Es sind auch Fälle von Kombinationen mit Störungen der Dentinbildung im Sinne einer Odontogenesis imperfecta bekannt.

Auch andere genetische Defekte können als Begleitleiden meist generalisierte Schmelzdefekte bedingen. Dazu gehören das Sabouroud-Syndrom, das Downsyndrom, Muocopolysaccharidosen, das Ehlers-Danlos Syndrom und Albrights hereditäre Ostedystrophie. Stoffwechseldefekte, hormonelle Störungen wie Hypothyreoidismus und Hypoparathyreoidismus sowie pränatale Infektionen der Mutter und frühkindliche schwere Infekte schädigen den Zahnkeim. Bei lokalisierten und auch generalisierten Infektionen können Bakterien über Gefäße in die Zahnanlage eindringen und den Zahn schädigen. Mangel- und Hungerperioden in der Kindheit bedingen deutliche Schmelzunterentwicklungen an den Zähnen, ein Phänomen, das in anthropologischen Untersuchungen vor- und frühgeschichtlicher Populationen gut dokumentiert ist.

An exogenen Noxen kennt man die Schädigung durch Pharmaka, wie etwa Tetrazyklin, aber auch ein zu hoher Fluoridgehalt des Trinkwassers kann zu Hypokalzifikation führen. Lokalisierte Schmelzdefekte entstehen durch mechanische Traumata am Milchzahn und daraus resultierender Schädigung des in Entwicklung befindlichen permanenten Zahnes.

Vitamin-D-Mangel verursacht Mineralisationsdefizite
Die häufigste Ursache für schwere Schmelzhypoplasien war im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Volkskrankheit Rachitis, bedingt durch schweren Vitamin-D-Mangel im ersten Lebensjahr. Die erste Beschreibung der daraus resultierenden Zahnschmelzdefekte erfolgte durch Adolph Zsimondy, einem aus Pressburg stammenden Zahnarzt. Er beschrieb symmetrische, in der Zahnzirkumferenz angeordnete Grübchen oder bandförmige Schmelzdefekte, bevorzugt an den ersten Molaren und den Incisivi, seltener an den Prämolaren und den zweiten Molaren. In schweren Fällen dokumentierte er auch flächenhafte Hypoplasien bis zu Schmelzaplasien. Bis zum 1. Weltkrieg traten derartige Veränderungen bei 18% der Bevölkerung auf.

Interessant ist, dass heute besonders in nördlichen Ländern gehäuft milde Formen von Schmelzhypoplasien auftreten. Sie manifestieren sich als weißlich bis gelbliche oberflächliche Transluminiszenzen mit feinen Schmelzabsplitterungen. Als Ursache werden einerseits fieberhafte Infekte in der Kindheit angenommen, vermehrt aber auch eine zu lange Brusternährung mit einem daraus resultierenden Vitamin-D-Mangel der Mutter und damit niedrigerem Vitamin- D-Gehalt der Muttermilch.

Schmelzhypoplasie begünstigt Karies
Problematisch werden derartige Defekte vor allem durch die erhöhte Gefahr kariöser Läsionen. Zwar besteht an den betroffenen Zähnen primär keine erhöhte Disposition, eine Karies zu entwickeln, aber im Falle einer bereits beginnenden Karies werden das Fortschreiten und die Entstehung tiefer Läsionen deutlich begünstigt. Die Karies ist ja ein exogener Prozess, welcher initial durch das Bakterium Streptococcus mutans ausgelöst wird. Die Aufrechterhaltung und Progression wird dann von Keimen wie Lactobacillus sp., Bifidobakterium sp., Atopobium sp. und Candida betrieben. St. mutans bildet Laktat, welches zunächst Kalzium aus dem Hydroxylapatit des Schmelzes herauslöst; das Schmelzoberhäutchen verquillt und im Bereich der keimhaltigen Plaque entstehen kreidige, oberflächliche Rauigkeiten. Bei einer vorbestehenden Schmelzhypoplasie wird dieser Primärprozess überflüssig, da die oberflächlichen Strukturen bereits gestört sind und der Kalziumgehalt erniedrigt ist. Wichtige Voraussetzungen für die Entstehung einer Dentinkaries sind damit bereits gegeben. Die einwandernden Keime zerstören das Kollagen, und es entstehen tiefe kariöse Läsionen. Eine exakte Mundhygiene und Kariesprophylaxe sind daher bei vorbestehenden Schmelzhypoplasien von besonders hoher Relevanz.

Schmelzhypoplasien bilden einerseits Schwachstellen für die Besiedelung durch kariogene Mikroorganismen. Auf der anderen Seite können Schmelzdefekte am Dauergebiss ihrerseits durch bakteriell bedingte, apikale Parodontitis an Milchzähnen hervorgerufen werden. Die Keime geraten über die Pulpa oder über tiefe Zahnfleischtaschen zur Wurzelspitze. Kleine Defekte, Fissuren und Frakturen des Milchzahnes bilden die Eintrittspforten. Die Wurzelspitze entzündet sich, es kommt zur Exsudation und in der Folge zur Pulpanekrose mit Verlust der Vitalität des Zahnes und Übergang in eine Kolliquationsnekrose, welche von Keimen wie Bacteroides-Spezies gefördert wird. Die entzündlichen Prozesse können zu einer apikalen Ostitis als Endstadium der pulpalen Infektion führen und den über dem Milchzahn liegenden, in Entwicklung befindlichen Dauerzahn schädigen. Eine rechtzeitige Sanierung des Milchgebisses bis zum Zeitpunkt der physiologischen Exfoliation ist daher eine wichtige Voraussetzung für die Gesundheit des Dauergebisses.

Ch. Eder, L. Schuder