Fallbericht: Kieferorthopädie in der Praxis

Eine Nichtanlage von seitlichen oberen Schneidezähnen findet sich bei ein bis drei Prozent unserer Patienten. Es handelt sich also für uns Zahnärzte um eine nicht allzu außergewöhnliche Diagnose. Für den Betroffenen hat so ein Befund allerdings meist schwerwiegende Konsequenzen zur Folge. Dem Patienten wird eine zeit- und kostenintensive Behandlung in Aussicht gestellt.
Abb. 1: Die Ausgangssituation

Diese beginnt mit kieferorthopädischen Maßnahmen, durch die eine optimale Stellung der vorhandenen Zähne angestrebt wird, Die fehlenden Zweier werden später durch Implantate und Einzelzahnkronen ersetzt. Ist ein kieferorthopädischer Lückenschluss geplant, sollten am Ende die Kronen der Dreier und Vierer in ihrer Form prothetisch so verändert werden, dass für das Gebiss keine ästhetische und funktionelle Beeinträchtigung bleibt.

Weiters ist zu bedenken, dass besonders für Jugendliche das Fehlen von Zähnen im sichtbaren Bereich ein nicht zu vernachlässigendes psychisches Problem darstellt, das durch die deshalb notwendigen Therapiemaßnahmen noch verstärkt wird.

Abb. 2: Das Platzangebot im
Bereichder Eckzähne sollte für
eine Implantatversorgung
vergrößert werden.

Eine Vielzahl von Faktoren, die zusätzlich zu berücksichtigen sind, erfordert, dass jeder Fall individuell gelöst werden muss.

Fallbericht
Ein vierzehn Jahre alter Knabe mit Aplasie der oberen Zweier kam bereits mit einer fixen Zahnspange im Oberkiefer in meine Ordination (Abb. 1). Wie man anhand des angefertigten klinischen Fotos und des beigebrachten Panoramaröntgenbildes erkennen kann, hatte der zuweisende Kollege die Absicht, die Dreier neben den zentralen Frontzähnen stehen zu lassen und das Platzangebot im Bereich der Eckzähne für eine Implantatversorgung zu vergrößern (Abb. 1 und Abb. 2).

 

Abb. 3: Raum im Kronenbereich,
nicht aber im Wurzelspitzen-
bereich.

Dieser Junge hatte aber, was man häufig bei Patienten mit Aplasien im Oberkiefer diagnostiziert, eine unterentwickelte Maxilla, sodass die Wurzelspitzen im Bereich der apicalen Basis eng aneinander standen. Mit der Regulierung konnte jeweils zwischen Dreier und Vierer für Implantate Raum im Kronenbereich geschaffen werden, nicht aber im Wurzelspitzenbereich (Abb. 3). Betrachtet man das Foto, das einen lachenden Mund zeigen soll, gewinnt man den Eindruck, dass der Patient über seine Situation sehr unglücklich ist (Abb. 4).

 

Abb. 4: Der Patient wirkt nicht
sehr glücklich.

Die Lippenhaltung erscheint gezwungen, der Junge zieht die Mundwinkel nach unten und er versucht, mit der Oberlippe die mit Brackets beklebten Zähne zu verdecken. Es ist verständlich, dass er eine Zahnspange ablehnt, die in der Front Lücken erzeugt, welche erst im Erwachsenenalter versorgt werden können.

Wenn ich den sichtlich demotivierten Patienten für eine weitere Behandlung gewinnen will, muss ich ihn überzeugen, dass die geplanten Maßnahmen für ihn von großem Vorteil sind.

 

Abb. 5: Die Wurzeln der Einser
und Dreier nach mesial aufrichten.

Nach Absprache mit dem Zahnarzt motiviere ich daher den Jungen für meinen Behandlungsplan: „Ich werde die Zähne im Oberkiefer nach vorne zusammenschieben und du wirst eine geschlossene Zahnreihe in der Front bekommen. Wenn Lücken verbleiben, sind diese in der Seite und nicht zu sehen. Sobald dein Wachstum abgeschlossen ist, kannst du dir dort eine Implantatversorgung machen lassen. Ich benötige aber andere Brackets und deine Mitarbeit. Da dein Oberkiefer sehr klein ist und zurückliegt, musst du verlässlich Klasse-III-Gummizüge tragen."

 

Abb. 6: Klasse-III-Elastics und Druckfedern.

Zuerst mussten die Wurzeln der Einser und der Dreier nach mesial aufgerichtet werden. Dazu verwendete ich die Hebelarme, die ich in die Hilfsröhrchen der Brackets steckte, und elastische Gummizüge (Abb. 5).

Mit Klasse-III-Elastics und Druckfedern konnte ich anschließend die Vierer mesialisieren und den frontalen Überbiss verbessern (Abb. 6).

 

Abb. 7: Brackets entfernt.
Das Ende der Behandlung konnte mein Patient kaum erwarten. Ich entfernte die Brackets vorzeitig, weil die Mitarbeit ausblieb (Abb. 7). Jedenfalls ist eine ästhetisch zufriedenstellende Situation erreicht worden. Bis zum Ende des Gesichtswachstums± und den dann anstehenden prothetischen Maßnahmen werden noch einige Jahre vergehen. Der Patient ist zufrieden, und weil ich mich an unsere Vereinbarung gehalten habe, lacht der Patient am Ende auch freundlich in die Kamera (Abb. 8).

Prim. Dr. Doris Haberler

Abb. 8: Der junge Patient lacht wieder.