Sensationelles, Neues und zu Bewegendes!

Drei einschneidende Erlebnisse der letzten Wochen haben mich spontan zur Feder greifen lassen.

Sensationelles - Neueröffnung der Wiener Zahnklinik
Ich kann und will nicht umhin, einige persönliche Empfindungen weiterzugeben. Da die meisten österreichischen Zahnärzte die Ausbildung an der Wiener Universitätsklinik „genossen" haben, wird es Sie wahrscheinlich genauso „treffen", wenn Sie das neue Haus durch den neuen Eingang in der Sensengasse 2a betreten.

Wir alle haben erlebt, wie unter unmöglichen, einem Klinikbetrieb ja fast entgegenstehenden räumlichen Bedingungen unsere Ausbildung stattgefunden hat. Obwohl wir oft unzufrieden waren, war es doch eine hervorragende Leistung des jeweiligen Dienststandes, die tägliche Motivation aufzubringen, uns unter den technischen Umständen, die geherrscht haben, einiges beizubringen; es dürfte doch einiges gelungen sein, denn wir haben es alle zu etwas gebracht.

Besonders ein Mann ist in den letzten Jahrzehnten hervorgestochen, der sich trotz dieser Umstände mit ungeheurer Energie bemüht hat, Veränderungen herbeizuführen. Kollege Georg Watzek hat mit der Schaffung der Abteilung „Orale Chirurgie" und der Linie, die er einschlug, den Grundstein für die ungeheure Reputation gelegt, die er und sein Team nun in der ganzen Welt in Fragen Implantologie genießt. Auch die Schaffung der „Akademie für Implantologie" hat gezeigt, dass er die Dinge nicht ruhen lassen wollte, sondern immer neue Wege eingeschlagen hat. Ich werde nie vergessen, wie er vor vielen, vielen Jahren erklärt hat - und dies wurde in der „Kronen Zeitung" veröffentlicht - dass er die Leitung der Klinik zurücklege, „da er nicht in einem Hause arbeiten kann, in dem der Anblick von Schaben zu den Alltäglichkeiten gehört". Das hat mir damals tiefe Bewunderung abverlangt.

Was ist nun geschehen? Ihm und seinem Team ist es gelungen, einen phänomenalen Neubau durchzuziehen. Wenn man die Eingangshalle betritt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Ein groß angelegtes Entree, das mehr an ein modernes Hotel in einer Weltstadt erinnert, wird in Zukunft der Anmeldung dienen. Eine Verbindung von Alt und Neu mittels eines großzügigen, hohen Raumes und eines alles beherrschenden Glasdaches strahlt einerseits Spannung aus, lässt Erwartungen aufkommen und vermittelt andererseits dank der immensen Größe ein angenehmes, freies Gefühl und strahlt bedächtige, sich sammelnde Ruhe und Zentralität aus.

Gott sei Dank ist die ursprüngliche Idee, im Rahmen des AKH Wien einen eigenen Bau für die Zahnklinik auszuführen, nicht realisiert worden. Denn dort hätte wieder nur eine „08/15"-Spitalsarchitektur ihren Niederschlag gefunden. Hier ist aber wirklich eine tolle Symbiose gelungen. Die Integration der Rettungszufahrt, gleich bei der Anmeldung, der zentral gelegene Eingang zu einem wunderschönen, mit allen Techniken ausgestatteten Hörsaal, die Verbindung der verschiedenen Stockwerke, der freie Gang im oberen Stockwerk, der einem an die freien, im Hof gelegenen Gänge der Wiener Biedermeierhäuser erinnert, lässt einen nur staunen!

Wenn man den Rundgang durchs Haus von diesem Zentrum beginnt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Das Propädeutikum/die Vorklinik verfügt an jedem Arbeitsplatz über ein Mikroskop und einen Bildschirm, der direkt an den Arbeitsplatz des Demonstrators angeschlossen ist - also, zukunftsorientierter, moderner kann man es nicht machen.

Das wie eine Ordination geplante neue Ausbildungssystem, bei dem der Patient nicht mehr von einer Abteilung bzw. von einem Sessel zum anderen wandert, sondern an einer Einheit die gesamte Behandlung stattfindet, wird - auch wenn organisatorisch gar nicht einfach zu bewältigen - eine fantastische Neuerung für die Zahnmedizinstudenten sein: Wir hatten es Ende der 60er- Jahre aber genauso. Stellen Sie sich vor, in jeder Patientenbox stehen ein traditioneller Arbeitsplatz und ein Mikroskoparbeitsplatz! Da muss mein Herz höher schlagen!

Wenn man den Weg Richtung Röntgenabteilung nimmt, wird alles vorhanden sein, was „gut und teuer" ist - Einzelbildröntgen, Panoramaröntgen, Fernröntgen, Volumenstomografie; ja selbst eine Magnetresonanztomografie werden die Hallen beherbergen. Warum sage ich „Hallen"? Weil man die Höhe der alten Räumlichkeiten beibehalten hat, sodass genügend Luft zum Atmen vorhanden ist. Schlag auf Schlag berührt einen die Faszination dieses neuen Hauses. Ruhe findet man vor allem in der Bibliothek, die noch die alte historische Tramdecke ziert; am Gang davor sind wieder die alten Steinplatten verlegt worden, welche aus der Gründungszeit dieses Gebäudes stammen. Einfach schön.

Es ist umwerfend, was Kollege Georg Watzek mit den Architekten geleistet hat, und man kann ihnen gar nicht genug für diese Mühe danken. Dieses Haus strahlt so viel Modernität, Offenheit, Willen zur Qualität aus, und man kann sich nur wünschen, dass dieser räumlichen Vorgabe in Form der modernsten Zahnklinik der Welt auch jener Geist folgt, den man heute gerne beschwört - die Wiener Medizinische und Zahnmedizinische Schule wieder ins internationale Spitzenfeld zurückzupushen.

Neues - Zahnärztekongress 2010
Dieser hat vom 30.09.-02. 10. in Wien stattgefunden, und auch hier ist es wieder der Leistung und der Idee eines einzelnen Mannes, Kollegen Werner Lill, zu verdanken, dass es gelungen ist, den Österreichischen Zahnärztekongress wieder in die Hofburg zurückzubringen. Denn dort gehört er eigentlich hin! Neben den hervorragenden wissenschaftlichen Inhalten hat eine gut bestückte, gut besuchte und gut organisierte Dentalausstellung die Qualität des Kongresses abgerundet. Aber was besonders wichtig war - es ist Kollegen Werner Lill gelungen, die Standespolitik wieder vollkommen in das Geschehen des Österreichischen Zahnärztekongresses einzubinden und ihr auch genügend Raum zu geben, in eigenen Veranstaltungen ihre Anliegen an die Kollegenschaft heranzutragen.

Hoffentlich sind damit alle Ungereimtheiten Vergangenheit und beide Institutionen - die Österreichische Zahnärztekammer und die österreichische Wissenschaft - gehen einen für dieses kleine Land wichtigen gemeinsamen Weg.

„Zu Bewegendes"
Die Arbeitsgemeinschaft für Parodontologie und jetzige Österreichische Gesellschaft für Parodontologie (ÖGP) haben seit den beginnenden 90er-Jahren, vertreten durch meine Person, immer wieder die zahnärztliche Kollegenschaft animiert, ihr Augenmerk vermehrt den parodontalen Erkrankungen zu schenken. Es war anfangs ein steiniger Weg, hat schlussendlich zu den wunderbaren Kongressen in St. Wolfgang mit bis zu 600 Teilnehmern geführt und wird hoffentlich im nächsten Jahr in gleicher Brillanz in Kitzbühel fortgesetzt werden.

Ein Patientenfall, der mir vorige Woche begegnet ist, bewegt mich, dieses Thema wieder zu aktualisieren. Es kommt eine etwa 50-jährige Frau zu mir, die mir mitteilt, dass sie vermutlich ein parodontales Problem hat, da ihr Zahnfleisch blutet und sie einen schlechten Geschmack im Mund hat: ich mache ein Röntgen und schaue mir die Patientin an. Was sehe ich? Eine mit phänomenalen Inlays und Onlays hervorragend versorgte Patientin. Die technischen Arbeiten zeigen einen ausgezeichneten Randschluss und eine kraftvolle, die individuelle Zahnform imitierende Anatomie; ich muss sagen, ich habe so etwas schon lange nicht mehr gesehen, und in mir steigt ein tiefes Gefühl des Dankes für die Leistung dieses Zahnarztes auf.

Aber dann fällt mein Blick auf das Zahnfleisch, auf die Röntgen, und ich finde einen ungefähr zur Hälfte abgebauten parodontalen Halteapparat, und damit ist mein Unverständnis perfekt. Wie kann man so eine tolle zahnärztliche Leistung vollbringen, sich aber ausschließlich der Kariesbekämpfung widmen und der zweiten „Volksseuche", der Parodontitis, keine Beachtung schenken? Jetzt, 20 Jahre nach Beginn der chronischen Parodontitis, die der Kollege sicher gesehen hat, handelt er endlich und schickt die Patientin zu mir.

Werte KollegInnen, ich kann mich nur immer wiederholen - bitte tun Sie das Ihren Patienten nicht an. Ganz egal, welche Art der Füllungen, welche Art der Versorgung Sie in Ihren Ordinationen durchführen, bitte vergessen Sie das parodontale Geschehen nicht.

Sie können sich in Ihrer eigenen Ordination einer Prophylaxeassistentin bedienen, die ihnen die Prophylaxe aufbaut, sodass die von Ihnen langjährig versorgten Patienten - mit wenigen Ausnahmen - niemals eine schwere parodontale Erkrankung bekommen werden. Sie steht Ihnen mit Freude zur Verfügung, wenn es darum geht, die Initialphase der Therapie mit höchstem Engagement und Begeisterung durchzuführen. Ich hoffe, dass von den in ganz Österreich ausgebildeten Assistentinnen die meisten weiter in ihrem Berufsleben tätig sind, sodass Ihnen, werte KollegInnen, und mir die hilfreichen Dienste dieser Damen auch in Zukunft zur Verfügung stehen.

Wenn Sie z.B. die parodontale Grunduntersuchung durchgeführt haben und pathologische Befunde sichtbar werden, können Sie erstens die Behandlung selbst durchführen und zweitens steht es Ihnen auch jederzeit frei, sich einer Kollegin oder eines Kollegen zu bedienen, von der/dem Sie wissen, dass sie/er eine gute Parodontaltherapie durchführt. Wenn Sie niemanden kennen oder wissen, machen Sie sich bitte die Mühe und gehen auf die Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie. Sie finden dort immer mehr Namen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, entweder ausschließlich parodontale Therapie zu betreiben oder die Arbeit des Spezialisten für Parodontologie neben der allgemeinen Zahnheilkunde durchzuführen. Da in Österreich viele KollegInnen Angst haben - wir sind das Überweisungssystem nicht gewohnt -, die Patienten, welche sie an den parodontal tätigen Kollegen überweisen, zu verlieren, habe ich in St. Wolfgang schon in den 90er-Jahren mein Vorgehen erklärt. Ich teile den überwiesenen Patienten mit und garantiere es auch dem überweisenden Zahnarzt, dass für den Patienten neben der parodontalen Betreuung, die wir ihm mit größter Akribie zukommen lassen, eine dreijährige Aufnahmesperre für andere zahnärztliche Behandlungen in meiner Ordination für ihn besteht.

Also bitte, machen Sie die Prophylaxe und Parodontalbehandlung entweder selber oder überweisen Sie die Patienten an KollegInnen ihres Vertrauens. Ich kann Sie nur zum Wohle der sich uns anvertrauenden Patienten inständig bitten, eine der zwei Lösungen ins Auge zu fassen und die dritte so häufig in Österreich anzutreffende Vorgangsweise, nämlich die Augen gegenüber den parodontalen Erkrankungen zu verschließen, der Vergangenheit angehören zu lassen.

Sensationelles, Neues und zu Bewegendes führen einen Optimisten wie mich zu einem positiven Blick auf die Zukunft. Mein Beruf möge mir hoffentlich noch viele Jahre ermöglichen, meinen sich mir anvertrauenden Patienten Gesundheit zu schenken bzw. Krankheit zu verhindern.

Zahnheilkunde, gestützt durch eine fantastische neue Universitätsklinik, eine Harmonie zwischen Standespolitik und Wissenschaft und die nunmehr mögliche Realisierung meines seit 42 Jahren verfolgten Wunsches, der österreichischen Bevölkerung eine adäquate Prophylaxe und Parodontaltherapie erleben zu lassen, erfreut mein Herz.

MedRat Prof. Dr. Peter Kotschy

MedRat Prof. Dr. Peter Kotschy