Kieferorthopädie in der Praxis

Das Zahntrauma im Kindes- und Jugendalter ist häufig Thema bei Kongressen und in verschiedenen Fachzeitschriften. In erster Linie wird dabei das - in Abhängigkeit von der Verletzungsart - korrekte Vorgehen bei der Primärversorgung erörtert. In der Folge beinflussen aber Zahnverlust oder ein durch das Trauma geschwächter Zahn auch die anschließenden Behandlungsmaßnahmen.

Wie schwierig es sein kann, solchen Patienten langfristig zu helfen, möchte ich anhand einer 12-jährigen Patientin zeigen, die vom Zahntraumatologen zur weiteren Betreuung zu mir als Kieferorthopädin gewechselt hat.

Abb.1

Beim ersten Besuch in meiner Ordination berichtete die Mutter, dass sich ihre Tochter bei einem Sturz im Schwimmbad einen Frontzahn ausgeschlagen hatte und dass dieser anschließend in der Unfallambulanz wieder reponiert werden konnte. Allerdings entwickelte sich während des weiteren Zahnwechsels im Oberkiefer ein Raummangel für die seitlichen Schneidezähne und für die Eckzähne, der replantierte Zahn 21 extrudierte und wurde locker (Abb. 1).

„Können Sie meiner Tochter helfen?", fragte mich die Mutter, selbst Zahnarztassistentin und mit der Situation psychisch überfordert. „Wir haben seit dem Unfall Angst, der Frontzahn könnte verlorengehen, bevor eine festsitzende prothetische Versorgung möglich ist." Das Mädchen ließ sich zwar untersuchen, war aber ängstlich, und ich musste versprechen, ihren Frontzahn nicht zu berühren. Dieser war stark elongiert, und seine Wurzel war, wie das angefertigte Röntgenbild zeigt, resorbiert (Abb. 2).

Abb. 2

Meinen ersten Behandlungsplan erstellte ich unabhängig von der Prognose des linken Einsers. Um ausreichend Platz für die Oberkieferfront und die oberen Eckzähne zu bekommen, mussten die oberen Sechser distalisiert werden (Abb. 3). Ich erklärte der Patientin das weitere Vorgehen: „Du musst sechs Monate einen Außenbogen tragen. Dein Einser bleibt so lange im Mund, bis alle anderen Zähne an ihrem richtigen Platz stehen. Erst dann wird dieser entfernt und du bekommst eine geklebte Brücke als Ersatz".

Wir begannen also die Behandlung mit zwei Bändern an den Sechs-Jahr-Molaren und einem Außenbogen, der täglich 14 Stunden getragen werden sollte. Ich erklärte die Handhabung des Apparates und hoffte auf eine gute Mitarbeit.

Abb. 3

Sechs Monate später ist der Zahnwechsel abgeschlossen, der Raummangel und die Klasse-II -Molarenrelation sind allerdings unverändert.

Es ist anzunehmen, dass der Head-Gear nicht ausreichend getragen wurde, da auch die Mundhygiene trotz Unterweisungen unzureichend blieb. Ich ändere daher meinen Behandlungsplan. Mithilfe einer fixen Multibracketapparatur im Oberkiefer soll die Lücke bei 21 geschlossen werden.

Abb. 4

 

Mittlerweile habe ich das Vertrauen des jungen Mädchens gewonnen, und sie lässt sich den linken Einser schrittweise zuerst von okklusal (Abb. 4) und dann von distal (Abb. 5) einschleifen, während sich die benachbarten Frontzähne zueinander bewegen. Schließlich ist die Lücke geschlossen und der obere Zahnbogen ausgeformt (Abb. 6). Die Patientin ist nach Abnahme der Brackets glücklich (Abb. 7).

Abb. 5

Ich selbst bin, was das Behandlungsergebnis anbelangt, skeptisch. Ich denke daran, was wir von Vincent Kokich über die Frontzahnästhetik gelernt haben - immerhin weiß ich seither auch, dass Cary Grant trotz mittigem oberen Einser erfolgreich und berühmt werden konnte.

Prim. Dr. Doris Haberler

Abb. 6
                                                                                                                         
Abb. 7