Prof. Dr. Ingeborg Watzke: Die einzige MKG-Primarärztin

Prim. Prof. Dr. Ingeborg Watzke absolvierte ihre Ausbildung im Wiener AKH und in den USA (University of North Carolina). Seit 1994 ist sie am Wiener SMZO-Donauspital tätig, seit 2004 als Vorstand des Instituts für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Die Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist damit die einzige MKG-Primarärztin im deutschsprachigen Raum.

Könnten Sie bitte das Institut für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Donauspitals kurz vorstellen?
WATZKE: Die Schwerpunkte unserer Tätigkeit liegen im Bereich der dentofazialen Fehlbildungen, der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und der Traumatologie. So sind wir z.B. dasjenige Zentrum in Österreich, das 2008 die meisten Kinder mit primären Spalten operiert hat.

Wir haben - was für unsere Behandlungserfolge mitentscheidend ist - für diese ein interdisziplinäres Spaltteam ins Leben gerufen, das sich um das gesamte medizinische und außermedizinische Umfeld bis hinein in den sozialen Bereich kümmert. Für die Kinder ist dabei die jährliche Nikolofeier der Höhepunkt. 2009 waren es fast 100 Kinder, die in diesem Jahr operiert worden sind. Die Versorgungszahlen bei den dentofazialen Fehlbildungen sind ganz ähnlich.
Weiters behandelt ein Teilzeit-Zahnarzt Patienten des angeschlossenen Pflegeheims sowie des Spitals. Darüber hinaus führen wir schwierige oralchirurgische Eingriffe bei zugewiesenen Patienten durch. Das Institut hat vier Facharztstellen, eine Ausbildungsstelle sowie acht Betten. Die Zahl der damit versorgten Patienten ist allerdings extrem hoch: Wir kommen, was die Leistungspunkte betrifft, an die Zahlen der Kieferchirurgie im Wiener AKH heran, die ca. fünfmal mehr Ärzte und die dreifache Bettenzahl hat.

Was sind Ihre persönlichen Schwerpunkte?
WATZKE: Dies sind einerseits die Fehlbisse - dazu habe ich eine zweijährige Ausbildung in den USA absolviert und von dort auch neue Techniken mitgebracht. Mehr als 2000 solche Patienten haben wir im Donauspital schon operiert. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre kam die Spaltchirurgie hinzu. Das Do-nauspital besitzt eine gute, große Geburtshilfeabteilung und pränatale Diagnostik, daher gibt es auch entsprechend viele Kinder mit LKG-Spalten.

Wieso ist die MKG-Chirurgie in Österreich fast eine reine Männerdomäne?
WATZKE: Eigentlich ist mir unklar, wieso der Frauenanteil gar so gering ist. Die wenigen Frauen mit einer MKG-Chirurgie-Ausbildung gehen jedenfalls meist in die Zahnarztpraxis, da hier der Verdienst besser und die Arbeitszeiten familienfreundlicher sind als im Spital. Auf jeden Fall bin ich die einzige habilitierte Kieferchirurgin in Österreich. Auch in Deutschland gibt es lediglich eine Kollegin.

Wie hoch ist heute das Durchschnittsalter der Orthognathie-Patienten?
WATZKE: Das Durchschnittsalter an unserem Institut liegt bei etwa 25 Jahren. Wie unsere Datenbank zeigt, hat das Alter zugenommen. Unser ältester Patient war 64 Jahre alt. Zahnärzte klären heute auch erwachsenen Patienten über derartige Eingriffe auf, und die Kieferchirurgie gilt auch nicht mehr so wie früher als „Schreckgespenst". Es hat sich auch herumgesprochen, dass z.B. die Operationszeiten extrem kurz geworden sind, die Operation nicht mit Schmerzen verbunden ist und 90 Prozent der Patienten mit einem einzigen Eingriff auskommen.

Könnten Sie bitte die von Ihnen erwähnte Datenbank näher vorstellen?
WATZKE: Die Datenbank bezieht sich auf Patienten mit Fehlbildungen des Gesichts. Wir führen die Datenbank seit 1994. Sie enthält 500.000 Einträge, da wir ein sehr gut organisiertes, auf 10 Jahre ausgelegtes Recallsystem haben. Im ersten Jahr kommen rund 90 Prozent der Patienten regelmäßig zu den Kontrollen, nach 10 Jahren sind es immerhin noch fast 30 %. Bei jedem Kontrolltermin werden standardisierte Untersuchungsbögen verwendet, sodass entsprechende Aussagen z.B. auch über den Langzeitverlauf nach der Operation möglich sind. Das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt bei unseren Patienten 2:1. Ältere Patienten kommen eher aus funktionellen, weniger aus ästhetischen Gründen. Wenn der Kiefer zu groß ist, kommen die Patienten früher, als wenn er zu klein ist.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen MKG- und plastischer Chirurgie?
WATZKE: Unser Vorteil gegenüber den plastischen Chirurgen ist, dass wir mit den Knochen, also der „Bausubstanz" des Gesichtes, und der Knochenchirurgie vertraut sind. Generell können wir viel voneinander lernen, und ich denke, dass der fachliche Austausch sehr wichtig ist. Dementsprechend arbeitet derzeit an unserem Institut auch eine plastische Chirurgin.

Was liegt Ihnen im Bereich der MKG-Chirurgie noch am Herzen?
WATZKE: Man kann nicht oft genug betonen, dass eine gute, fundierte fachliche Ausbildung das Um und Auf ist. „Learning by doing" sollte es in der MKG-Chirurgie nicht geben. Gerade im Bereich des Gesichts sollte nicht „geübt" werden, weil jeder Fehler dem Patienten lebenslang „ins Gesicht geschrieben" bleibt. Hier könnten wir von den USA einiges lernen: Die praktische Ausbildung ist viel besser strukturiert und organisiert. In Österreich sind manche jungen Kollegen und Kolleginnen in ihrer Ausbildung oft viel zu früh auf sich alleine gestellt, worunter ihre Operationsqualität massiv und leider auch lebenslang leidet. An unserer Abteilung gibt es das nicht. Wir haben alle unsere Operationstechniken im Sinn von „Standing Operating Procedures" extrem standardisiert, und außerdem ist bei jeder Operation ein wirklich erfahrener Chirurg persönlich anwesend.

Herzlichen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. Ingeborg Watzke