Chemotherapie und orale Mucositis

Prävention und Therapie von chemotherapieinduzierten Entzündungen der Mundschleimhaut sind ein wichtiger Faktor zur Erhaltung der Lebensqualität von Krebspatienten.

Patienten unter Chemotherapie gehören auf Grund der häufig daraus resultierenden Schleimhautveränderungen zweifelsohne zu den Problemfällen in zahnärztlichen Praxen. In Abhängigkeit von Grunderkrankung, Alter und vor allem dem verwendeten Therapieregime entwickeln durchschnittlich an die 40% der Chemotherapiepatienten, und ein noch höherer Prozentsatz der chemotherapierten Patienten mit malignen haematologischen Erkrankungen orale Komplikationen unterschiedlicher Schweregrade. Die Stomatitis entwickelt sich nach durchschnittlich zwischen dem vierten und sechsten Tag nach Einsetzung der Chemotherapie und erreicht ihren Höhepunkt um den zehnten Tag. Insgesamt halten die Beschwerden, wenn keine zusätzlichen Komplikationen auftreten etwa zwei Wochen an. Zu den hochstomatotoxischen Medikamenten zählen unter anderem Doxorubin, Doxocetaxol, Carboplatin, Epirubicin, Flourouracil, Idarubin, Metothrexat und 6-Mercaptopurin; zu den durchschnittlich stomatotoxischen Substanzen gehören weiters Bleomycin, Vinblastin, Cytarabin, Thioguanine und Mitomycin C.

Die orale Mucositis zeigt Ausprägungsformen unterschiedlicher Schwergrade
Das induzierte Krankheitsbild reicht von relativ harmlosen Beschwerden, wie Mundtrockenheit und Erythem über „burning mouth syndrom, bis zu schwerer Stomatitis mit Erosionen des Epithels und teilweise auch tiefen Ulzerationen. Schwellungen und Schmerz führen zu Sprech- und Schluckbeschwerden bis zur Unfähigkeit zur Aufnahme fester und später auch flüssiger Nahrung. Daneben kann chemotherapieassoziertes Erbrechen durch den Kontakt der wunden Mucosa mit saurem Magensaft zu zusätzlichen Verschlimmerungen der Situation führen. Weiters besteht die Gefahr von Superinfektionen der Läsionen mit Bakterien und Pilzen, insbesonders Hefen, wie Candidaspezies, welche als Besiedler der Mundhöhle auf den destruierten Epithelien gute Wachstumsbedingungen finden.

Durch Chemotherapie sind besonders jene Zellen betroffen, welche rasche Teilungszyklen haben. Schleimhäute zeigen durch die ständige Abschilferung des Deckepithels eine hohe mitotische Aktivität und gehören damit zu den am meisten gefährdeten Geweben. Durch den chemotherapieinduzierten vermehrten und rascheren Zelltod werden Zellen bis in tiefe Schichten vorzeitig abgestoßen und die natürliche orale Schleimbarriere zerstört. Außerdem kommt es unter Chemotherapie zu einem Abfall der Leukozyten, wodurch die natürliche Abwehrreaktion gegenüber potentiell pathogenen Keimen der Mundhöhle geschwächt wird.

Besonders bei vorbestehenden Infektionen der oralen Weichgewebe, wie Gingivitis, Parodontitis und Stomatitis mit bakteriellen und/oder fungalen Erregern kann dann die Situation eskalieren. Es kommt zu ungehemmter Keimvermehrung, das abgestorbene Epithel und die Blutungen aus Ulzerationen bilden einen idealen Nährboden für diese Mikroorganismen. Es besteht dann die Gefahr einer ausgeprägten oralen Candidiasis mit Einwachsen der Pseudohyphen in das Gewebe. Im Rahmen vorbestehender parodontaler Erkrankungen können anaerobe und fakultativ anaerobe Keime massive Entzündungsschübe, Gewebsabbau und Nekrosen verursachen. Durch die Suppression des gesamten haematopoetischen Systems besteht ein hohes Risiko der Entwicklung eines septischen Zustandsbildes bei Einschwemmung der Keime in die Blutbahn.

Bei Infektionen mit Herpesviren besteht durch die Senkung der Immunabwehr die Gefahr einer massiven Reaktivierung. Zudem kommt es bei ca. 50% der mit Chemotherapeutika behandelten Patienten wegen der Zerstörung der Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen zu einer Anämie und durch die vermehrte Ausschüttung von Entzündungsmediatoren zu einer Blockade der Eisenaufnahme aus dem Darm. Eisen ist aber ein wesentlicher Cofaktor für Zellreplikation und Reparatur, besonders bei den Schleimhäuten.

Vorbeugung und frühzeitige Behandlung oraler Läsionen verhindert irreparable Schäden
Die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der der oralen Gesundheit muss daher auf zwei Schienen erfolgen: Einerseits die Prävention, welche noch vor Einsetzen der chemotherapieassoziierten Beschwerden wirkungsvolle Schutzmaßnahmen setzt, und andererseits die Linderung und Limitierung der möglicherweise dennoch auftretenden Schleimhautveränderungen.

Im Vordergrund steht eine weitgehende Sanierung von Entzündungsherden in der Mundhöhle, im Idealfall vor Beginn, aber zumindest während und zwischen den Chemotherapiezyklen. Eine Reduzierung des Gesamtkeimloads verhindert in der Phase der Immunsuppression Superinfektionen der oralen Läsionen. So wird die damit verbundene Gefahr einer Einschwemmung der pathogenen Keime in die Blutbahn vermieden. Im Zuge der Sanierung sollte das Keimspektrum mikrobiologisch abgeklärt werden, um eine gezielte antimikrobielle Therapie zu ermöglichen. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch die Untersuchung auf eine mögliche latente Besiedelung durch Hefepilze, da sonst im Rahmen der Chemotherapie ein massives Aufwachsen von Candidaspezies zu erwarten ist. Besonders ältere Patienten mit künstlichem Zahnersatz sind in dieser Hinsicht besonders gefährdet, da die hier von vornherein bestehende Neigung zur Entwicklung einer Prothesenstomatitis eine Exazerbation während der Immunsuppression fördert.

Während der Chemotherapiezyklen sollte neben einer effektiven, professionell vom Zahnarzt angeleiteten Mundhygiene auch eine engmaschige Überwachung des Zustandes der oralen Mucosa durchgeführt werden, um mögliche Läsionen frühzeitig zu therapieren. Bereits das erste Auftreten von Rötungen oder weißen Flecken sollte Anlass zu sofortiger Intervention sein.

Während der sensiblen Phasen sollten die Patienten Noxen wie säurehaltige oder scharf gewürzte Nahrungsmittel, ebenso wie Tabak oder Alkohol möglichst vermeiden. Zahnprothesen dürfen nicht über Nacht getragen werden. Mundspülungen mit Salzwasser oder Natron zeigen positive Wirkung auf die Schleimhäute hingegen sind alkoholhältige Mundwässer, ebenso wie Wasserstoffsuperoxidspülungen unbedingt zu vermeiden. Letztere führen zu einer Schädigung der Epithelzellen und der Fibroblasten und verzögern damit die Wundheilung. Kurzfristige Anwendungen von Chlorhexidingluconat als antiseptische Spülung sind zur Reduktion der Keimzahl empfehlenswert. Bei extremer Mundtrockenheit kann Kunstspeichel helfen, Verletzungen bei der Nahrungsaufnahme und beim Kauen zu vermeiden.

Topische Schutzbarriren gegen schädigende Einflüsse
Studien haben gezeigt, dass bei der Prävention der chemotherapieassoziierten Mucositis die topische Anwendung von oraler Sucralfatsuspension Erfolge zeigt. Sucralfate sind nicht-absorbierbare basische Aluminiumsalze, welche auch in der Therapie von Gastritis und Duodenitis eingesetzt werden. Das Sucralfat bildet polyvalente Brücken zu positiv geladenen Proteinen in der Mucosa und bildet damit eine adhäsive Schicht und Barriere gegen schädigende Einflüsse. Ein zusätzlich positiver Effekt des Sucralfats ist die Förderung der Synthese von Prostaglandinen in der Schleimhaut, was zu einer vermehrten Durchblutung und verstärkten Speichelproduktion führt. Die adhäsive Barriere verbleibt als Schutzschicht ca. 2,5 Stunden nach Einbringung in die Mundhöhle. Ein limitierender Faktor für diesen positiven Effekt ist allerdings das häufig auftretende, durch die Chemotherapie induzierte Erbrechen. Ähnliche Effekte hat Gelclair - GelR , ein bioadärentes Gel, welches unter anderem Na-hyaluronat, Methylzellulose und PVP enthält.

Bei sehr ausgeprägten ulzerienden Stomatitiden, wie sie bei Patienten mit malignen haematologischen Erkrankungen und Fluorouracil - behandelten Patienten auftreten, gibt es die Möglichkeit zur Gabe von Palifermin, einem Keratinozytenwachstumsfaktor, welcher die Reparaturmechanismen des geschädigten Epithels fördert.

Die topische Anwendung von oralem Glutamin zeigte in Studien eine Reduktion der Ausprägung und Dauer der Mucositis und damit einen Benefit für die Patienten gegenüber der Kontrollgruppe.
Gegen die Schmerzen bei schwerer Mucositis können Lidocainhaltige Spülungen und Salben, Benzocaine und paracetamolhaltige Medikamente eingesetzt werden. Nur bei Versagen lokaler Schmerzmittel sollten systemische Analgetica, bevorzugt aus der Gruppe der Opiate verwendet werden. NSAR während der Chemotherapie sind kontrainduziert, da sie die meist sowieso vorbestehende Thrombozytopenie verstärken.

Gegen mikrobielle Superinfektionen ist ein gezieltes Vorgehen entsprechend dem Keimspektrum zu empfehlen. Im Falle des Aufflammens einer Herpesinfektion kann Aciclovir zum Einsatz kommen.

Eine optimale zahnärtliche Begleittherapie mildert für die betroffenen Patienten in jedem Fall die oft massiven Nebenwirkungen einer Chemotherapie ist damit ein wichtiger Bestandteil in der Wiederherstellung der Gesundheit des Gesamtorganismus.

Ch. Eder, L. Schuder