Gingivahyperplasie: Nicht nur ein kosmetisches Problem

Die Gingivahyperplasie oder Makrulie kann als Manifestation unterschiedlicher lokaler und systemischer Erkrankungen auftreten. Dies erfordert eine exakte Abklärung der Auslöser für die Wucherungen des gingivalen Weichgewebes. Besonders die Interdentalpapillen sind betroffen, es kann dabei zur teilweisen oder vollständigen Überwucherung der Zahnkronen mit der Ausbildung sogenannter Pseudotaschen des Zahnfleisches kommen. Diese erschweren die Mundhygiene und bieten diversen, bevorzugt anaeroben Keimen ideale Besiedelungsmöglichkeiten. Das in schweren Fällen den größten Teil der Zahnkronen bedeckende hyperplastische Gewebe stört die Kaufunktion und stellt zudem ein schwerwiegendes ästhetisches Problem dar.

Schmutzgingivitis verursacht eine Zahnfleischschwellung
Nun kann es einerseits ausschließlich durch eine ödematöse Schwellung zu derartigen Prozessen kommen, dies entspricht dann allerdings nicht einer Hyperplasie im engeren Sinn, welche ja eine Vermehrung der Gewebsstrukturen voraussetzt. Ödeme sind ein Teilprozess von entzündlichen Erscheinungen, gemeinsam mit Rötung (Rubor), Schmerz und Foetor ex ore im Rahmen einer akuten Gingivitis. Diese meist nicht sehr ausgeprägten Schwellungen werden durch parodontale Keime, besonders aus der Gruppe fakultativer und strikter Anaerobier, ausgelöst und aufrechterhalten. Es entsteht eine Schmutzgingivitis mit hyperplastischer Note. Ein entzündliches Ödem der Gingiva kann allerdings auch sekundär auf eine anders verursachte echte Hyperplasie aufgepfropft entstehen, da ja die Pseudotaschen Retentionsstellen für potenziell pathogene Plaque darstellen. Die bei der Hyperplasie erschwerte gründliche Zahnreinigung bedingt die überproportionale Vermehrung einer entsprechenden Parodontalflora mit allen bekannten Auswirkungen auf die Hart- und Weichgewebsstrukturen des Zahnhalteapparats. Gefährdet sind hier besonders Kinder und Jugendliche mit Zahnspangen, hier kommen neben der erschwerten Reinigung noch mechanische Reizung und in der Pubertät die später noch genauer diskutierte hormonelle Umstellung hinzu.

Leukämien als Verursacher einer Gingivahyperplasie
Eine weitere Ursache für die Vergrößerung des gingivalen Gewebes kommt im Rahmen haematologischer Erkrankungen vor. Besonders bei akuten myeloischen Leukämien(70%) und Monozytenleukämien (30%) treten typische Gingivasymptome auf. Durch den verfrühten Austritt unreifer Blasten kommt es zu einer Infiltration des gingivalen Gewebes. Daneben findet man auch Ekchymosen, Petechien und Ulzerationen. Aufgrund des Infiltrates kommt es schließlich zur Lockerung der Zähne. Da die Gingivaschwellungen teilweise eine Erstmanifestation akuter Leukämien darstellen, sollten derartige plötzlich auftretende Hyperplasien immer differenzialdiagnostisch abgeklärt werden.

Zu weiteren Verschlechterungen und zusätzlichen infektbedingten ödematösen Schwellungen kommt es durch die leukämisch bedingte verminderte lokale Abwehrsituation im Sulcusbereich, was wiederum zu einer massiven Anaerobiervermehrung und in der Folge zu schweren parodontalen Schäden führt. Exakte Mundhygiene und Überwachung der oralen Situation sind ein wichtiger Baustein in der Therapie von Patienten mit malignen haematologischen Erkrankungen.

Fibromatöse Gingivahyperplasie
Zu einer tatsächlichen Vermehrung von Bestandteilen des gingivalen Bindegewebes kommt es hingegen bei der fibromatösen Makrulie. Dieser Prozess wird primär nicht entzündungsbedingt verursacht. Es kommt zu einer oft exzessiven Vermehrung von Fibroblasten und einer Steigerung der Kollagensynthese. Daneben beeinflussen lokale Reizfaktoren und mangelnde Mundhygiene die Entstehung einer hyperplastischen Gingiva. Bei den generalisierten Formen unterscheidet man idiopathische fibröse Gingivahyperplasien, hormonell bedingte Zahnfleischwucherungen, Hyperplasien im Rahmen genetischer Syndrome und die wichtige Gruppe der medikamentös verursachten Hyperplasien. Lokalisierte fibröse Wucherungen der Gingiva, die einzeln oder multipel vorkommen können, werden als „Epulis" bezeichnet. Er sitzt meist der Interdentalpapille auf und besteht histologisch aus faserreichem, nur gering vaskularisierten Bindegewebe. Besonders häufig betroffen sind junge Frauen, 80 % der Epulitiden treten im Frontzahnbereich auf.

Idiopathische Formen von Gingivahyperplasien bestehen meist von Geburt an, die Ursache ist unbekannt. Sie können sich bereits im noch zahnlosen Kiefer als derbe Wucherungen entwickeln, erschweren dann den Durchbruch der Zähne und können zu Zahnfehlstellungen führen. Zur Gruppe der hereditären fibromatösen Gingivahyperplasien zählen Syndrome wie die Neurofibromatose Typ 1, das Prigle-Bourn-villesyndrom, das Melkerson-Rosenthal-Syndrom, Mucopolysaccharidosen, die Mucolipidose, um nur einige zu nennen. Sie alle zeigen die Gingivahyperplasie als Teilsymptom komplexer schwerer Krankheitsbilder. Besonders ausgeprägte Formen zeigen sich bei der juvenilen hyalinen Fibromatose, einer autosomal rezessiven Erbkrankheit mit multiplen subkutanen Tumoren, Vergröberung der Gesichtszüge, schmerzhaften Kontrakturen der Extremitäten und Gingivahyperplasie mit fibrösen Wucherungen des Bindegewebes und kleiner Gefäße in einer histologisch PAS-positiven Matrix.

Durch entsprechende Ablagerungen oder gewebliche Veränderungen kommt es auch bei schweren Grund-erkrankungen, wie bei Sarkoidose, Amyloidosen und der Wegener Granulomatose zu überschießenden gingivalen Gewebsbildungen. Bei ungeklärter Ursache ist daher vor weiteren Eingriffen eine bioptische Abklärung erforderlich.

Ein besonders wichtiges, weil relativ häufiges Phänomen stellen die medikamentös induzierten Gingivahyperplasien dar. Wirkstoffgruppen, die zu einer Makrulie führen können, sind Hydantoin (Phenytoin), Nifedipin, Ciclosporin A und östrogen- oder progesteronhaltige Hormonpräparate.
Das in der Therapie der Epilepsie eingesetzte Phenytoin ruft als Langzeitwirkung bei 30-50% der Behandelten drei bis fünf Monate nach Therapiebeginn eine von den Interdentalpapillen ausgehende, fibröse Hyperplasie der Gingiva hervor. Zunächst finden sich die Wucherungen am labialen Zahnfleischrand des Oberkiefers, greifen dann aber auf die marginale und schließlich auch auf die befestigte Gingiva über. Die Blutungsneigung der meist derben Hyperplasie ist nur gering, kann aber durch sekundäre Superinfektion mit Parodontalkeimen über entzündliche Prozesse verstärkt werden. Besonders problematisch erweisen sich diese Hyperplasien im Bereich von Titan- Zahnimplantaten.

Cyclosporin A wird als Immunsuppressivum nach Organtransplantationen eingesetzt und dient auch der Kontrolle von Autoimmunerkrankungen und einer Graft versus host disease. Bei sogenannten Respondern kommt es innerhalb der ersten drei Monate nach Therapiebeginn in Abhängigkeit zum Blutplasma-Spiegel zur Entstehung einer oft ausgeprägten fibrösen Hyperplasie. Zusätzlich besteht Abhängigkeit zu etwaigen Begleitmedikationen, besonders zur Gabe von Ca-Antagonisten zur Blutdruckregulation nach Nierentransplantation.

Auch die alleinige Langzeitgabe von Ca-Antagonisten wie Nifedipin und in seltenen Fällen auch Medikamente wie Erythromycin, Valproinsäure oder Phenobarbital können fibröse Gingivahyperplasien induzieren.

Bei Absetzen der Medikationen kann sich die Hyperplasie im günstigen Fall innerhalb eines Jahres zurückbilden. Bei besonders ausgeprägten Wucherungen hingegen wird eine chirurgische Korrektur, auch mittels CO2-Laser erforderlich. Verbesserungen konnten auch durch die Gabe von Isoretinoin herbeigeführt werden. Hormonell bedingte Hyperplasien werden häufig im Zusammenhang mit oralen Kontrazeptiva und mit Hormonersatztherapien diskutiert. Besonders die Östrogene aktivieren Wachstumsfaktoren der Fibroblastenpopulationen. Ebenso kann der Anstieg des Hormonspiegels in der Pubertät und in der Schwangerschaft eine Proliferation des gingivalen Bindegewebes induzieren. Auch lokalisierte Formen kommen vor, wie etwa der Schwangerschaftsepulis. Da die Gingiva Rezeptoren für Östrogen und Progesteron hat, kommt es auch zu einer Beeinflussung der subgingivalen Plaque. Anaerobier wie Prevotella intermedia werden durch die Hormone in ihrem Wachstum begünstigt, was wiederum zu Entzündungen und weiterer Förderung der Zahnfleischschwellung führt. Die hormoninduzierte Gingivahyperplasie kann entsprechend dieser beiden Entstehungsschienen daher entweder eher fibrös durch Fibroblastenproliferation oder weich ödematös durch die Entzündung imponieren. Nach Normalisierung des Hormonspiegels bilden sich viele dieser Hyperplasien von selbst zurück. Im Vordergrund stehen hier bei der Therapie zunächst die Plaquekontrolle und Entzündungshemmung und erst sekundär in besonders hartnäckigen Fällen ein chirurgischer Eingriff.

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass vor Gingivektomien bei Zahnfleischhyperplasien immer die Ursache abzuklären ist. Erst dann wird eine kausale, langfristig wirksame Kontrolle der Erkrankung ermöglicht.

Ch. Eder, L. Schuder

Gingivahyperplasie bei akuter Leukämie.