Blicke aufs Gesicht

ZMT sprach mit Prof. DDr. Michael Rasse. Er studierte in Graz Medizin, absolvierte seine zahnmedizinische Ausbildung in Wien, arbeitete dann sieben Jahre im LKH Klagenfurt, ehe er an die Wiener Univ.-Klinik für MKG-Chirurgie zurückkehrte und sich 1993 habilitierte. Im Jahr 2000 wurde er Primar in Wels, und seit 2004 leitet er die Innsbrucker MKG-Klinik.

Wie lauten die Gedanken eines MKG-Chirurgen zum Thema „Gesicht"?
RASSE: Das Gesicht ist das bevorzugte Organ unserer Kommunikation, der sprachlichen wie der nicht-sprachlichen. Es ist wie keine andere Region der Beurteilung durch unsere Umwelt ausgesetzt - an der Ästhetik und dem Charakter des Gesichts wird Kritik geübt. Das Gesicht ist untrennbar mit unserem Selbstverständnis verbunden. Alle Veränderungen des Gesichts durch Wachstum, Altern, Erkrankungen und Verletzungen haben einen kommunikativen und ästhetischen Aspekt. Sie beeinflussen die Selbsteinschätzung und das Selbstwertgefühl.

Die MKG-Chirurgie beschäftigt sich mit allen Strukturen und Funktionen des Gesichts. Bei angeborenen oder erworbenen Erkrankungen oder altersbedingten Abweichungen vom Ideal müssen Skelett- und Stützgewebe, die Muskulatur, die anderen Weichgewebe und die Haut beurteilt bzw. therapiert werden. Auch „rein ästhetischen Problemen" liegen oft komplexe Struktur- und Funktionsprobleme zu Grunde.

Hinter störenden, prominenten Nasen könnte also ein umfassenderes skelettales Problem stehen?
RASSE: Ja, es könnten z.B. zu weit hinten liegende Kiefer für die Problematik verantwortlich sein oder eine Fehlbeziehung zwischen Ober- und Unterkiefer. Die Nase steht ja nicht isoliert im Gesicht. Den meisten Ärzten, aber nicht allen, ist dies bewusst. (Bei den Patienten hingegen ist das Wissen darüber gering.) Generell wäre der interdisziplinäre Wissensaustausch zu intensivieren.

Könnten Sie bitte die Innsbrucker Univ.-Klinik für MKG-Chirurgie kurz vorstellen?
RASSE: Unsere Klinik ist in der Lage, die gesamte Breite des Fachs abzudecken. Traumatologie, die Behandlung kraniofazialer Missbildungen, Tumorchirurgie (inkl. Rekonstruktionschirurgie), die Chirurgie von Dysgnathien. Günstig ist, dass wir auch für die zahnärztliche Chirurgie zuständig sind. Durch diese Konstellation gibt es keine Kompetenzstreitigkeiten und ein positives Arbeitsklima.
An der Klinik für MKG-Chirurgie arbeiten 20 Ärzte und Ärztinnen, alle doppelt approbiert, d.h. mit abgeschlossenem Medizin- und Zahnmedizinstudium. Zumindest derzeit haben wir kein Nachwuchsproblem.

Einer meiner persönlichen Schwerpunkte ist die Kiefergelenkschirurgie (häufig nach Traumen). Dies war auch Thema meiner Habilitation. In den letzten 20 Jahren habe ich zahlreiche internationale Kurse dazu durchgeführt. Es handelt sich - durch die Nähe zu den Gesichtsnerven - um ein anatomisch schwieriges Gebiet. Da wir auch mit Ohrspeicheldrüsenchirurgie befasst sind, haben wir aber viel Erfahrung mit den Gesichtsnerven. Die Klinik beschäftigt sich weiters auch mit funktioneller Gelenkchirurgie.

Wie verhält es sich an Ihrer Klinik mit der interdisziplinären Zusammenarbeit?
RASSE: Sehr intensiv ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Neurochirurgie - bei Tumoren, Traumen, Fehlbildungen; interdisziplinäre Zusammenarbeit ist hier täglich gelebte Praxis, kein bloßes Wort. Auch mit der HNO-Klinik und HSS-Klinik gibt es eine intensive Kooperation (und auch eine gemeinsame Sprechstunde), weiters mit der Unfallchirurgie. Innerhalb der Zahnklinik ist die Kooperation selbstverständlich. MKG und Kieferorthopädie möchten die Zusammenarbeit besonders forcieren. Auch die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kieferchirurgen und Zahnärzten ist hervorragend. Wir führen mit hoher Frequenz Knochentransplantationen für Implantate durch, Eingriffe, die in der Praxis schwer möglich sind. Die OP-Kapazitäten wurden entsprechend ausgeweitet.

Erwähnt sei auch, dass es an der Klinik eine hervorragende radiologische Abteilung gibt, auf dem allerletzten Stand, mit mehreren angestellten Physikern. Uns stehen 3D-Simulation, 3D-Navigation und 3D-Modelle zur Verfügung. Patienten wissen oft gar nicht, was für ein wunderbares Gesundheitssystem wir haben.

Wie beurteilen Sie die Fortschritte im Bereich der Transplantationschirurgie?
RASSE: Die Forschritte im Bereich der Transplantation erlauben eine viel umfassendere Tumorchirurgie und können zweifellos Schicksale positiv beeinflussen. Gesichtsteile (bzw. auch das gesamte Gesicht) könnten im Prinzip transplantiert werden. Indikationen und technisches Rüstzeug sind vorhanden, aber immunologisch sind wir noch nicht so weit. Durch die notwendige Immunsuppression besteht die Gefahr, dass der Tumor wieder auftritt. So sind die Transplantationen heute auf andere, seltenere Indikationen beschränkt.

Worüber haben Sie sich zuletzt geärgert?
RASSE: Über die sich ausbreitende Unsitte, dass Patienten Befundpakete per E-Mail zur „Begutachtung" schicken und anfragen, ob bei uns eine Behandlung möglich ist. Bereits nach kurzer Zeit wird urgiert, wo denn die Antwort bleibt. Wie soll man mit solchen Anfragen umgehen? Das ist eine schwierige Sache.

Haben Sie einen Wunsch an die Gesundheitspolitik?
RASSE: Ich würde mir mehr niedergelassene Fachärzte für MKG-Chirurgie wünschen, im Land verteilt. Schließlich gibt es nicht wenige Patienten, die keiner stationären Aufnahme bedürfen. Das Problem ist, dass in der Ordination durchgeführte MKG-Leistungen nicht mit einem eigenen Kassenvertrag abgerechnet werden können.

Herzlichen Dank für das Interview! Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner.

Prof. DDr. Michael Rasse