Ergänzendes Fach - Orale Biologie in Wien

Seit etwas mehr als einem Jahr vertritt Prof. Dr. Reinhard Gruber das Fach „orale Biologie“ an der niversitätszahnklinik Wien, seit Ostern in Vollzeit. Wir sprachen mit dem stolzen Familienvater (das zweite Kind wird zu Weihnachten erwartet) über seinen Fachbereich und seine Karriere.

Wie wird denn „orale Biologie“ eigentlich definiert?

GRUBER: Die orale Biologie ist ein integratives, verbindendes und ergänzendes Fach. Es geht um den Zahn, den Halteapparat, die Schleimhaut, das Kiefergelenk, die Speicheldrüsen; man benötigt Kenntnisse in Anatomie, Histologie, Physiologie, Pathologie etc. Es freut mich sehr, dass es in Wien einen Lehrstuhl für Orale Biologie gibt. In Europa existieren nicht viele, auf Anhieb fallen mir nur Amsterdam und Zürich ein.

Wie kamen Sie von der Universität für Bodenkultur auf die Zahnklinik und zur oralen Biologie?

GRUBER: Ich habe in Wien an der Boku Lebensmittel- und Biotechnologie studiert und meine Dissertation im AKH am Institut für Allgemeine und Experimentelle Pathologie (Prof. Peterlik) gemacht. So kam ich zum Knochen, bin also „bone biologist“ und war anschließend im Rheumatologie-Bereich tätig, wo ich mich mit Knochenregeneration beschäftigte. Seit 1999 war ich an der Abteilung für Orale Chirurgie tätig. Als ich eine Assistentenstelle bekam, war die wissenschaftliche Laufbahn für mich vorgezeichnet. 2004 habilitierte ich mich in Zellbiologie. Derzeit finden sich in der „Scopus“-Datenbank 133 Artikel (mit Peer-Review) von mir, der h-Index (Maß für Produktivität und Zitierungshäufigkeit) beträgt 25. Ich kümmerte mich in einer Lehrveranstaltung um die  wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden und war Blockkoordinator für Block Z-1 (Kau- und Bewegungsapparat). Als stellvertretender Curriculumsdirektor war ich zuständig für die Diplomarbeiten, inklusive dem A-priori-Qualitätszirkel, wo das Thema vorgestellt wird. Ich gründete und leitete von 2006 bis 2012 das interdisziplinäre Doktorandenprogramm „Bone and Joint Regeneration“. Dabei war es mir sehr wichtig, dass das Programm in Bezug auf alle Disziplinen (Orthopädie, Traumatologie, Rheumatologie, Radiologie, physikalische Medizin, Pathophysiologie, Zahnmedizin) integrativ ist. Der jetzige Leiter ist übrigens Prof. Peter Pietschmann. Im Jahr 2012 wurde ich Leiter des Labors für orale Zellbiologie an den Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern. 2014 folgte ich dann dem Ruf als Professor für „orale Biologie“ an die Medizinische Universität Wien.

Welche Pläne haben Sie für die „orale Biologie“?

GRUBER: Die Ziele des neuen Faches „orale Biologie“ sind, die translationale Forschung, also gezielte Grundlagenforschung im Bereich der regenerativen Zahnmedizin zu etablieren und die theoretischen Grundlagen in das Zahnmedizin-Curriculum zu integrieren. Es geht uns um die Umsetzung von grundlegenden Erkenntnissen aus der Zell- und Entwicklungsbiologie, der Genetik und der Materialforschung bei der Entwicklung von Therapie-strategien in der Zahnmedizin. Therapien sollen gezielt entwickelt werden, unter Berücksichtigung der molekularen Mechanismen von Gewebeentstehung und -umbau. Beispielsweise stellt uns die Regeneration des Zahnhalteapparates vor große Herausforderungen. Hier sollen uns Mausmodelle weiterhelfen. Wir haben uns etwa die Veränderungen von Knochen, Zähnen und Parodont bei Sclerostin-Knockout-Mäusen – Sclerostin ist ein Knochenbildungshemmer– angesehen (Kuchler et al., Int J Oral Science 2014). Ein anderes Beispiel betriff t TNF-alpha-transgene Mäuse, diese haben Gelenksprobleme (wie bei Rheuma). Auch das Kiefergelenk ist betroffen, und möglicherweise auch der Zahnhalteapparat. Hier stellt sich die klassische Frage: Braucht man für die Parodontitis zusätzlich Bakterien oder genügt die Überproduktion von TNF-alpha? Mausgenetik wird bei uns sicher ein Schwerpunkt sein. Für die „-omics“-Untersuchungen (Genomik, Proteomik, Metabolomik) benötigen wir Kooperationspartner, aber das sollte kein Problem sein. Ich bin international gut vernetzt und beispielsweise im Stiftungsrat der Osteology Foundation, so wie z.B. auch Prof. Buser, Bern, Prof. Hämmerle, Zürich, oder Prof. Sanz, Madrid. Ebenfalls bin ich im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Osteologie. So sollte es auch möglich sein, junge Wissenschafter nach Wien zu holen. Demnächst kommen Kolleginnen und Kollegen aus dem Iran, der Schweiz und Brasilien zu uns. Brasilien ist übrigens ein zahnmedizinisches Zukunftsland mit vielen wissenschaftlich orientieren Universitäten.

Was liegt Ihnen noch am Herzen?

GRUBER: Wir möchten uns – entsprechend dem Entwicklungsplan der med. Universität für die Zahnklinik – in die postgraduelle Ausbildung einbringen und sind für Kooperationen mit allen Fächern offen. Und als Editor des International Journal of Stomatology and Occlusion Medicine hoffe ich natürlich immer auf gute Artikel.

Danke für das Gespräch!

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

 

 

Prof. Dr. Reinhart Gruber