Ältere Menschen Mastikation – ein wichtiger Faktor zur Erhaltung der Gesamtgesundheit

Zahlreiche exo- und endogene Einflüsse können im fortgeschrittenen Lebensalter zu Beeinträchtigungen der oralen Gesundheit führen. Parodontitis, Knochenabbau und letztendlich Zahnverlust verschlechtern die Kaufunktion mit oft unterschätzten Folgen für den gesamten Organismus.

Weltweit waren 2022 rund 8% der Bevölkerung über 64 Jahre alt, davon sind, bedingt durch den schlechten sozialökonomischen Status in Entwicklungsländer 30% der zwischen 65- und 74-Jährigen zahnlos, eine noch weit größere Anzahl leidet unter dem Verlust mehrerer Zähne. In Europa ist die Situation durch den höheren Lebensstandard insgesamt besser, allerdings entstehen auch hier durch die gestiegene Lebenserwartung erhöhte Anforderungen an die Alterszahnmedizin. Bei einer Restbezahnung unter 20 ist die Effizienz der Kaufunktion in jedem Fäll signifikant beeinträchtigt. Allerdings spielt nicht nur die Anzahl, sondern auch die Position der verbliebenen Zähne im Zahnbogen eine wichtige Rolle. Besonders im Bereich der Molaren verzichten viele Patienten auf technische Versorgung, da der Verlust „hinterer Zähne“ nicht als kosmetische Beeinträchtigung gesehen wird, obwohl gerade die Mahlzähne eine wichtige Funktion bei der Mastikation haben. Ein weiteres Kriterium ist das Fehlen eines korrespondierenden Zahns, da der Kontakt zwischen Ober- und Unterkiefer und damit ein funktionaler Biss in diesem Bereich verloren geht. Schlechter Zahnstatus oder im schlimmsten Fall völlige Zahnlosigkeit haben entscheidenden Einfluss auf die Auswahl der Nahrungsmittel. Je geringer die Zahl der erhaltenen Zähne, desto negativer sind die Auswirkungen auf Ernährung und Verdauung. Lebensmittel mit fester Konsistenz wie Obst, Gemüse und Fleisch werden zugunsten von weichen, leicht zu zerkleinernden Nährstoffen vermieden. Viele Süßspeisen und weiches Weißbrot können leicht mit Hilfe der Zunge zerdrückt werden. Dies führt nicht nur zu einer Atrophie der Kaumuskulatur und der damit verbundenen Abnahme der Kieferschließkraft, sondern auch zu einseitiger ungesunder Ernährung. Die veränderten Essgewohnheiten und eingeschränkte Speisenwahl resultieren bei alten Menschen rasch in einer Malnutrition. Es kommt zu einer Imbalance bei der Aufnahme von Energieträgern mit zum Teil gegensätzlichen Manifestationen. So kann eine aus den Kauproblemen resultierende Verweigerung eines großen Teils wichtiger Nahrungsmittel zu Gewichtsverlust, Muskelabbau und krankhaft verminderten Body Mass Index führen. Werden hingegen die Essgewohnheiten völlig auf fett- und zuckerreiche Kost umgestellt, besteht sogar Gefahr von Übergewicht bis zur Fettleibigkeit. Die von Kohlenhydraten und gesättigten Fettsäuren dominierte Ernährung fördert die Entstehung und Exazerbation von Diabetes mellitus II und Hypercholesterinämie. Zudem beeinträchtigt die durch Fehlernährung stark verringerte Aufnahme von Mikronährstoffen wie Vitaminen und Spurenelementen viele Körperfunktionen. Menschen mit Mastikationsproblemen leiden häufig unter Mangel an Vitamin B1 und B12. Die Folgen sind Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Muskelschwäche, Sensibilitätsstörungen und Konzentrationsprobleme. Mangel an Kalzium und Eisen verursachen Muskelspasmen, Krämpfe und Wundheilungsstörungen; zu geringe Aufnahme von Vitamin A und C schwächen das Immunsystem und erhöhen die Infektanfälligkeit. Unzureichende Zufuhr an Antioxidantien steigert die allgemeine Entzündungsbereitschaft.

Mastikation stimuliert Gedächtnisleistungen

Die Mundhöhle ist der Eingang zum Gastrointestinaltrakt und zugleich die erste Station für eine funktionierende Verdauung. Eine ausreichende Zerkleinerung der Speisen ist Voraussetzung für den Transport durch die Speiseröhre zum Magen. Bei gestörter Mastikation sind nicht nur die Nahrungsbrocken zu groß, auch die Freisetzung von Speichel wird nur mangelhaft stimuliert. Der Nahrungsbolus ist damit viel zu trocken und sperrig, der Schluckvorgang wird erschwert und die bei alten Menschen häufig manifeste Xerostomie verschärft zusätzlich das Problem. Die empfindliche Mundschleimhaut wird nicht ausreichend durch einen Speichelfilm gegen mechanische Noxen geschützt, es entstehen Mikroverletzungen und Erosionen, welche wiederum ein idealer Nährboden für potenziell pathogene Pilze und Bakterien und damit Substrat für orale Entzündungen sind. Ein funktionsfähiges Gebiss hat allerdings auch noch andere wichtige Funktionen. Zahlreiche Untersuchungen wie MMSE und Montreal Cognitive Assessment belegen den Zusammenhang zwischen Mastikation und kognitivem Status bei älteren Personen. Schlechte Kaufunktion ist ein signifikanter unabhängiger Risikofaktor für Gedächtnisstörungen bis hin zur Entwicklung einer Demenz. Ein wichtiges Kriterium ist die durch gute Mastikation geförderte Durchblutung spezifischer Gehirnregionen wie Cortex, Cerebellum, Thalamus und Hippocampus. Letzerem kommt wegen seiner Aufgaben für räumliche Vorstellung und Lernen besondere Bedeutung zu. Im Tierversuch wurde bei Einschränkung der Kaufunktion eine deutliche Reduktion des Volumens dieser Gehirnregion sowie eine Abnahme der Pyramidenzellen im Ammonshorn des Seitenventrikels nachgewiesen. Ebenso verminderten sich die dendritischen Verzweigungen durch intrazelluläre Veränderungen des neuronalen Zytoskeletts. Zahnverlust, besonders der Molaren, führt über Verminderung der Zellproliferation zu einer Abnahme der Neurogenese im Gyrus dentatus des Hippocampus und der subventrikulären Zone des Vorderhirns, beides Schlüsselregionen für das Gedächtnis. Die Auswirkungen von Zahnverlust im Alter gehen weit über ausschließlich orale Probleme hinaus. Die steigende Lebenserwartung und der Anspruch einer älteren Bevölkerung auf hohe Lebensqualität machen die Alterszahnmedizin zu einem zentralen Thema. Ganzheitliches Vorgehen und interdisziplinäre Therapieansätze sind auch hier Grundlage für patientengerechte Behandlung.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at