Zusammenhänge - Ablehnung topischer Fluoride, Impfgegnerschaft und Aberglaube

In der Zahnmedizin gibt es aktuell einen Paradigmenwechsel hin zu einem präventiven Ansatz, der sich vom restaurativen Ansatz entfernt.

Aus der „Länder–Zahnstatuserhebung 2016: Sechsjährige in Österreich“ geht hervor, dass nahezu die Hälfte (45%) der Sechs- bis Siebenjährigen in Österreich bereits Karies haben oder hatten. So konnte in den Jahren 2006 – 2016 zwar eine minimale Verbesserung in der Kariesprävalenz festgestellt werden, dennoch ist Österreich nach wie vor weit von der WHO-Empfehlung entfernt. In einem Postulat der Weltgesundheitsorganisation gab diese eine Kariesfreiheit von 80% bei den Volksschulanfängern bis 2020 als Ziel vor, was selbst bei weiterer Absenkung der Prävalenz in Österreich nicht erreichbar gewesen wäre (1). Der Anstieg der Impfskepsis unter Eltern und das wachsende Interesse an alternativer Medizin sind mitverantwortliche Faktoren für diesen Trend. Neben dem Verzicht auf zuckerhaltige Getränke und Speisen trägt die regelmäßige Mundhygiene und der Einsatz topischer Fluoride maßgeblich zur langfristigen Zahngesundheit bei, denn lokal angewendet wirken topische Fluoride kariostatisch (2, 3). Die EAPD (European Academy of Paediatric Dentistry) empfiehlt ab dem Erreichen des 6. Lebensjahres eine Zahnpaste mit 1.450 ppm Fluorid (4). Dessen ungeachtet verzichten etliche Eltern, vermutlich aus Angst oder Unwissenheit, auf topische Fluoride in der Zahnpaste ihrer Kinder. Es steht außer Frage, dass Fluorid auch schädlich sein kann, allerdings erst ab sehr hohen oral zugeführten Dosen beziehungsweise einer chronisch zu hohen oralen Aufnahme. Beispielsweise beträgt die PTD (probably toxic dose) für Kleinkinder 5mg/kg Körpergewicht (5). Angesichts dieser Daten ist nicht klar, was manche Eltern von einer angemessenen Fluoridierung der Zähne ihrer Kinder abhält. Ist es fachliche Unwissenheit, das Vertrauen auf alternativmedizinische Systeme oder blanker Aberglaube? Eine kürzlich erschienene Studie aus den USA zeigte einen Zusammenhang zwischen Impfgegnerschaft und der Ablehnung topischer Fluoride (7). Für Österreich konnte eine deutliche negative Korrelation zwischen medizinischer Bildung und dem Glauben an Alternativmedizin sowie eine positive Korrelation des Glaubens an Alternativmedizin mit dem Glauben an Paranormales belegt werden (8).

Masterarbeit

Im Rahmen einer 2022 verfassten Masterarbeit wurden die Zusammenhänge zwischen Ablehnung topischer Fluoride, Impfgegnerschaft und dem Glauben an Paranormales näher untersucht (9). Das Ziel dieser Studie war es, mögliche Korrelationen zwischen den Meinungen der Eltern zu wissenschaftlich und medizinisch relevanten Themen zu untersuchen, wie zum Beispiel:
• der Ablehnung der passiven Immunisierung
ihrer Kinder
• der Ablehnung topischer Fluoride
in der Zahnpflege ihrer Kinder
• dem Glauben an Paranormales
Mittels randomisierter Online-Fragebögen wurde anhand einer siebenteilige Likert-Skala die Meinung von 153 Eltern von Volksschulanfängern im Alter von sechs bis sieben Jahren zu Aussagen über den präventiven Einsatz topischer Fluoride, über passive Immunisierung sowie über paranormale Überzeugungen auf Basis bereits bestehender Skalen, z.B. rPBS, erhoben. Die statistische Auswertung erfolgte mittels Spearman Rank Korrelation. Dabei wurden entsprechend der Fragestellung die Korrelationen zwischen jeweils Fluoridgegnerschaft, Impfgegnerschaft und dem Glauben an Paranormales berechnet. Fluoridbefürwortung und Impfbefürwortung korrelierten hoch signifikant positiv. Zwischen rPBS und Impf- als auch Fluoridbefürwortung wurden hoch signifikant negative Korrelationen festgestellt. Weder die Fluorid- oder Impfbefürwortung noch die rPBS korrelierte signifikant mit dem Alter der Betreuungsperson. Ähnliche Ergebnisse in Bezug auf Fluorid- und Impfskepsis wurden in der Literatur bereits beschrieben, wie zum Beispiel in einer Studie aus dem Jahr 2014 mit dem Titel: „Caregivers Who Refuse Preventive Care for Their Children: The Relationship Between Immunization and Topical Fluoride Refusal“ von Donald L. Chi. Chi kam in seiner Studie ebenfalls zum Ergebnis, dass die Verweigerung von Impfungen signifikant mit der Verweigerung von topischen Fluoridbehandlungen verknüpft ist (10). Bei der Untersuchung der subjektiven Qualität der Aufklärung von Eltern durch medizinisches Fachpersonal konnte eine signifikant positive Korrelation mit der Durchimpfungsrate und der Verwendung von fluoridhaltigen Kinderzahnpflegeprodukten festgestellt werden. Bei der Analyse des Einflusses von Bildungsniveau der Eltern auf die Meinung zu Fluoriden und Impfen, konnte ein signifikanter Einfluss bei den Abschlüssen mit Matura und jenen mit Studium festgestellt werden. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich, dass der Faktor Matura den höchsten Einfluss hat. Dies lässt den Schluss zu, dass Eltern mit Matura dem Impfen und der Verwendung von Fluoriden in der Obsorge ihrer Kinder signifikant positiver eingestellt sind als jene ohne Matura. Bei den Erziehenden mit Matura ergab sich zusätzlich ein signifikanter Unterschied beim Glauben an Paranormales im Vergleich zu den Erziehenden mit niedrigeren Abschlüssen. Jene Eltern, die eine Ausbildung mit einem Abschluss niedriger als Matura absolviert haben erzielten signifikant höhere Werte bei der rPBS. Auf Grund dieser Ergebnisse ist davon auszugehen, dass Ausbildung und Bildung wichtige Aspekte sind, von denen in späterer Folge die Entscheidung für oder gegen präventive medizinische Versorgung der eigenen Kinder abhängt. Zusätzlich ist nicht zu vernachlässigen, dass jene Eltern, die ein geringes Bildungsniveau aufweisen und an paranormale Phänomene glauben, wie auch schon in der Literatur beschrieben, eine potentielle Neigung zu alternativer Medizin haben. Es erscheint logisch, dass sich durch Bildungsferne eine hochgradigere Skepsis bzw. Ablehnung der so genannten „Schulmedizin“ gegenüber – und somit auch dem Impfen und den topischen Fluoriden gegenüber – begründen lässt. Des weiteren wurde festgestellt, dass die positive Meinung der Eltern stark durch jene des/der behandelnden Arztes/Ärztin beeinflusst wurde. Die negative Einstellung der Eltern hingegen wurde durch direkte oder indirekte Bekanntschaft von Personen mit Impfschäden beeinflusst. Es konnte außerdem festgestellt werden, dass die Eltern nur selten über die genauen Inhaltsstoffe und Wirkweisen der Impfstoffe und Zahnpflegeprodukten Bescheid wussten. Fühlten sich die Eltern gut informiert, gaben sie signifikant häufiger an, ihr Kind habe alle staatlich empfohlenen Impfungen erhalten und es würde fluoridhaltige Zahnpflegeprodukte verwenden. Es konnte ein klarer Zusammenhang zwischen der Ablehnung topischer Fluoride, Impfgegnerschaft und dem Glauben an Paranormales festgestellt werden. Auf Basis dieser Ergebnisse sollten neue Strategien zum Umgang mit betroffenen Eltern entwickelt werden. Die Wichtigkeit von Aspekten wie Bildungsniveau der Eltern, Qualität der Aufklärung und Information der Eltern durch medizinisches Fachpersonal konnten hoch signifikant nachgewiesen werden. Im Hinblick auf die Zahngesundheit von Kindern werden allerdings weitere Untersuchungen notwendig sein, um zu prüfen welche Art der Information und Aufklärung am besten geeignet ist. Es sollte vorderstes Ziel sein in naher Zukunft zu prüfen, wie man der Impfmüdigkeit und der Fluoridverweigerung von Eltern erfolgreich entgegenwirken kann.

Literaturverzeichnis:

1. Bodenwinkler A, Sax G, Kerschbaum H. Länder-Zahnstatuserhebung 2016: Sechsjährige in Österreich. Zahnstatus sechsjähriger Kinder mit und ohne Migrationshintergrund. Gesundheit Österreich GmbH, Wien. 2017.
2. JOHANSEN , E. Topical fluoride in the prevention and arrest of dental caries. Continuing evaluation of the use of fluorides. 1979: p. 61-110.
3. Maguire A. ADA clinical recommendations on topical fluoride for caries prevention. Evid. Based. Dent. 2014: p. 38-39.
4. Toumba KJ, Twetman S, Splieth C, Parnell C, van Loveren C, Lygidakis NΑ. Guidelines on the use of fluoride for caries prevention in children: an updated EAPD policy document. Eur. Arch. Paediatr. Dent. 2019: p. 507-516.
5. Whitford GM. Fluoride in dental products: safety considerations. J. Dent. Res. 1987: p. 1056-1060.
6. Hellwig E, Schiffner U, Schulte A. Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe. [Online].; 2020 [cited 2021 03. Available from: https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/pati/bzaekdgzmk/2_01_fluoridierung.pdf.
7. Carpiano RM, Chi DL. Parents' attitudes towards topical fluoride and vaccines for children: Are these distinct or overlapping phenomena? Preventive medicine reports. 2018 Jun: p. 123–128.
8. Eder E, Eder SJ, Mustafa SG, Federspiel K. Correlation between medical knowledge and belief in alternative medicine. 2019 Aug 24.
9. Riener A, Hof M, Eder E. Misunderstanding parental care: Relationships between topical fluoride use, "Anti-Vaxxers", and paranormal belief. 2022 September..
10. Chi Donald L. Caregivers Who Refuse Preventive Care for Their Children: The Relationship Between Immunization and Topical Fluoride Refusal. 2014

Kontakt:

Dr.med.dent Anna Riener, BSc Med,
Abteilung für Parodontologie; SFU Zahnklinik; 1020 Wien
anna.riener@med.sfu.ac.at

 

Tabellen und Abbildungen zum Artikel:

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Tab. 1: Korrelationen zwischen rPBS, Impf- und Fluoridbefürwortung (eigene Darstellung)