Karies in der Kieferorthopädie: ODV-Wissenschaftspreis des ZIV

Im Herbst 2022 erhielt Prof. Dr. Anahita Jablonski-Momeni, Zahnklinik Marburg, den ODV-Wissenschaftspreis des ZIV für ihre Arbeit über die Detektion initialkariöser Läsionen bei Patienten mit festsitzender KFO mittels eines neuartigen Kariesindikators. ZMT sprach mit der Preisträgerin, die auch Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) ist. (Ein Interview mit der Preisträgerin von 2021, Dr. Lilla Laura Schnabl, findet sich in Ausgabe 6–8/22).

Ihr Lebenslauf in Kurzform?

JABLONSKI-MOMENI: Ich habe an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Zahnmedizin studiert und 1998 promoviert. Danach arbeitete ich in einer oralchirurgischen Praxis und promovierte im Jahr 2000. Anschließend war ich am Medizinischen Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Kinderzahnheilkunde tätig, habilitierte 2009 und wurde 2011 außerplanmäßige Professorin. Als diese Extraabteilung in die Zahnerhaltung integriert wurde, erhielt ich das Angebot, an der Abteilung für Kieferorthopädie der Marburger Zahnklinik weiter zu forschen und zu unterrichten.

Sie haben auch einen Lehr-auftrag an der DPU Krems?

JABLONSKI-MOMENI: Ja, seit 2018. Es geht um präventive (Zahn-) Medizin. Ich bin zwei- bis viermal im Jahr in Krems; die Tutorien werden meist online abgehalten.

Worum genau geht es in der preisgekrönten Arbeit?

JABLONSKI-MOMENI: In einer In-vitro-Studie haben wir eine neuartige Lösung (BlueCheck) zur Anwendung auf Zahnschmelz untersucht. Ist Hydroxylapatit porös, verfärbt er sich nach Applikation der Lösung blau. Auf diese Weise kann man initialkariöse Läsionen, die mit bloßem Auge häufig nicht entdeckt werden, visualisieren. BlueCheck ist klinisch noch nicht freigegeben, der Hersteller wartet aktuell auf die FDA-Zulassung. Die Publikation der erwähnten Studie erfolgte 2022 in „Caries Research“. 6 bis 8 Wochen nach Einsetzen einer festsitzenden Apparatur kommt es häufig zu einer Demineralisation, die nur mit sehr gut geschultem Auge zu sehen ist. Wenn diese durch das neue Mittel frühzeitig erkannt wird, kann man die initiale Karies u.a. mittels lokaler Fluoridierung und Optimierung der Mundhygiene an der Progression hindern.

Welche Faktoren spielen bei der Kariesentstehung bei KFO-Patienten eine Rolle?

JABLONSKI-MOMENI: Man kann sagen, hier kommen verschiedene Aspekte der Kariesentstehung zusammen. Die Bereiche um die Brackets sind Retentionsstellen für Beläge. Viele Patienten/Patientinnen essen in den ersten Tagen weiche Kost, die kaum Kauaktivität auslöst. Daher fließt der Speichel nicht ausreichend, somit kommt dessen schützender Effekt geringer zum Tragen. Weiters befinden sich Patienten, die Zahnspangen erhalten, nicht selten in der Pubertät. Hier lässt u.a. die Mundhygiene öfters zu wünschen übrig. Allgemein kann man sagen, dass bei Patienten mit einer festsitzenden kieferorthopädischen Apparatur Bedingungen zusammenkommen, die häufig eine Demineralisation begünstigen können. Es gilt, diese Faktoren zu eruieren und die Entstehung von initialen Läsionen zu vermeiden. Sollte es zur Entstehung von Demineralisationen kommen, bildet eine frühzeitige Detek-tion eine wesentliche Grundlage, um diese Läsionen zu inaktivieren.

Was ist aus Ihrer Sicht generell zur Kariesdiagnostik zu sagen?

JABLONSKI-MOMENI: Dies ist ein wichtiger Teil meines Jobs. Karies ist nach wie vorher omnipräsent, 30 bis 40 Prozent der Erwachsenen leiden daran. Derzeit ist ja Parodontitis ein großes Thema, man darf aber auf Karies nicht vergessen – in der Lehre und im zahnmedizinischen Alltag. Das Problem ist, dass wir Kariesdiagnostik nicht gut abrechnen können. Es gibt ja auch Methoden, z.B. basierend auf Fluoreszenz oder Laser, sie sind im Leistungskatalog der Kassen aber nicht abgebildet. Schon die Anschaffung ist teuer, wir müssen den Patienten also eine entsprechende Summe verrechnen. In den USA sind die Patienten eher bereit, für Kariesdiagnostik und -management zu bezahlen. Je eher initiale Läsionen entdeckt werden, desto früher kann man auch Fluoride einsetzen; es gibt aber auch weitere Mittel wie bestimmte Peptide, die die Remineralisation des Schmelz unterstützen können. Die Evaluation dieses Verfahrens ist ein weiteres Forschungsfeld von mir.

Was liegt Ihnen noch besonders am Herzen?

JABLONSKI-MOMENI: Moderne präventive Methoden sollten in Lehre und Praxis Einzug halten. Stehen mehr Möglichkeiten zur Verfügung, ist auch die Akzeptanz bei Patienten besser. Wenn ein Verfahren beim Patienten nicht funktioniert, sollte zumindest eine Alternative angeboten werden. Aktuell steht die Alterszahnmedizin stark im Fokus, was ich sehr wichtig finde; ich bin auch in dieser Richtung klinisch und wissenschaftlich aktiv. Dennoch sollten wir dabei Kinder und Jugendliche nicht vergessen. Aktuelle Daten zeigen, dass etliche Kinder in der COVID-19-Pandemie-Zeit nicht den Weg zum Zahnarzt/zur Zahnärztin gefunden haben, was sicherlich die Entstehung u.a. von Karies befördert hat. Die Mundgesundheit von jungen Menschen sollte daher erneut in den Fokus gerückt werden. Insgesamt sollen Menschen in allen Altersgruppen von der zahnmedizinischen Prävention profitieren.

Herzlichen Dank
für das Interview!

Priv.-Doz. Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Prof. Dr. Anahita Jablonski-Momeni