Pferdezahnmedizin - Ein Pferd zeigt keinen Schmerz

Dr. Lisa Stelzmayer studierte in Wien Veterinärmedizin und arbeitete danach in einer Tierarztpraxis nahe Graz sowie in verschiedenen Praxen in Österreich. 2011 war sie als Assistentin in einer Pferdeklinik in England (West Yorkshire) tätig. „Hier entwickelte sich endgültig meine Liebe zur Pferdezahnmedizin“, so Stelzmayer. Zurück in Österreich, eröffnete sie im Mostviertel eine Praxis für mobile Zahnbehandlungen bei Pferden. ZMT führte mit der Pferdezahntierärztin das folgende Gespräch.

Warum ist eine regelmäßige Zahnpflege beim Pferd notwendig?

STELZMAYER: Pro Jahr schieben sich die Zähne 2 bis 3 Millimeter aus dem Zahnfach heraus. Während das Urpferd den Großteil des Tages hartes Steppengras zerkaut und so die Zähne entsprechend abgenutzt bzw. eingekürzt hat, fressen die Pferde heute weiches Heu und auch Körnerfutter. Dadurch entstehen scharfe Kanten und Spitzen, überlange Zähne und unregelmäßige Höhen, was unter anderem zu Schleimhautverletzungen führen kann. Einmal im Jahr sollte daher eine Kontrolle durch einen Profi erfolgen. Die Korrektur von Kanten, Spitzen und überlangen Zähnen erfolgt mittels Beraspelung. Diese Behandlung schmerzt nicht, da sich der Nerv viel weiter in der Tiefe des Zahnes befindet als beim Menschen.

Haben Pferde ähnliche Zahnerkrankungen wie Menschen?

STELZMAYER: Ja. Zu nennen sind Karies und Parodontitis (mit Taschenbildung und Zahnfleischrückgang), eröffnete Pulpen, Wurzelinfektionen und Zahnfrakturen. Nur beim Pferd kommt EOTRH (Equine Odontoclastic Tooth Resorption and Hypercementosis) vor. Man weiß nicht, wieso diese Krankheit auftritt. Auf jeden Fall greift hier das Immunsystem die Schneide- und Eckzähne an.

Wird das Pferd bei der Behandlung sediert?

STELZMAYER: Ja, wir beruhigen das Pferd mit Hilfe eines Alpha-2 Agonisten und eines Morphinderivats. Auch Schmerzmittel kommen zum Einsatz. Eine Vollnarkose ist heute nur mehr in weniger als einem Prozent der Fälle notwendig.

Welche Symptome deuten auf Zahnprobleme hin?

STELZMAYER:
Pferde zeigen als Fluchttiere keinen Schmerz, auch bei schweren Verletzungen kaum, daher ist es besonders schwierig, das Leiden einzuschätzen. Hinweise auf Schmerzen sind ein veränderter Augeneindruck (schmälere Lidspalte) und hinaufgezogene Lefzen. Wenn Pferde schlecht fressen, kann das auf Zahnprobleme hindeuten, ebenso fauliger Ausfluss aus Maul oder Nase, Gestank aus dem Maul sowie Schwellungen im Kopfbereich.

Was versteht man unter Wolfszähnen?

STELZMAYER: Das Urpferd hatte 7 Backenzähne, jetzt sind es nur mehr 6. Wolfszähne sind die Überreste der 5er. Die Trense kann auf die Wolfszähne drücken und so Schmerzen verursachen.

Was ist zum Thema „Futter“ zu sagen?

STELZMAYER: Basis des Futters ist Raufutter. Das heutzutage beliebte Pferdemüsli enthält oft zu viel Zucker und Melasse. Auch Brot ist besonders ungünstig, es gräbt sich beim Zermahlen in die raue Oberflächenstruktur der Zähne ein. Pferdezähne haben ja drei Schichten mit unterschiedlichem Härtegrad – Zement, Schmelz und Dentin – daher die besondere Mahlfähigkeit der Backenzähne. Bananen sind auch nicht geeignet, und ich verbiete auch Würfelzucker. Zucker kann bei vorgeschädigten Zähnen Karies begünstigen – er reichert sich in den Vertiefungen (Infundibula) an und gärt dort mit Futter.

Warum sind Pferdezähne oft gelblich oder bräunlich?

STELZMAYER: Das kommt von Gerbstoffen in Gras und Heu. Generell sind Pferdezähne leichter färbbar als unsere Zähne, da ihre oberste Schicht aus Zement besteht.

Sie sind auch geprüfte Pferdedentalpraktikerin. Sind Sie die einzige in Österreich?

STELZMAYER: Nein, aber es gibt nur sehr wenige Pferdedentalpraktiker-innen nach IGFP (Internationale Gesellschaft zur Funktionsverbesserung der Pferdezähne).

Was beeindruckt Zahnärzte und –ärztinnen bei der Pferdezahnmedizin am meisten?

STELZMAYER: Zunächst die Größe der Pferdezähne und wie weit diese nach hinten reichen. Der letzte Zahn befindet sich unter dem Auge. Zahnärztinnen und -ärzte finden es auch unglaublich, was heute in der Pferdezahnmedizin alles möglich ist, etwa die Reimplantation von (toten) Zähnen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Weitere Infos:
https://www.pferdezahnarzt.co.at

Priv.-Doz. Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

 

Dr. Lisa Stelzmayer