Orale Keimbelastung - Pneumonie und Infekte der oberen Atemwege als Folge

Unsere Mundflora enthält eine große Zahl unterschiedlicher Mikroorganismen, darunter auch zahlreiche potenzielle Erreger von Atemwegsinfektionen. Besonders für alte Menschen und hospitalisierte Patienten stellen bronchopulmonale Infektionen eine hohe Gefährdung dar. Eine Reihe aktueller Studien beschäftigt sich deshalb mit dem Zusammenhang zwischen Pneumonie und oralen Erkrankungen.

Durch die an sich positive längere Erhaltung der eigenen Zähne ist die ältere Generation heute vermehrt von gingivalen und parodontalen Erkrankungen betroffen. Das Keimspektrum dieser oralen Läsionen umfasst Anaerobier, aerobe Bakterien und Hefen wie Candida. Die Keime sind an der Zahnoberfläche und im Sulkus in Form von komplexen Biofilmen organisiert. Bei zunehmender Dicke dieser Plaques lösen sich winzige Fetzchen des Belages ab und können durch Aspiration über die offene Verbindung zwischen Mundhöhle, Rachen und Luftröhre in das Atemsystem gelangen. Spanische, japanische und indische Untersuchungen zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem parodontalen Status und dem Risiko einer Lungenentzündung. Parodontitispatienten in fortgeschrittenem Alter haben bis zu 10-mal häufiger Pneumonien als oral Gesunde. Eine vergleichende Studie von Awano et al. an fast 700 80-jährigen Patienten zeigte ein 3,9-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko für Pneumonie, wenn mehr als zehn Zähne Taschentiefen von über 4mm aufwiesen. Besonders gefährdet für nosokomiale Pneumonien sind Hochrisikopatienten in Intensivstationen. Aber auch ältere Menschen in Pflegeheimen weisen mit 18% eine erheblich erhöhte Inzidenz für Aspirationspneumonien auf. Dies steht in Zusammenhang mit dem im Alter schwächeren Immunsystem, aber auch anderen Risikofaktoren wie Dysphagie, eingeschränkter Bewusstseinslage, allgemeinen Grunderkrankungen und eingeschränkter Lungenfunktion.

Das oral/pulmonale Erregerspektrum und seine Pathomechanismen

Mikrobiologische Daten zeigen, dass ein erheblicher Teil der Pneumonien durch Bakterien der oropharyngealen Flora ausgelöst wird. Besonders pulmonale und pleuropulmonale Anaerobierinfektionen resultieren aus dem Spektrum der parodontal pathogenen Bakterien. Meist sind es Mischinfektionen mit aeroben Keimen. Unter den Anaerobiern dominieren Bacteroidesspezies, besonders aus der B.-melaniogenicus-Gruppe wie Prevotella und Porphyromonas. Daneben zählen auch  Fusobakterien und Peptostreptokokken zum Erregerspektrum. Diese Keime verfügen über potente Virulenzfaktoren. Dazu gehört einerseits die Produktion von Endotoxinen, anderseits auch die Bildung von Neuraminidasen durch saccharolytische Bacteroidesstämme. Die Fähigkeit dieser Bakterien zur Auslösung von Pneumonien wurde von Kannangara et al. im Tierversuch bestätigt. Hier lösten nach Inokulation in die Trachea Stämme von Fusobacterium, Bacteroides, Eubacterium und Peptostreptococcus in mehr als 90% eine Pneumonie aus.
Neben den typischen Parodontalkeimen spielen aber auch andere orale Bakterien eine wichtige Rolle. Vergrünende Streptokokken (mitis, sanguis, mutans und salivarius), Laktobazillen und Corynebakterien, welche eigentlich in adäquater Dichte Bestandteile der normalen Mundflora sind, können bei schlechter Mundhygiene und überproportionaler Vermehrung zu gefährlichen bronchopulmonalen Mischinfektionen führen.
Ein besonderes Problem sind die atypischen Keime bei lang bestehenden oder mit Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus assoziierten Parodontopathien. Dazu zählen neben Staphylococcus aureus auch die Enterobakterien mit Klebsiella, Escherichia coli, Proteus und Pseudomonas. Diese an sich nicht zur normalen oralen Flora gehörigen Keime führen nicht selten zu Exazerbationen der parodontalen Entzündungen mit rasch fortschreitendem Gewebsabbau und Einschwemmung von Toxinen ins periphere Blut. Die Keime interagieren nach Aspiration mit den anderen Erregern und können über bakterielle Synergismen zu einer Steigerung der Virulenz der oralen Flora führen. Hinzu kommt, dass vor allem Staphylokokken und die gramnegativen Enterobakterien und Pseudomonaden oft eine Reihe von Resistenzen gegen üblicherweise bei bronchopulmonalen Erkrankungen eingesetzten Antibiotika haben.

Nächtliches Tragen der Prothesen ist für geriatrische Patienten ein Risikofaktor

Ein weiteres Erregerreservoir für mögliche Atemwegsinfekte geht von keimbesiedelten Teil- und Vollprothesen aus. Mangelnde oder insuffiziente Reinigung der „dritten Zähne“ bewirkt eine massive Plaquebildung, besonders an den Auflageflächen der Prothesen. Die gute Haftung mikrobieller Biofilme wird durch die Oberflächenrauigkeiten älteren Prothesenmaterials begünstigt. Bevorzugt bei schlechtem Prothesensitz entwickelt sich zwischen Schleimhaut und Kunststoff ein keimfreundliches Milieu. Retinierte Nahrungsreste sowie durch Reibung und Druckstellen entstehende Epitheldefekte stellen für Bakterien und Pilze ein ideales Nährstoffreservoir dar. Besonders von den bei älteren Prothesenträgern häufigen Candidainfektionen geht Gefahr für die betroffenen Patienten aus. Die Pseudohyphen der Hefen können in das Prothesenmaterial einwachsen und von dort aus die Schleimhäute immer wieder reinfizieren. Auch wenn Candida bei der Genese nosokomialer Pneumonien nur eine untergeordnete Rolle spielt, hat sie doch eine nicht zu unterschätzende Triggerfunktion für das Aufwachsen anderer pathogener Keime. Durch Veränderung des oralen pH-Wertes und synergistische Wechselwirkung mit zahlreichen Bakterienspezies wird ein gefährliches Milieu für respiratorische Infektionen geschaffen. Vor allem das Tragen des Zahnersatzes während des Schlafes kann das Risiko einer Lungenentzündung verdoppeln. Da in den Schlafphasen fast immer kleine Speichelmengen aspiriert werden, ist eine keimbelastete Prothese eine zusätzliche Gefahrenquelle.

Mundhygiene beim geriatrischen Patienten

Sämtliche Faktoren unterstreichen die Wichtigkeit einer optimalen Mundhygiene beim geriatrischen Patienten. Die Kontrolle des Zahnstatus und des Zustandes eines möglichen Zahnersatzes sind wichtige Voraussetzungen für die Allgemeingesundheit. Auch der alte pflegebedürftige Mensch benötigt tägliche Zahnreinigung und regelmäßige professionelle Mundhygiene. Anfeuchtung der Schleimhaut und damit Verhinderung von Xerostomie ist ein wichtiger Faktor um Verletzungen der Mukosa und unverhältnismäßiges Bakterienwachstum zu vermeiden. Zur Spülung und Pflege der Schleimhaut von gefährdeten Patienten wird nach Angaben des RKI (Robert-Koch-Institut) Wasser nur im filtrierten Zustand (2um Filter) empfohlen. Von der Verwendung von Leitungswasser wird dringend abgeraten. Natürliche Mundpflegemittel wie Salbei, Kamille oder Teebaumöl tragen zur Homöostase der oralen Flora bei. Im Infektionsfall muss allerdings, wenn auch nur möglichst kurzfristig, je nach Keimspektrum auf chemische Plaquehemmer oder Antibiose/Antimykose zurückgegriffen werden.

Ch. Eder, L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und
Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at

 

So schön sieht der Staphylococcus aureus aus