Spannende Medizin - Sind wir nicht alle ein bisschen „Doktor House“?

Ich begegne dem Patient Werner G. im Krankenhaus. Ins Gesicht steht ihm die Frage geschrieben: „Was soll ich mit einem Zahnarzt?“ Ich kann seine Haltung schon verstehen. Er hat andere Sorgen und er hat ja keine Zahnschmerzen. Allerdings ist er so geschwächt, dass er jetzt alles über sich ergehen lassen würde. Wieso ich also hier bin? Sein Schwiegersohn Thomas ist ein Freund von mir und hat mich um diesen Besuch gebeten.

Werner G. war kurz zuvor mit einer hoch fiebrigen Infektion, in einem von seinem Hausarzt als kritisch bewerteten Zustand, ins Krankenhaus eingeliefert worden. Eine Diagnose war kein Problem. Schnell stellten die Ärzte dort fest, dass er an einer Sepsis es litt. Nur nützt alleine die Diagnose nicht, um Heilung bewirken zu können. Auch heute noch versterben jedes Jahr Menschen an einer Sepsis und mit mehr als 1/3 aller Erkrankungsfälle gar nicht so wenige. Manchmal tritt sie nach einer offenen Verletzung auf, manchmal, weil es sekundär zu einer Verunreinigung einer Wunde kommt. Die Bakterien breiten sich, wenn das Immunsystem dem bakteriellem Angriff nicht Herr werden kann, ungehindert über die Blutbahn aus. Doch Werner G. war unverletzt und hatte noch nicht einmal Schmerzen. Deshalb hatte er auch so lange gewartet, bevor er seinen Hausarzt aufgesucht hat.
Nachdem der Arzt, der Werner G. aufgenommen hatte, selbst keine Ursache für die Sepsis feststellen konnte, erfolgte eine ganze Reihe von Konzilen bei verschiedensten Fachrichtungen. Doch keiner der Experten konnte die Keimquelle finden. Walter G. war zwischendurch teilweise kaum noch ansprechbar gewesen. Seiner Familie wurde mitgeteilt, dass die Bakterien bereits die Funktionen wichtiger Organe in Mitleidenschaft gezogen hatten. Zwischendurch kam es immer wieder zu tachykarden Phasen und wegen der Atementgleisungen wurde bereits mehrfach über künstliche Beatmung nachgedacht. Die Ärzte im Krankenhaus verbrachten Höchstleistungen: Volumengabe, antimikrobielle Therapie, Kortison.etc., so dass er stabilisiert werden konnte. Doch den Fokus konnten sie trotz aller Bemühungen nicht finden.
In dieser Situation hatte ich mit Thomas telefoniert. Nicht als Arzt, sondern weil er mir einen Termin zum Kaffeetrinken absagen wollte. Er hatte in diesem Moment einfach keinen Nerv dafür. Ich hörte sofort an seiner Stimme, dass mehr dahinter steckte als Unlust und fragte nach.
Nachdem ich seine Geschichte gehört hatte und weil ich nicht an Zufälle glaube, fragte ich, ob auch ein Zahnarzt sein Schwiegervater bereits untersucht hätte. Warum? Die Zähne seien vor einiger Zeit grundsaniert worden, berichtete Thomas.
Ich bat ihn trotzdem, diesen Punkt noch einmal mit den behandelnden Ärzten abzuklären. Wir alle, auch wir Mediziner, sind Menschen und nicht unfehlbar. Jeder von uns hat schon einmal etwas übersehen. Je kritischer und für den Patient belastender die Situationen ist, desto sicherer ist es, noch ein zweites, drittes, viertes Mal hin zu sehen oder jemand anderen noch einmal mit anderer Blickrichtung draufschauen zu lassen.
Zuerst telefonierte Thomas mit dem Zahnarzt seines Schwiegervaters. Dieser war allerdings nicht sehr kooperativ. Vermutlich befürchtete er, jemand wollte ihm unsaubere Arbeit unterstellen. Dabei ging es nur darum wirklich alles abzuklären. So kam es zu meinem Besuch in einem Krankenhaus. Da der Zahnarzt beim Telefonat nicht bereit gewesen war, die aktuellen Röntgenbilder zur Verfügung zu stellen, wählten wir in dieser Akutsituation einen anderen Weg. Nach der intraoralen Inspektion hatte ich bereits eine Kieferregion in Verdacht. Dort zeigte sich eine Lymphstauung im Gewebe, die jedoch so dezent war, dass dies nur einem Therapeuten auffällt, der auf diesem speziellen diagnostischen Gebiet geschult ist. Und mein Eindruck war, dass der Knochen leicht unter meinem Druck nachgab. Aber konnte dieser nicht eindeutige orale Befund wirklich für diesen umfangreichen Leidensweg ursächlich sein? Die zugehörigen submandibulären Lymphknoten waren ebenfalls geschwollen und der Adler-Langer-Reflexpunkt dieser Region war stark druckschmerzhaft. Über eine Surrogatstestung mittels funktioneller Myodiagnostik/Applied Kinesiology ließ sich zusätzlich die verdächtige Region, selbst bei verblindetem Test, als Focus diagnostizieren.
Mit allen diesen Parametern „bewaffnet“ trat ich an den behandelnden Klinikarzt heran, um meinen Verdacht vorzubringen. Der behandelnde Arzt hielt zwar nichts von der Art meiner Untersuchung –“Esotherikquatsch“ –, dennoch ließ er sich von der durchaus palpierbaren Lymphstauung an der Halsregion überzeugen, von Kiefer und dieser Region speziell eine weitere bildgebende Untersuchung erstellen zu lassen. Ihm war so bewusst wie mir, dass es für den Patienten knapp  werden konnte, wenn nicht bald der Fokus lokalisiert und behandelt werden konnte. „Greifen wir nach allen Strohhalmen“ sagte er „vielleicht haben wir Glück.“
Eine knappe Stunde später meldete sich der zuständige Radiologe. „Da ist wirklich eine riesige Entzündung an der Spitze einer Zahnwurzel. Echt krass.“ Der Fokus war gefunden. Die Bakterien kamen wirklich von den Zähnen. Noch am gleichen Tag wurde der Entzündungsherd eröffnet. Und obwohl die orale Inspektion keine so eindeutigen Befunde gezeigt hatte, entleerte sich nach der Inzision massenhaft Pus.
Bereits am Abend teilte mir Thomas mit, dass es seinem Schwiegervater besser ginge. Am nächsten Morgen war er fieberfrei. Ein paar Tage später wurden die beiden devitalen Zähne, die das Herdgeschehen verursacht hatten, entfernt. Nach einigen weiteren Beobachtungstagen konnte Walter G. die Klinik gesund und munter verlassen.
Es sind Geschichten wie diese, die uns alle immer wieder daran erinnern sollten, dass der Mensch ein Ganzes ist und alles mit allem zusammenhängt. Dies zeigt, dass es bei unklaren Befunden sinnvoll sein kann, ab und zu mal zu denken wie Dr. House. Nur weil Sie einmal keine Lösung oder einen Zusammenhang  finden, heißt es nicht, dass es keinen gibt. Betrachten Sie den Fall noch einmal neu, lassen Sie sich die ganze Krankengeschichte von der Geburt bis heute einmal erzählen, erkennen Sie Zusammenhänge und holen Sie sich weitere Spezialisten mit an Bord.
Ganzheitsmedizin oder auch integrale Medizin schließt  alles ein und gibt Ihnen gemeinsam mit Ihrem Netzwerk, die Möglichkeit Ihren Patienten viel Sorgen und Mühen zu ersparen. Wen glauben Sie wird er zukünftig seinen Freunden empfehlen?

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at