Zahnärzte und HIV/Teil 2: Die Bedeutung des Zahnarztes in der HIV-Therapie

Orale Manifestationen sind oft nicht nur die ersten Anzeichen einer AIDS-Erkrankung oder eines Therapieversagens, neue Daten weisen auch darauf hin, dass Parodontitis eine latente HIV-Infektion aktivieren könnte.

Rechtlich gesehen darf der Zahnarzt einen Patienten ohne Angabe von Gründen ablehnen, muss diese Ablehnung nur eventuell vor der Krankenkasse begründen. Und wie klug es für Freiberufler ist, Kundschaft abzulehnen und ob die Ablehnung (berufs-)ethisch vertretbar ist, muss jeder wohl für sich entscheiden. Die Angst vieler Zahnärzte vor HIV-positiven Patienten ist jedenfalls, wie in der letzten Ausgabe beschrieben, unbegründet.

In Mittel- und Westeuropa ist die HIV-Infektion heute dank der HAART (hoch-aktive anti-retrovirale Therapie) de facto eine chronische Krankheit. Heute hat ein 20-jähriger HIV-Infizierter eine Lebenserwartung von etwa 60 Jahren.

OA Dr. Rainer A. Jordan

Das wiederum bedeutet, dass auch HIV-Patienten der üblichen zahnärztlichen Versorgung bedürfen. Dem Zahnarzt kommt nun insofern eine besondere Bedeutung in der HIV-Therapie zu, als die oralen Läsionen oft die ersten Anzeichen eines Virusdurchbruchs bzw. einer Neuinfektion sind.

Orale Manifestationen
Schon in den frühen 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden in der „Classification and Diagnostic Criteria for Oral Lesions in HIV Infection" mit einer HIV-Infektion assoziierte orale Manifestationen nach der Strenge der Assoziation in drei Gruppen eingteilt: Streng assoziiert (Gruppe-1-Läsionen) sind Candida albicans, orale Haarleukoplakie, Kaposi-Sarkom, nekrotisierende, ulzerierende Gingivitis und Parodontitis sowie das lineare Gingivaerythem. In Gruppe 2, als weniger häufig mit HIV assoziiert, finden sich etwa melanotische Hyperpigmentationen oder Speicheldrüsenerkrankungen. Zu den Krankheiten in Gruppe 3, die im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion beobachtet wurden, zählen rekurrierende, aphthöse Ulzera oder die epitheloide Angiostomatose.
 

Akute nekrotisierende ulzerierende Parodontitis an den Pfeilerzähnen eines teleskopierenden Zahnersatzes bei einem 40-jährigen Patienten mit unbekannter HIV-Infektion.

Unter HAART sieht das Bild allerdings anders aus. Einige orale Manifestationen sind mit einer hohen Viruslast von über 10.000 RNA-Kopien/ml Plasma assoziiert, wie OA Dr. Rainer A. Jordan, Fakultät f. ZMK der Univ. Witten-Herdecke, in einer Studie an 92 HIV-1-seropositiven Patienten herausfand. Orale Candidiasis etwa ist unter Therapie nicht mehr zu finden. Auch die orale Haarleukoplakie verschwindet, wenn auch die Remission zu Beginn einer antiretroviralen Therapie Monate dauern kann. Dafür kann eine ausgeprägte Dysorganisation der Lymphozyten im gingivalen Gewebe auftreten. Bekannte Symptome sind orale Ulzera, Dysgeusie, Speicheldrüsenerkrankungen, Papillome (peri-)orale Parästhesien und die aphthöse Stomatitis.

Zustand einer chronischen Parodontitis nach vergangenen Schüben einer NUG/P bei einem antoretroviral therapierten Patienten (46 J.)

Orale Ulzera treten bei der Therapie mit Abacavir, Ritonavir und Atazanavir in etwa 5% der Fälle auf, etwas seltener (0,1-1%) bei Therapie mit Darunavir und Lopinavir. Hypersekretion der Speicheldrüsen tritt unter Darunavir sowie seltener unter Didanosin auf. Xerostomie findet sich unter Ritonavir und Lamivudin häufig, unter Darunavir und Lopinavir gelegentlich und unter Didanosin selten. Dies ist hinsichtlich des erhöhten Risikos für Karies und Parodontitis bedeutsam, auf deren Prävention bei HIV-Patienten besonders geachtet werden muss.

Obwohl der Zusammenhang zwischen HPV und HAART nicht geklärt ist, ist das Papillomrisiko bei Patienten stark erhöht. Papillome sollten schnell in einer dermatologischen Spezialambulanz behandelt werden, da sie sonst rasch disseminieren und schwer behandelbar werden.
Noch unbekannt sind die oralen Nebenwirkungen neuer HIV-Medikamente wie den Integrasehemmern oder den CCR5-Antagonisten.

Parodontitis auch bei HIV bedeutend
Für Zahnärzte wohl besonders interessant sind neue Hinweise darauf, dass bestimmte Parodontitiserreger zu einer Reaktivierung einer latenten HIV-Infektion führen können. Jordan: „Das würde bedeuten, dass eine unbehandelte Parodontitis einen Risikofaktor für die Progression der HIV-Infektion darstellen würde. Außerdem haben wir soeben ein Manuskript im Journal of Clinical Periodontology eingereicht, das neue Erkenntnisse zur möglichen Beeinflussung einer HAART auf den subgingivalen Biofilm nahelegt. Insofern scheint sich hier - wie bei anderen chronischen Erkrankungen im Zusammenhang mit PAR - eine neue wissenschaftliche Datenlage herauszukristallisieren, die von klinischer Relevanz für den Zahnarzt ist."

Nicht zu unterschätzen sind auch die Wechselwirkungen der antiretroviralen Medikamente mit Psychopharmaka inklusive der Sedativa die als Prämedikation zur Anästhesie verwendet werden, mit Antimykotika, Kortikoiden und Antiinfektiva. Auch Wechselwirkungen mit Antibiotika sind möglich. Generell empfiehlt sich daher für Nichtspezialisten unter den Zahnärzten die Konsultation eines HIV-Spezialisten vor Verschreibung eines Medikaments.

Livia Rohrmoser

Literatur:
Axéll, T., Azul, A. M., Challacombe, S., et al.: Classification and diagnostic criteria for oral lesions in HIV infection. EC-Clearinghouse on oral problems related to HIV Infection and WHO Collaborating Centre on Oral Manifestations of the Immunodeficiency Virus. J Oral Pathol Med 22, 289 (1993).

Jordan RA, Implikationen der antiretroviralen Therapie in der Oralmedizin. Schweiz. Monatsschr. Zahnmed. (2007), Vol 117 (12):1210-1216

Jordan RA, Gängler P, Raetzke P, Prävalenz oraler Manifestationen bei HIV-seropositiven Patienten unter dem Einfluss der hochaktiven antiretroviralen Therapie, Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift (2007), Vol. 62 (6): 376-385.
 

Kaposisarkom als dunkel-violette, beidseitige Auftreibung im harten Gaumen als AIDS-Indikatorkrankheit bei einem 36-jährigen Patienten.
Alle Fotos: OA Dr. Rainer A. Jordan