Amortisation ? Schein und Sein Teil 5: Die Niederlegung

Sie haben ein Leben lang schwer gearbeitet und denken, nun ist es eigentlich genug. Warum sollen sie sich weiter in der Kassenpraxis abstrampeln und den schon ein wenig schmerzenden Rücken krumm machen?

Der Tag der Praxisübergabe rückt also immer näher. Schon vor Jahren haben Sie an einen langsamen, quasi organischen Übergang gedacht, nämlich daran, eine JungärztIn in die Ordination zu nehmen und den Übergang gleitend vorzunehmen. Warum das dann doch nicht so passiert ist, ist leicht erklärt. Der Umsatz ist in den letzten Jahren gefallen und war Ihrer kritischen Prüfung nach einfach zu gering, um zwei Ärzte gut zu ernähren. Sie haben das Problem Übergabe also vor sich hergeschoben und gedacht, wenn es dann wirklich so weit ist, kommt schon der/die Richtige.

Noch vor 20 Jahren hatte man als niederlegende KollegIn gewisse Gestaltungsmöglichkeiten. Noch war die Zeit der Punktevergaben, Reihungen und Hearings nicht angebrochen, man konnte mit einem selbst erwählten Nachfolger also ziemlich „frei" verhandeln. Die niederlegenden Kolleg-Innen fühlten sich dazu auch berechtigt, denn schließlich hatten sie in ihrem langen Berufsleben ja auch etwas geschaffen, was einen objektiven (messbaren) Wert darstellte. Nun, die Zeiten sind lange vorbei. Heute leben wir im Zeitalter der Punkte, der Reihungslisten und der Hearings. Und heute ist man (wer ist dieses „man" eigentlich?) der Meinung, ein Kassenvertrag sei kein Gegenstand wirtschaftlicher Handelbarkeit. Für den Niederleger sind die Bedingungen heute nicht gut. Schlecht ist schon einmal, dass Niederlegungsrichtlinien Landessache sind, also von Bundesland zu Bundesland differieren. Besonders schlecht sind für den Niederleger vor allem jene, die ihn zwingen, schon vor der Übergabe seinen Kassenvertrag zu kündigen. Denn wie immer die Geschichte weitergeht - und sie geht nicht immer gut weiter! -, für den Niederleger gibt es unter solchen Bedingungen kein Zurück mehr.

Keine objektiven Kriterien
Nun, wie geht es also weiter? Heute ist es so, dass die Führenden der Punktelisten zu Hearings gebeten werden. Da gibt es dann bei der Entscheidungsfindung kaum mehr wirklich objektive Kriterien. Man kann das vielleicht am besten mit den Haltungsnoten beim Skispringen oder Eiskunstlauf vergleichen. Mit der zunehmenden Kandidatenmenge besteht dem Zeitgeist folgend auch die Gefahr, dass unterlegene Bewerber den Rechtsweg beschreiten, das Urteil der Kommission also anfechten, was die ganze Angelegenheit natürlich in die Länge ziehen würde. Am Ende dieses Weges steht der Niederleger jedenfalls einer nicht selbstgewählten KollegIn gegenüber. Da können vollkommen verschiedene Vorstellungen aufeinanderprallen, wobei der Niederleger in einer äußerst schlechten Position ist.

Und es ist auch durchaus nicht gesagt, dass diese KollegIn unbedingt die Ordination des Niederlegers übernehmen will. In zunehmendem Maße bewerben sich nämlich Wahlärzte mit bereits bestehender Ordination um die Kassenverträge der niederlegenden KollegInnen. Hat ein Niederleger großes Pech, kann er im worst case also tatsächlich vollkommen „überbleiben", und das ist nicht wirklich lustig.

Der Fall, dass Ordinationskredite in der Pension noch bedient werden müssen, wird wohl nur sehr selten auftreten. Aber dass auf den Niederleger horrende Zahlungen für langjährige Mitarbeiterinnen nach der Abfertigung alt zukommen, schon weit eher. Gar keine guten Nachrichten gibt es für die angehenden Pensionisten auch vom WFF. Summarisch gesprochen wird die ÄK-Pension jedenfalls nicht die sein, die man sich erwartet hat.

Zubrot als Wahlarzt
Mancher Kollege denkt daran, auch in seiner Pension noch ein bisschen zu arbeiten. Ich habe z.B. einen Bekannten, der in seinem Privathaus eine kleine, schon jahrelang kaum mehr benutzte Zweitordination hat. Wir haben lebhaft diskutiert, ob es sich rentieren würde, diese Struktur für seine Pension wieder zu aktivieren. Nach längerem Hin und Her sind wir dann zu dem Ergebnis gekommen, dass das ganze Unternehmen aus reinen Amortisationsgründen eine mehr als unsichere Sache wäre. In der Pension quasi als Wahlarzt mit Kleinststruktur neu zu beginnen, mit all den Investitionen, die auch bei so einem Unternehmen nun einmal unvermeidbar sind, schien uns beiden dann eine sehr, sehr unsichere Sache zu sein. Da könnte die Möglichkeit, sich mit den eigenen Arbeiten stundenweise in Fremdordinationen „einzumieten", noch wesentlich praktikabler sein.

So, das war sie, die Serie über die Amortisation. Und wenn wir ein Resümee ziehen, so ist es ein bitteres. Denn die Rechnung stimmt schon lange nicht mehr. Es beginnt schon bei der Existenzgründung. Seit 1.1. 1997 sind wir unecht umsatzsteuerbefreit und werden dafür mit einem geradezu lächerlichen „Ausgleichssatz" von 4,8% abgespeist. Die ÄK-Funktionäre, die das damals ausverhandelt haben, hatten nur die Interessen jener KollegInnen im Auge, die berufsbedingt wenig Ausstattungs- und Wareneinsatz haben. Keiner dieser „Interessenvertreter" hat damals an Fachgruppen wie ZMK oder auch Radiologie gedacht. Billigend nahm man in Kauf, dass junge KollegInnen dieser Fächer ab nun mit 120% einrichten und Waren ankaufen mussten und das ohne jeden adäquaten Ausgleich oder irgendeine Unterstützung bei der Existenzgründung.
Standespolitisches Versagen

Solche Verhältnisse geschaffen zu haben, ist für mich das größte standespolitische Versagen, das ich je erlebt habe, und diese Schande soll die Ärztekammer verfolgen bis ans Ende ihrer Tage. Das Hauptproblem für den Kassenarzt ist weiters, dass die Vertragspartnerseite, in planwirtschaftlichen Denkschemata gefangen, versucht, die Gesetze einer ordentlichen wirtschaftlichen Gebarung einfach zu negieren. Dort, wo die Kostenwahrheit aus ideologischen Gründen außer Kraft gesetzt wird, hat die private Kleinstruktur einen schweren Stand. Beide Großparteien sind uns nicht wohlgesinnt, und auch die Liebe der EU zu Kleinstrukturen ist bekanntermaßen enden wollend.

Peinigend für uns ist außerdem, sehen zu müssen, dass es vielen Entscheidungsträgern am elementarsten Grundwissen über unseren Berufsstand fehlt. In jüngerer Vergangenheit haben wir gesehen, dass es der Sache auch gar nicht dienlich ist, wenn EntscheidungsträgerInnen versuchen, mangelnde Kompetenz durch übersteigerte Präpotenz wettzumachen. Zu der Zeit, da diese Zeilen geschrieben wurden (Anfang Oktober 2009), ist auch punkto der so lange beschworenen Gesundheitsreform nur klar, dass der Staat in der einen oder anderen Form zahlen soll.

Polemisch gesprochen lesen sich die diversen „Konzepte" etwa wie: Gegen Alter, Krankheit, Hässlichkeit und Armut, für Jugend, Gesundheit, Schönheit und Reichtum. Ein nachvollziehbares und damit auch wirklich realisierbares Konzept sucht man in all der Papierflut vergeblich.
Wirklich deprimiert wird man aber, wenn man an die Zukunft denkt. Ich habe im näheren Kollegenkreis eine kleine Umfrage gemacht. Siehst du, habe ich die KollegInnen gefragt, irgendetwas, was für uns Zahnärzte in Zukunft besser werden könnte? Irgendeinen Bereich, in dem es wirklich aufwärts geht? Die Antworten waren durch die Bank nicht ermutigend. Und die, die erwachsene Kinder haben, meinten nur: Bin ich froh, dass meine Kinder nicht Zahnärzte geworden sind!

Dr. Peter Standenat