Die Innsbrucker KFO-Klinik im Fokus: Prof. Dr. Adriano Crismani

Prof. Dr. Adriano Crismani studierte in Triest Zahnheilkunde und dentale Prothetik und kam 1995 an die Wiener Zahnklinik, wo er ab 2004 stellvertretender Leiter war. 2006 habilitierte er zum Thema „skelettale Verankerung".

Im April 2007 bewarb er sich um die Leitung der Innsbrucker Universitätsklinik für Kieferorthopädie. „Bereits wenige Tage danach erhielt ich eine Antwort, was mich positiv überraschte", so Crismani. Im November 2007 fand dann das Hearing statt, und im Januar 2009 stand fest, dass Crismani der neue Direktor sein würde. In „Amt und Würden" ist er seit 1. März 2009.

Wie sieht Ihr Rückblick auf das erste halbe Jahr als Direktor der Universitätsklinik für Kieferorthopädie aus?
CRISMANI:
Ich bin an eine wunderschöne Abteilung mit netten Kollegen und Kolleginnen gekommen. Auch die Stadt Innsbruck gefällt mir sehr gut, es ist eine Stadt mit Charakter und großem Flair. An der Klinik habe ich eine sehr gute, moderne Struktur mit ausgezeichnet geschulten, motivierten und engagierten MitarbeiterInnen vorgefunden. Ich bin meinem Vorgänger Prof. Richter sehr dankbar, dass ich nicht bei Null anfangen musste.

Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit?
CRISMANI: Große Bedeutung hat für mich die Lehre. Undergraduate-Lehre zählt zu den Aufgaben eines Universitätsprofessors, sie sollte solide durchgeführt werden und eine Art Visitenkarte sein. In der Vorlesung möchte ich ein gewisses Maß an Interaktivität erreichen und die Studierenden motivieren. Ich versuche, die Vorlesung immer zu aktualisieren, zum Bespiel durch neue, interessante Fälle. Auf diese Weise wird sich die Vorlesung eines Jahres durchaus von der des vorangegangenen Jahres unterscheiden.

Was die Forschung an meiner Klinik betrifft, so würde ich meinen, dass man eher von Untersuchungen sprechen sollte. Schließlich beschäftige ich mich mit Nachuntersuchungen und Überprüfungen neuer kieferorthopädischer Methoden, Materialien oder Hilfsmittel.
Zu meinen Aufgaben gehört auch die klinische Tätigkeit, die einerseits für den Spitalsträger (TILAK) wichtig ist, andererseits für die Ausbildung sowie auch für die Klärung brennender klinischer Fragen. Keinesfalls will ich aber eine Konkurrenz für niedergelassene Kollegen darstellen. Im Gegenteil, die Abteilung steht diesen immer offen.

Sehr wichtig ist mir auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im Unterschied zu Wien ist die Innsbrucker Zahnklinik im Uni-Campus situiert, man ist also „mitten im Spital drinnen". Interdisziplinäre Sprechstunden (jede 2. Woche) gibt es derzeit mit der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts-chirurgie (gemeinsame Spaltensprechstunde) und mit der Universitätsklinik für Plastische Chirurgie, auch mit der Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen gibt es regelmäßige Jour fixes.

Innerhalb des Hauses kooperieren meine Assistenzärzte sehr gut mit den Kollegen von der Klinik für Zahnersatz/Zahnerhaltung sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Weiters möchte ich eine wissenschaftliche West-Ost-Achse mit meinem früheren Lehrer Prof. Bantleon etablieren, etwa um 3D-Messungen durchführen zu können.

Was waren aus Ihrer Sicht im Bereich der Kieferorthopädie die wichtigsten Entwicklungen der letzen 15 Jahre?
CRISMANI: Die Röntgenuntersuchung hat sich immer mehr in die digitale Richtung entwickelt (CT, DVT und zum Teil auch MR). Das war in meiner Anfangszeit noch ganz anders. Die Computertomographie wurde in Wien von Prof. Watzek an die Klinik gebracht, wovon auch die Kieferorthopädie profitiert hat. Weiters steht in der Kieferorthopädie die Ästhetik immer mehr im Vordergrund, es geht nicht nur um die Funktion. Früher hat man die Frage „Extraktion: ja oder nein?" speziell in Amerika zum Teil rein mechanisch gesehen, dies hat sich sicher geändert. Zu nennen ist natürlich auch - neben den selbstligierenden Brackets - die kieferorthopädische skelettale Verankerung. Bei Osteosyntheseplatten und Minischrauben ist die Entwicklung in den letzten zehn Jahren geradezu explodiert.

Was ist zum Thema „biologische Aspekte der Zahnbewegung" zu sagen?
CRISMANI: Eine wichtige Frage lautet hier: Was ist die richtige Kraft? Der Richtwert liegt bei etwa 100 bis 150g, aber ganz genau weiß man es nicht. Die Kraftgröße beeinflusst die Geschwindigkeit der Zahnbewegung nicht, die Entstehung von Schäden hingegen schon. Wichtig zu wissen ist auch, dass es im Hinblick auf Zahnbewegungen „slow mover" und „fast mover" gibt.

Wie sollte die kieferorthopädische Behandlung von Patienten mit Kiefergelenksdysfunktionen ablaufen?
CRISMANI: Auf Kiefergelenksdysfunktionen wurde früher - so wie auf Ästhetik - viel zu wenig geachtet. Man muss unbedingt kiefergelenksgerecht behandeln - mir wurde dies in Wien in diesem Sinne beigebracht. Zunächst sollte eine grobe Untersuchung der Gelenke durchgeführt werden. Die Bissnahme sollte in Neurozentrik erfolgen, hier ist die Kaumuskulatur entspannt und der Unterkiefer befindet sich in einer korrekten Position.

Von Prof. Sato beziehungsweise auch von Dr. Onodera habe ich - neben der Liebe zum Detail - gelernt, Rücksicht auf das gesamte stomatognathe System zu nehmen. Wenn man Modelle ein bisschen genauer betrachtet, dann ist es möglich, mit geringem Aufwand auch gröbere Zwangsbisssituationen und Mittellinienverschiebungen zu beseitigen. Ich denke, man muss von der Sato-Philosophie nicht alles übernehmen, man kann aber auf jeden Fall sehr viel davon lernen.

Welche Entwicklungen erwarten Sie für die Zukunft?
CRISMANI: Ich denke, dass Stammzellen und biologische Aspekte große Bedeutung haben werden. Persönlich finde ich die biologischen Aspekte der Zahnbewegung sehr interessant. Ich möchte dazu in Zukunft Tierexperimente durchführen und etwa die Beteiligung von Entzündungsmediatoren genauer untersuchen.

Herzlichen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner

Prof. Dr. Adriano Crismani