Mikrobiell verursachte Erkrankungen Teil 7: Prothese und Entzündung

Die Lebensqualität älterer Menschen hängt nicht unwesentlich vom Erhalt einer optimalen Kaufunktion ab.

Gerade bei sehr alten Patienten sind oft gravierende Mängel bei der Mundhygiene festzustellen. Speisereste sammeln sich unter der Prothese an, es entsteht damit ein Nährboden für Keime. Durch die Plaqueretention kommt es zur Ausbildung komplexer mikrobieller Biozönosen am Prothesenlager. In diesen Bio-filmen bestehen zahlreiche symbioseartige Interaktionen zwischen Bakterien und Pilzen, welche sich durch wechselweise Verwertung ihrer Stoffwechselprodukte gegenseitig in Wachstum und Vermehrung fördern. Neben Candidaspezies und aeroben Keimen können sich in tieferen Schichten der Bio-filme auch Anaerobier ansiedeln. Von dort aus kommt es in der Folge zur Streuung pathogener Mikroorganismen in die gesamte Mundhöhle und in benachbarte Kompartimente. Das Keimwachstum wird zusätzlich durch speziell im Alter auftretende Veränderungen im oralen Milieu gefördert. Noch erhaltene Zähne werden durch das unkontrollierte Keimwachstum geschädigt, es kommt zur Entzündungen der Gingiva und der Schleimhäute in der gesamten Mundhöhle. Liegen beim älteren Menschen noch systemische Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, Vitamin-B12-Mangel, Eisenmangelanämie oder Gefäßleiden mit mangelnder Durchblutung peripherer Strukturen und damit auch der Gingiva vor, kommt es zu nachhaltigen Störungen des ökologischen Gleichgewichts mit oft schwerwiegenden Auswirkungen auf den gesamten Organismus. Auch hormonelle Veränderungen, wie bei Frauen nach der Menopause, können das labile Gleichgewicht zwischen körpereigenen Strukturen und der Standortflora stören.

Prothesenstomatitis
Die Prävalenz der Entwicklung einer Prothesenstomatitis liegt laut Pindborg (1987) zwischen 10 und 65 Prozent. Sie äußert sich primär häufig durch das „burning mouth syndrome" mit Brennen der Lippen, der Zunge und der Mundschleimhaut, Sensibilitäts- und Geschmackstörungen, noch ohne sichtbare Veränderungen der oralen Mucosa. Diese diffus im gesamten oralen Bereich auftretenden Beschwerden werden als symptomatische Prothesenstomatitis bezeichnet. Im Gegensatz dazu manifestiert sich die autonome Prothesenstomatitis auf Schleimhautbezirken, auf denen die Prothese direkt aufliegt. Durch das Prothesenlager und den damit entstehenden Abschluss der darunter liegenden Schleimhaut von der restlichen Mundhöhle entsteht ein artifizielles Kompartiment. Der Speichel mit seinen entzündungs- und infektprotektiven Inhaltsstoffen kann nur eingeschränkt zu diesem Bereich vordringen. Gefördert wird die Entstehung einer Entzündung besonders durch mangelnde Kongruenz zwischen Prothese und Prothesenlager und mechanische Reizung durch schlecht sitzende Prothesen oder raue Prothesenbasen. Die Integrität der epithelialen Schranke wird gestört, und Keime können in tiefere Schleimhautschichten vordringen.
Die klassische Prothesenstomatitis ist fast immer mit einer überproportionalen Vermehrung von Candidaspezies assoziiert. Candida tritt in geringen Mengen auch beim oral gesunden Menschen auf. Kommt es aber zur Vorschädigung der Schleimhaut durch mechanische Noxen oder durch Schaffung idealer Wachstumsbedingungen aufgrund mangelnder Hygiene, kann sich die Hefe massiv vermehren und pathogene Wirkung entfalten. Häufig findet man auch Kombinationen mit anaeroben Bakterienspezies. Es gibt dabei allerdings kein einheitliches mikrobiologisches Bild, man muss von heterogenen Bio-zönosen ausgehen. Die gezielte Eliminierung solcher komplexer Keimkollektive bedarf vorangehender mikrobiologischer Abklärung.

Dabei besiedeln die Keime nicht nur die biologischen Schleimhautstrukturen, sondern bewachsen auch direkt das Prothesenmaterial. Besonders raue Oberflächen bieten ideale Haftungsbedingungen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Prothesenbasen aus weichem, elastischen Material deutlich anfälliger für mikrobielle und fungale Besiedelung sind als Zahnersatz aus Methylacrylat. Durch das Einwachsen von Candida-Pseudohyphen in das Prothesenmaterial kann der Sprosspilz durch konventionelle Reinigung der Prothese nicht vollständig eliminiert werden. Dies ermöglicht auch nach einer erfolgreichen Behandlung der Schleimhautinfektion eine direkt von der Prothese ausgehende Reinfektion.

Orale Candidiasis
Zunächst kommt es zu scharf begrenzten Rötungen im Bereich der Prothesenauflageflächen. Zusätzlich können seltener auch Schleimhautödeme, Bläschen, Petechien oder seichte Ulzera auftreten. Prinzipiell kennt man mehrere klinische Formen der oralen Candidainfektion: Bei der klassischen pseudomembranösen Form findet man stippchenartige, später auch konfluierende, weißliche Beläge. Diese sind mittels Spatel abstreifbar, die darunter liegende Schleimhaut ist massiv gerötet, vulnerabel und leicht blutend. Diese Form findet man kaum unterhalb der Prothesenauflageflächen, sie kann aber durch Streuung der Keime an den Wangenschleimhäuten, der Zunge oder in den Mundwinkeln auftreten.

Die klassische Prothesenstomatitis hingegen manifestiert sich als erythematöse Form ohne unmittelbar sichtbare weiße Beläge. Nach Newton (1962) werden dabei drei Typen unterschieden:
1. primär auftretende rote Flecken im Bereich der palatinalen Speicheldrüsenausfuhrgänge;
2. diffuse Rötung mit glatter atrophischer Schleimhaut im gesamten Auflagebereich der Prothesen;
3. hyperämische Schleimhaut mit granulären und nodulären hyperplastischen Veränderungen.
Letztere treten zunächst als punktartige, papilläre Läsionen am harten Gaumen und am Kieferkamm auf. Später können sich größere Knötchen bilden, welche wiederum die Haftung der Prothese negativ beeinflussen und erneut zu Reizungen und Mikrotraumen der Schleimhaut mit erhöhter Infektanfälligkeit führen.

Neben den genannten Problemen stellt eine massive orale Candidainfektion besonders bei alten Menschen mit schlechter Immunabwehr eine erhebliche Gefahr dar. Durch Streuung kann es zu Pilzinfektionen des Oesophagus, des Magens und des Respirationstraktes kommen. Eine erfolgreiche Behandlung umfasst neben einer optimale Anpassung und Pflege der Prothese eine gezielte Behandlung der Infektion. Dabei kommen in erster Linie topische orale Antimykotika vom Azol- oder Polyentyp wie Nystatin und Amphotericin B zum Einsatz. Die Applikation erfolgt als Mundgel oder Lutschtablette, wobei die Verweildauer im Mund von großer Bedeutung ist. Die orale Gabe von Polyen-Antimykotika kann auch bei möglichen assoziierten intestinalen Candidainfektionen angewendet werden, die Medikamente werden nicht resorbiert und haben daher keine systemische Wirkung. In seltenen massiven Fällen können topische Therapien unwirksam sein. Hier können nach Abwägung der Schwere der Infektion systemische Antimykotika, vorzugsweise vom Azoltyp verabreicht werden.

Ch. Eder, L. Schuder

Anpassung, Material und Pflege der Prothese entscheiden über den Tragekomfort