Amortisation ? Schein und Sein. Teil 3: Die Existenzgründung

Ein Mann gibt sein Auto zur Überprüfung. Als er den Wagen abholen will sagt der Mechaniker: „Beginnen wir mit dem Positiven: Rückspiegel und Handschuhfach waren in Ordnung". So könnte man meine verpatzte Existenzgründung beschreiben. Ich habe fast alles, was man nur falsch machen kann, auch falsch gemacht. Die folgende Schilderung diene den Jungen als Warnung!

Ich komme aus einem Arzthaushalt, beide Eltern angestellte Ärzte mit vergleichsweise guten Gehältern, ehrgeizig und fleißig im Beruf, aber ohne jede kaufmännische Ahnung. Dank ihrer guten Einkommensverhältnisse haben ihre diversen einschlägigen Fehlentscheidungen nie ernsthafte Folgen für sie gehabt. Das war also das Milieu, in dem ich aufgewachsen bin. Lauter Angestellte in der Familie, der letzte Freiberufler war ein Urgroßvater, ein Färber im 19. Jahrhundert.

Den zahnärztlichen Lehrgang habe ich mit schönem Erfolg absolviert, vor der Prüfung allerdings keine Zeit für den ZIV-Praxisgründungskurs gehabt. Wozu brauche ich den, ich gehe ja sowieso für längere Zeit ins Ambulatorium! Also lieber gelernt, und das andere auf später verschoben. Und dann habe ich, kaum anderthalb Jahre nach der Fachprüfung, auf einmal eine kleine zwischenzeitlich stillgelegte Praxis in guter Lage (Uraltbestand, keine Kassenverträge) erworben. Als der ganze Stress dann angefangen hat, war für den Praxisgründungskurs natürlich erst recht keine Zeit mehr.

Bescheidene Einrichtung
Der „Rückspiegel" und das „Handschuhfach", um beim obigen Gleichnis zu bleiben, war meine prinzipielle Grundhaltung: bescheidene Einrichtung, großteils second hand, und vorläufiger Verbleib im Ambulatorium, da ja nicht abzuschätzen war, wie die Praxis anlaufen würde. Ansonsten - mit dem Abstand von 20 Jahren muss das mit realistischer Einschätzung einfach gesagt werden - bin ich wie ein blinder Betrunkener in meine eigene Existenzgründung getaumelt. Von einem Versicherungshai gekeilt, wurde ich einem bestimmten Bankmenschen zugeschoben und hatte dort keine Ahnung, wie viel Geld ich eigentlich wirklich benötige.

Was die Sanierungs-/Einrichtungsarbeiten betrifft, habe ich mich an ein hoch angesehenes Dentaldepot gewandt, das auch prompt Hilfe in allen Nöten zugesagt und das Gesamtmanagement der Praxisadaptierung und -einrichtung übernommen hat. Zwei fatale Fehlschlüsse meinerseits haben die folgenden Monate bestimmt: Zum einen meinte ich wie Roland Düringer in „Hinterholz 8" (Sie wissen, das ist der Film über das schreckliche Scheitern eines Häusl-Renovierers), ich hätte ja nunmehr die Bank hinter mir, also uneingeschränkt auf meiner Seite, nun könne ja nichts mehr passieren. Und zum anderen dachte ich, das Dentaldepot wolle mich ja schließlich für viele Jahre als Kunden gewinnen, schon alleine unter diesem Gesichtspunkt würde es sich also für mich zerreißen. Edle Einfalt, stille Größe!

Und um die Dummheit noch auf die Spitze zu treiben, glaubte ich allen Ernstes, würde man den Firmen mehr Zeit geben, würden sie bessere und exaktere Arbeit leisten! 20 Jahre danach greife ich mir an das ergraute Haupt, wie viel Blödheit sich damals im Kopf eines einzigen jungen Zahnarztes ansammeln konnte! Nun, statt „gediegen" für mich zu arbeiten, haben die Bauarbeiter, Elektriker und Installateure einfach wochenlang die Baustelle verlassen, sodass im Endeffekt auch der großzügig bemessene Fertigstellungstermin nicht eingehalten werden konnte, was aufgrund fehlender Sanktionsvereinbarungen auch keinerlei Folgen für sie hatte. Derweilen hat der hoffnungsvolle Jungdoktor schon Personal gesucht und auch gefunden, allerdings ohne auch nur über die allerelementarsten Kenntnisse punkto Angestelltenrecht zu verfügen.

Fähigkeit zur Menschenführung war auch keine vorhanden, also verbrachte das neue Personal einige Wochen „ungeführt", aber bezahlt, da ja nicht aufgesperrt werden konnte. Die leitende Assistentin, aus einer großen Kassenordination kommend, brachte ihre Bestellmethoden mit, ohne vom weitgehend überforderten Chef auf die neuen Verhältnisse hingewiesen worden zu sein. Als ich eines Tages in die Ordination gekommen bin, habe ich einen Riesenhaufen Patientenumhangrollen gesehen. Stolz sagte mir die Assistentin, es habe eine Aktion gegeben, es wäre billiger gewesen, 25 Rollen auf einmal zu nehmen. Und das bei einem Patientenaufkommen von etwa drei pro Woche!

Partner Steuerberater
Um einen Steuerberater habe ich mich erst gekümmert, nachdem die diversen Bank- und Versicherungs-angelegenheiten schon fix „erledigt" waren. Er wurde nicht nach sachlichen Kriterien ausgewählt, sondern über drei Ecken von Bekannten vermittelt. Ob Ärzte überhaupt zu seinem bevorzugten Klientel zählten, wurde nicht nachgefragt. Immerhin hat er dem schon privat aktiven Jungdoktor im Schnellsiedekurs und nachträglich gesehen mehr als lückenhaft einige wichtige Dinge beigebracht. Was ein Eingaben-Ausgabenkassabuch ist, z.B. Das wurde anfangs dann auch tatsächlich gelegentlich geführt, was häufig Minussaldos am Zeilenende und fehlende Geldbeträge in teilweise erheblicher Größe zur Folge hatte. Weder der Steuerberater noch ich als hoffnungsvoller Jungunternehmer haben es in weiterer Folge aber für nötig gehalten, den Banken bei der Zinsgestaltung der Kredite ein wenig auf die Finger zu sehen. Ich aus blanker Blödheit („Meine Bank steht hinter mir!"), der Steuerberater vermutlich aus Schlamperei und Nachlässigkeit. Als dann Jahre später durch die engagierte Recherche meines neuen Steuerberaters die ganze Katastrophe sichtbar wurde, war es bereits zu spät. Zusammengerechnet hatte alleine dieses eine Versäumnis einen sechsstelligen Schillingschaden zur Folge! Bei allen anderen finanziellen Transaktionen hatte ich übrigens ein ähnlich „goldenes Händchen".

Nachdem die Praxis dank Inserat in den ersten Monaten sogar ganz passabel gelaufen ist, kam im Jänner 1990 der große Einbruch. 1800 Schilling waren da der Umsatz: nicht in der Stunde, nicht im Tag, nein, im Monat. Mein Kontostand sackte auf Minus 60.000 Schilling ab, was einen irritierten Anruf des Bankdirektors zur Folge hatte. Ich habe damals im Ambulatorium gearbeitet, um meine Ordination wenigstens einigermaßen finanzieren zu können. Glückliche Umstände und die völlige Gleichgültigkeit persönlichem hohen Lebensstandard gegenüber haben mich diese Zeit ohne Existenzverlust überleben lassen.

Das Stück ist aus, der Vorhang bleibt unten, denn Zugaben werden nicht verlangt. Es reicht, wenn die Zuschauer nachdenklich nach Hause gehen.

Das war sie also in groben Zügen, die Geschichte meiner eigenen „Existenzgründung". Sie dürfen nicht glauben, dass ich um der Pointen willen etwa zu stark aufgetragen oder übertrieben hätte. Nein, es hat sich wirklich alles genauso abgespielt, lediglich manches, was zu nennen für meine „Partner" gar zu beschämend wäre, habe ich weggelassen. Denn es geht um die Rolle, die ich gespielt habe, die sollten Sie kennenlernen. Was mich letztlich gerettet hat war, dass ich wenigstens einen Teil der für unseren Beruf nötigen Psychologie beherrscht habe, ich konnte sehr gut mit Patienten umgehen. Und die im Ambulatorium erworbene Arbeitsroutine war natürlich auch ein Vorteil.

Ganz und gar unstrittig ist, dass ich an den Problemen meiner Existenzgründung zum weitaus überwiegenden Teil selbst schuld war und für diese Schuld bitteres Lehrgeld zu bezahlen hatte. Aber das ist 20 Jahre her. „Begangene Fehler interessieren mich nur insoweit, als ich aus ihnen lernen kann", hat Oberst Scharnhorst einmal gesagt. Was kann man aus meiner Geschichte also lernen? Wenn man nun der Meinung ist, so einen Trottel wie mich gibt es in ganz Österreich kein zweites Mal, dann allerdings bräuchte man nichts zu lernen, denn der eine Fall ist wie gesagt lange her und einen zweiten derartigen gäbe es nicht. Nun, wenn Sie allen Ernstes glauben, dass es so ist, dann geben Sie doch unter www.edikte.at das Wort „Zahnarzt" ein!

Bessere Ausbildung
Damit erhebt sich die Frage, wie man die zahnärztliche Jugend unserer Tage vor derartigen Schwierigkeiten schützen kann? Der einzig gangbare Weg ist für mich die völlige Neugestaltung des universitären Lehrplanes. Wirtschaftskunde und Psychologie müssten ausführlichst vorgetragen und streng geprüft werden. Es soll heute keiner mehr Dr.med.dent werden können, der nicht durch bestandene Prüfungen nachgewiesen hat, dass er zumindest theoretisch alles Notwendige für die eigene Existenzgründung beherrscht. In der Praxis gibt es dann noch immer jede Menge Fallstricke, da muss sich die Kollegin dann in der täglichen Arbeit bewähren. Aber möglichst ohne schon ganz zu Beginn ein finanzielles Chaos produziert zu haben!

Dr. Peter Standenat

 

Abenteuer Praxisgründung: Unwissenheit schützt nicht vor Schaden