neunerHAUS: Zahnarztpraxis für Obdachlose

So fällt das Lächeln wieder leichter

Wohnungslose Menschen haben eine hohe Hemmschwelle einen Arzt aufzusuchen. Beim Zahnarzt ist die Angst vor anfallenden Kosten eine enorme Barriere. Diese will das neunerHAUS, ein privater Verein, nun mit einer Zahnarztpraxis für Obdachlose überwinden.

Wien 6, Stumpergasse 60, unweit des Westbahnhofs, einer Anlaufstelle für Obdachlose: Dort befindet sich - direkt von der Straße zu begehen - seit März jene Zahnarztpraxis, die vielen Menschen in Not Zugang zu einer dentalen Gesundheitsversorgung bietet. Anfang Juni wurde diese Praxis offiziell eröffnet.

Obdachlose Menschen haben ganz besonders mit Zahnproblemen zu kämpfen

„Gesundheit ist ein wesentliches Menschenrecht", sagt Mag. Markus Reiter, Geschäftsführer des neunerHAUS, einer privaten Initiative für wohnungslose Menschen. „Wir wollen mit unserer Zahnbehandlung obdachlosen Menschen ihr Lächeln wieder zurückgeben."

Doch nicht nur das Lächeln. Auch die Chancen für einen Neubeginn oder ein neues Glück. So hat eine der ersten Patientinnen mit ihrem neuen Gebiss auch neues Selbstbewusstsein erhalten und privat einen Neustart hingelegt, wie Mag. Livia Mutsch, Leiterin des Geschäftsbereichs Gesundheit, versichert. Und bei einem Obdachlosen kam mit den neuen Zähnen die Kontaktfreudigkeit zurück und damit ein Job. Das ist ein Erfolg, für den 13 derzeit abwechselnd ordinierende und ehrenamtlich tätige Zahnärzte maßgeblich verantwortlich sind. Behandelt wird in einer modern und freundlich gestalteten Praxis mit Empfangs- und Röntgenraum sowie einem Behandlungszimmer mit zwei Stühlen.

Die neunerHAUS Zahnarztpraxis umfasst das gleiche medizinische Angebot wie bei niedergelassenen Zahnärzten: Grundsanierung, Prothetik (Voll- und Teilprothesen), Füllungen, Extraktionen, Wurzelbehandlungen. Die ersten Betriebsmonate bestätigen, wovon Zahnärztinnen und Zahnärzte rund um den ärztlichen Leiter Dr. Walter Löffler ausgingen: Obdachlose Menschen leiden unter besonders gravierenden Mängeln am Gebiss. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet daher die Prothetik.

Insgesamt wurden seit Mitte März bis Ende Mai 107 Patientinnen und Patienten mit 1.470 Einzelleistungen in durchschnittlich drei Sitzungen pro Person versorgt. Dabei wurden 38 Prothesen gefertigt, 11 Prothesen repariert, 83 Zähne erhielten neue Füllungen, aber auch 204 Extraktionen waren erforderlich.

„Die Zahnbehandlungen haben für unsere Patientengruppe neben dem medizinischen zusätzlich einen sozialen Effekt: die Chancen auf den Anschluss werden deutlich verbessert. Die Betroffenen fühlen sich in ihrem sozialen Auftreten sicherer und gestärkter, trauen sich wieder neue Lebensziele wie eine berufliche Aus- oder Fortbildung oder eine eigenständige Wohnung in Angriff zu nehmen", freut sich Mag. Reiter.

Neben der Wiederherstellung der Kaufähigkeit und der Sanierung von Zähnen sollen die Patientinnen und Patienten bei der Erhaltung gesunder Zähne unterstützt und für Mundhygiene sensibilisiert werden. Insgesamt wird eine Stärkung des Gesundheitszustandes, des Immunsystems und des Selbstwertgefühls von wohnungslosen Menschen angestrebt. So ergänzt die neunerHAUS Zahnarztpraxis wesentlich die allgemeinmedizinische Versorgung des Teams neunerHAUSARZT und die Anstrengungen der drei neunerHÄUSER und der Wiener Wohnungslosenhilfe, obdachlose Menschen nachhaltig in die Eigenversorgung und ein eigenverantwortetes Leben zurückzuführen.

„Ziel für die kommenden Monate ist es, die Betroffenen auf der Straße auf das Angebot der neunerHAUS Zahnarztpraxis aufmerksam zu machen", so Mag. Mutsch. Ein Vertrag mit der Wiener Gebietskrankenkasse bildet die rechtliche und finanzielle Grundlage. Die ehrenamtlich tätigen Fachärzte für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde behandeln im Auftrag des Vereins die Patienten und der Verein verrechnet die erbrachten Leistungen mit der Wiener Gebietskrankenkasse. Kosten für Behandlungen bzw. Selbstbehalte, die aufgrund sozialversicherungs-rechtlicher Bestimmungen von Patienten privat zu finanzieren sind, trägt der Verein neunerHAUS. Bei nicht geklärtem Versicherungsstatus bzw. -anspruch beraten Sozialarbeiterinnen vor Ort und helfen bei der Antragstellung auf finanzielle Unterstützung.

Der Fonds Soziales Wien stellte für nicht-medizinische Leistungen und offene Einrichtungs- und Projektvorbereitungskosten 140.000 Euro bis Ende 2009 zur Verfügung. Die Ausstattung mit technischen Geräten - wie Behandlungsstühle und Röntgenapparate - sowie die baulichen Adaptierungsarbeiten in den ehemaligen Lagerräumen wurde durch die Dentalausstatterfirma Henry Schein sowie durch Sachspenden der ehrenamtlichen Zahnärzte und Zahnärztinnen ermöglicht. Die Ordinationssoftware spendete die Firma Kopfwerk. Außerdem trugen Spenden für den Verein neunerHAUS bei.

Behandelt wird derzeit MO, DI, MI, FR von 9 bis 13 Uhr. Ordinationszeiten am Donnerstag sind geplant.

www.neunerhaus.at
Spendenkonto:
RLB NÖ-Wien, Konto-Nr.: 5.929.922, Bankleitzahl: 32.000

Dr. Fritz Luger

 

Die neue Praxis in der Nähe des Westbahnhofes in Wien.