Das weite Feld der oralen Chirurgie im Blickpunkt

Prof. DDr. Norbert Jakse arbeitet seit 1991 an der Grazer Zahnklinik. 2003 habilitierte er sich, seit 2004 ist er supplierender Leiter der Abteilung. Wir sprachen mit ihm über das weite Feld der oralen Chirurgie.

Könnten Sie bitte das Grazer Department für Zahnärztliche Chirurgie und Röntgenologie kurz vorstellen?
JAKSE
: Als Abteilung eines Universitätsklinikums haben wir neben der Patientenversorgung vor allem wesentliche Aufgaben in Lehre und Forschung. In der Patientenversorgung steht für uns gegenüber anderen Abteilungen und Kliniken, aber vor allem auch gegenüber unseren Zuweisern die Servicefunktion im Vordergrund. Unser Ziel ist es, fachliche Expertise anzubieten und diese auch ständig weiterzuentwickeln, um Patienten in Zusammenarbeit und interdisziplinärer Kooperation bestmöglich zu behandeln. Keinesfalls aber wollen wir Patienten abwerben. Die Zahl von Risikopatienten, die wir in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Onkologen, Strahlentherapeuten, Transplantationschirurgen und geriatrischen Abteilungen betreuen, ist stark zunehmend. Es ist es uns dabei besonders wichtig, entsprechende Therapiestandards zu entwickeln wie den von uns etablierten Leitfaden zur zahnärztlichen Behandlung bei Gerinnungsstörungen oder die im Rahmen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe entwickelten Standards zur Schmerztherapie bei zahnärztlichen Eingriffen. Weitere wesentliche Arbeitsbereiche sind noch die Mundschleimhauterkrankungen und die Kinderzahnsanierung in Narkose.

Was gibt es im Bereich Schmerztherapie Neues?
JAKSE: Wie schon oben erwähnt, haben wir speziell für ambulante zahnärztliche Eingriffe eine standardisierte, auf unterschiedliche Eingriffe abgestimmte Schmerztherapie entwickelt - OA Acham war hier federführend. Darüber hinaus laufen prospektive klinische Studien zur weiteren Verbesserung der Schmerztherapie. Vor allem bezüglich der oralen Gabe von Cortison habe wir bereits erste, vielversprechende Ergebnisse. Zur Schmerztherapie haben wir einen Nachmittag am Zahnärztekongress in Innsbruck organisiert.

Wie hoch sind die negativen Auswirkungen von Bisphosphonaten auf Mund und Kiefer?
JAKSE: Ein Risiko besteht vor allem dann, wenn Bisphosphonate i.v. bzw. bei Malignompatienten zur Anwendung kommen. Bisphosphonate führen zu einer deutlichen Reduktion des Knochenumsatzes. Kleinste Traumen - Druckstellen, Extraktionen oder auch Wurzelbehandlungen - können zu therapieresistenten Kiefernekrosen führen. Vor allem von Onkologen und Gynäkologen wird die Gefahr der Kiefernekrose häufig unterbewertet. Zur Therapie fehlen noch valide Standards. In eigenen Untersuchungen wollen wir Konzepte zur Prophylaxe und Therapie entwickeln.

Wie sehen Ihre Erfahrungen mit Knochenersatzmaterialien aus?
JAKSE: Knochenersatzmaterialien haben sich in Kombination mit der Membrantechnik vor allem zur Augmentation kleiner Defekte gut bewährt. Im Vergleich zum Knochen haben die von uns verwendeten Ersatzmaterialien durch ihre Resorptionsstabilität den Vorteil eines langfristig beständigen Augmentationsvolumens. In ästhetisch sensiblen Bereichen sollte daher immer Ersatzmaterial zum Einsatz kommen. Bei ausgedehnten Defekten werden Ersatzmaterialien zu autogenen Knochentransplantaten kombiniert, um Volumenstabilität zu erreichen.

Wann stellt sich für Sie die Indikation für autogene Knochentransplantate?
JAKSE: Im Grunde genommen immer dann, wenn eine präimplantologische Kieferkammrekonstruktion notwendig ist, wenn also die Defektgröße und -konfiguration eine primäre Insertion der Implantate mit entsprechender Primärstabilität unmöglich macht.

Welche Spenderregion wählen Sie bevorzugt zur Knochenentnahme?
JAKSE: Die Wahl der Spenderregion hängt von Defektgröße und Indikation ab. Der Kieferwinkel stellt heute die Standardspenderregion in der Implantologie dar. Für die meisten Indikationen ist das Ausmaß an Knochen, das hier gewonnen werden kann, ausreichend.
Für größere und komplexere Defektrekonstruktionen, die über etwa zwei Implantatregionen hinausgehen, ist eine Entnahme aus der Beckenschaufel notwendig (kann nur stationär erfolgen). Es werden dabei kortikospongiöse Blöcke vom vorderen Bereich der Beckenschaufel, ein bis zwei cm unterhalb des Kamms, entnommen. Dadurch wird die Bauchmuskulatur nicht tangiert, und die Patienten können am nächsten Tag bereits ohne Krücken gehen.
Spezifisch für ausgedehnte beidseitige Sinusbodenaugmentationen haben wir eine Spongiosaentnahme vom Tibiakopf eingeführt. Diese erfolgt ambulant in lokaler Anästhesie. Bei korrekter Vorgangsweise verursachen Knochenentnahmen selten Beschwerden, die länger als ein bis zwei Wochen anhalten.

Was macht die ARGE für Orale Chirurgie, Medizin und Radiologe?
JAKSE: Die Gesellschaft für Orale Chirurgie und Implantologie (ÖGOCI) wurde 2007 in die Gesellschaft für Implantologie (ÖGI) umbe-nannt. Um weiterhin eine Vertretung der oralen Chirurgie zu gewährleisten, wurde eine entsprechende Arbeitsgemeinschaft, eben die ARGE OCMR, gegründet.

Was werden die Hauptthemen beim heurigen OCMR-Symposium in Graz sein?
JAKSE: Da sich die ARGE OCMR als interaktive Fortbildungsplattform versteht, haben wir den von den TeilnehmerInnen des letztjährigen Symposiums geäußerten Themenwünschen Rechnung getragen. Das Hauptthema wird daher die Herdsanierung sein, und es werden zwei spannende Seminare angeboten: „Sedierung in der Zahnarztpraxis" und „Notfälle in der Zahnarztpraxis".

Herzlichen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner.

www.ocmr.at

Prof. DDr. Norbert Jakse