Projekt Empfang: Einmal mehr auf den Zahn gefühlt

Mit einem außergewöhnlichen Entwurfsansatz gestalteten die Linzer x architekten die neuen Räume des Zahnambulatoriums der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse.

Es ist schon aufregend, wenn ein Projekt sich an natürlichen oder künstlichen Analogien orientiert und man sich plötzlich vorkommt, als wäre man im Bauch des Walfisches oder im Kopf des Architekten. Man denke an die Bauwerke eines Santiago Calatrava, der fast ausschließlich aus dem schöpft, was Fauna und Flora zu bieten haben. Doch diese Intention kann auch eskalieren und zum peinlichen Referenzprojekt werden, wenn man es nicht geschickt, sondern plakativ anlegt - dieser Schuss geht nach hinten los. Fehlanzeige.

Kontinuität und Eyecatcher:
Empfangspult und Wartebereich
verschmelzen durch ein Möbel
zu einer harmonischen Einheit
Ganz und gar nicht der Fall ist das beim neuen Zahnambulatorium der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, das nach Absiedelung werksfremder Einrichtungen der Voest nach einer neuen Location gesucht hatte und sich in unmittelbarer Nähe des Werksgeländes auf insgesamt 525 Quadratmetern niederließ. Zur Gestaltung der neuen Räumlichkeiten wurde das Architektenteam der Linzer x architekten - David Birgmann, Bettina Brunner, Rainer Kasik, Max Nirnberger und Lorenz Prommegger - in Zusammenarbeit mit Anna Moser beauftragt. Besonderes Hauptaugenmerk lag auf der Konzeption des Eingangsbereiches und weiterführend auf der Wartezone und der Wegeführung zu den einzelnen Behandlungsräumen. Und genau an dieser Stelle beginnt das Staunen über eine Lösung, die auf einer einerseits außergewöhnlichen, andererseits jedoch naheliegenden Inspirationsquelle basiert. Es ist der Mund selbst, in dem sich der Eintretende beim Überschreiten der Türschwelle befindet. Es mag vielleicht ein wenig skurril klingen, jedoch ist es eine Tatsache, dass das zweidimensionale menschliche Gebiss der architektonischen Anordnung zugrunde lag. Wer sich dabei allerdings vorstellt, sich im Maul eines Riesen wiederzufinden, kann sich jetzt wieder entspannt zurücklehnen - es ist nämlich ganz anders, als es zunächst klingen mag.
Gute Orientierung:
Nischen akzentuieren den
langgestreckten Korridor
in frischem Weiß mit Minze
In den Mund gelegt
Gleich beim Eintreten verspürt man diese angenehme Frische, die einen erwartet, wenn man das Ambulatorium mit einem strahlend weißen Lächeln wieder verlassen wird. Die Farbe Weiß dominiert ganz klar in Form eines gleißend weißen Fußbodens aus PVC und ebenso unwiderstehlich weißer Wände. Klingt, als würde man vor farblicher Kühle und Arktis-Feeling glatt erfrieren. Aber auch das kann sofort entkräftet werden. Das vorhandene Weiß vermittelt die zu erwartende Reinheit und Hygiene und wird von aussagekräftigen Elementen begleitet. So findet man sich einem geschwungenen Empfangspult gegenüber, das aus australischem, warmfarbigen Nussholz gefertigt ist und entsprechende Wärme in den Empfangsbereich einfließen lässt. Das Pult selbst geht in eine ebenfalls geschwungene Bank über, die die beiden Bereiche miteinander in einheitlicher Art und Weise verbindet. Durch die Rundungen der Sitzgelegenheit entsteht räumlich so etwas wie eine Umarmung, die psychologisch positiv auf die Wartenden einwirkt.
Das einladende Reception
Desk aus australischem Nussholz scheint
über dem Fußboden
förmlich zu schweben

Auch wird sie als verbindendes Element wahrgenommen, wo alle Patienten in der gleichen Situation verweilen - einander zugewandt, jedoch nicht beeinträchtigt in ihrer Intimität. Das dem Empfangspult beinahe gegenüberliegende Ende der Sitzreihe endet in einer räumlichen Struktur aus weißen, von der Decke herabhängenden Kunststoffstangen, hinter der sich eine verspiegelte Zahnpflege-Koje befindet. Die Konstruktion, die gleichzeitig das äußere Geschehen trotz der Nähe völlig abschirmt, erinnert an einen Zahnbürstenkopf und damit wieder an das unwiderstehliche Gefühl, blitzsauber zu sein. Das nicht vorhandene Tageslicht wird in der gleichen Qualität durch eine Lichtdecke ersetzt, bei der die Leuchtkraft der Lampen durch transparente Polycarbonatstegplatten besonders tageslichtähnlich wirkt.

Während sich die Sitzbank geschmeidig an die Wand schmiegt, hebt sich das Anmeldepult, bei dem die auffällige Holzmaserung noch deutlicher in den Vordergrund tritt, von der Architektur ab und schwebt förmlich über dem Boden. Dadurch wird dem Holz und der stereotypen Form die Schwere genommen, wirkt anziehend und einladend. Dahinter befindet sich eine Art Raumteiler, der eine angenehme Atmosphäre schafft, sowohl für den Arbeitenden, der sich konzentrieren muss, als auch für den Ankommenden, der sympathisch empfangen werden will. Neben dem vielen Weiß und den einladenden, warmen Brauntönen des Holzes war dennoch Platz für ein Element, das die formale Strenge und die zurückhaltende Zweifarbigkeit auflockert. Die Wahl fiel auf drei sternförmig kombinierte Sitzelemente des renommierten italienischen Polstermöbelherstellers Moroso, ein Entwurf des belgischen Designers Arne Quinze. In Anbetracht dieser verschiedenen Elemente rückt der Gedanke, sich in einer Mundhöhle zu befinden, in weite Ferne, obwohl etwa die Analogie zur Zunge unübersehbar ist.

Look: Zahnpasta-Weiß
Doch hier ist das räumliche Gefüge und damit der Spaziergang zwischen den Zahnreihen noch lange nicht zu Ende. Immer der zweidimensionalen Anordnung des menschlichen Gebisses folgend, reihen sich parallel, durch einen Korridor getrennt, die einzelnen Räume. Südseitig, und damit mit vollem Potenzial des Tageslichts erhellt, entstand eine Abfolge von fünf Ordinationen und einem Zahntechnikraum. Das Besondere dabei sind die Nischen vor den jeweiligen Eingängen, die den Korridor strukturieren und den Patienten empfangen. Außerdem findet man sich durch die abgeschrägten Einschnitte gut zurecht, da sie auf dem lang gezogenen Flur klare Zäsuren schaffen. An der anderen Seite des Ganges befinden sich jene Räume, die verschiedenen Funktionen zugeordnet sind, wie dem Röntgen, der Sterilisation oder etwa dem Moment der Ruhe.
Durch die Unterbrechung der Wände in Form dieser einander gegenüberliegenden Nischen schlagen die Architekten abermals die Brücke zum Gebiss. Man befindet sich beim Durchschreiten quasi zwischen den Stockzähnen in abstrahierter Darstellung. Als verbindendes Element wurden die sonst konsequent weißen Wände mit pfefferminzfarbenen Logos bedruckt, die nicht nur das Gefühl von frischem Atem suggerieren, sondern auch die Farbe der CI der Gebietskrankenkasse in Szene setzen. Akzentuiert wird auch mit kleinen Vitrinen.

Für die hier arbeitenden Zahnärzte und Zahntechniker wurde ein herausragendes Arbeitsambiente geschaffen - und für die Patienten eine angenehme Atmosphäre. Übersichtlichkeit, räumliche Klarheit und der Anschein von Geborgenheit verschmelzen zu einer logischen Einheit, die aus ihrer reinen Funktionalität heraus. Mit der Verbindung der Pult- und Sitzelemente entfällt das Gefühl des angstvollen Bittstellerdaseins, da sich Material und Form durch den gesamten Empfangsraum fortsetzen und auch die Intimität bleibt gewahrt. Der allgegenwärtige Reinheitsgedanke und die unterschiedlichen Raumelemente, die trotz gleicher Farbe Zonen und Bereiche schaffen, beflügeln die Idee vollends, die in ihren Ursprüngen auf dem Papier eine Aneinanderreihung von 32 Zähnen war.

Barbara Jahn

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Zahnreihen und Zahnbürsten:
Die Architekten setzen ihre
Vision in Form eines abstrahierten Gebisses um.