Moderne Zahnmedizin, Teil 3

Qualität hat ihren Preis - dies gilt in der Zahnheilkunde, in der Automobilindustrie ebenso bei Lupen-Systemen.

Grundlagenwissen Teil III:
Wer eine gute 2,5-fache Galileische Lupe sucht, sollte mit mindestens 1.000 Euro rechnen; für eine hochwertige Prismenlupe dürfen Sie getrost 1.300 Euro oder mehr anlegen. Warum hat es einen Sinn, so viel Geld zu investieren und wodurch unterscheiden sich billige von hochwertigen Systemen?

Beim direkten Vergleich von Systemen sind teilweise gravierende Unterschiede zu erkennen:

Die Größe des Sichtfeldes variiert um einige Zentimeter.
Die Tiefenschärfe kann bei gleichem Faktor von wenigen Zentimetern bis über 10 cm betragen.
Das Gewicht ist bei günstigen Fabrikaten in der Regel spürbar höher.
Die Randschärfe der Optik ist ein bedeutsames Qualitätskriterium.
Der Neigungswinkel sollte im Idealfall um bis zu 45 Grad nach unten zu justieren sein.
Der Tragekomfort kann durch spezielle Nasenauflagen oder mit durchdachten Kopfrahmen-Konstruktionen verbessert werden.
Die Interpupillardistanz sollte exakt, einfach und ohne Hilfsmittel zu justieren und im Weiteren zu fixieren sein.
Quelle: Dent Implantol 7, 508-520 (2003)

Die Patientin, 63 Jahre alt, kam zu Prof. DDr. Solar in die Ordination, um sich mit einem festsitzenden Implantatsteg versorgen zu lassen. Sie hatte seit sieben Jahren eine Totalprothese im Unterkiefer, die immer schlechter hielt.

Abb. 1: Leerkiefer mit seichtem Vestibulum. Zuerst wurden vier interforaminale Implantate gesetzt, mit simultan durchgeführter Vestibulumplastik (Abb. 2). 

Abb. 1: Atropher Unterkiefer mit
wenig Gingiva fixa
(Vergrößerung bei Klick aufs Bild)

Das Transplantat wurde vom Gaumen entnommen. Die Vestibulumplastik wurde durchgeführt, weil die Implantate, die von Gingiva fixa umgeben waren, wesentlich weniger Entzündungzeichen zeigten und auch eine bessere Putzbarkeit aufwiesen. Die Operation wurde mit 6-0- Fäden und 5-6-facher Lupenvergrößerung durchgeführt, weil das postoperative Ergebnis beim atraumatischen Nähen mit dünnen Fäden wesentlich verbessert werden kann. Der Implantatsteg wurde drei Monate später fertig gestellt wobei die Unterkieferprothese für zwei Wochen nicht getragen werden durfte. Die Stegversorgung wurde ein Monat später fertiggestellt. 

Abb. 2: Vestibulumplastik mit
freiem Schleimhauttransplantat

Abb. 3 zeigt die fertige Versorgung in der Panoramaaufnahme. Abb. 4 zeigt die Stegversorgung 5 Jahre postoperativ.

Interview mit Univ.-Prof. DDr. Peter Solar, Oberarzt an der Abteilung für Prothetik, Wien

Ich durfte Sie noch in den Anfängen der neu gegründeten Abteilung für Parodontologie kennenlernen. Wenn Sie nun auf diese Anfangszeit zurückschauen, wie hat sich Ihr Therapieverhalten gegenüber den Zeiten vor Gründung der Abteilung für Parodontologie verändert?

Abb. 3: Fertige implantat-
getragene Stegversorgung mit
verbreiterter Gingiva fixa

SOLAR: Zunächst habe ich verstanden, dass Dentalhygienesitzungen und Parodontaltherapie zwei verschiedene Dinge sind. Einen wesentlichen Beitrag dazu hat die Einführung der „Parodontalen Grunduntersuchung" durch die Österreichische Gesellschaft für Parodontologoie geleistet.
Bei der Dentalhygiene hat sich die Auswahl der Instrumente verfeinert. Bei der Parodontaltherapie habe ich das von den internationalen Fachgesellschaften vorgeschlagene Therapieschema übernommen, so wie es auch die neue Abteilung getan hat. Die erste Sitzung wurde damit zu einer vorwiegend diagnostischen, etwa nach der dritten oder vierten Sitzung - je nach individueller Situation - wird ein therapiefreies Intervall eingehalten, und anschließend findet eine Reevaluation statt. Nach deren Ergebnis richtet sich das weitere Vorgehen. Jede Maßnahme, jede Instruktion, jeder erhobene Index und jede Messung werden dokumentiert. Das Ergebnis spricht für sich: Ich habe kaum mehr Flaps zu operieren.

Sie geben schon seit einigen Jahren am MAZ Linz (Mikrochirurgisches Ausbildungs- und Forschungszentrum) Kurse für Mikrochirurgie in der oralen Chirurgie, Parodontologie und Implantologie. Was kann man sich darunter vorstellen?
SOLAR: Meine MAZ-Kurse sind reine Operationskurse mit modulartigem Aufbau. Es beginnt mit der Haltung von Skalpell und Nadelhalter, Auswahlkriterien des richtigen Nahtmaterials, Nahttechniken, Vertikalinzision, Sulcusinzision, Lappenbildung, Spaltlappen, Entnahme von Weichgewebs-transplantaten usw. Diese Techniken werden in der Theorie sehr anschaulich vorgestellt und dann an Spezialmodellen und an Schweinekiefern geübt - und zwar ohne Zeitdruck. Jeder Arbeitsplatz hat ein eigenes OP-Mikroskop, eigenes mikrochirurgisches Instrumentar und Nahtmaterial. Die Fortschritte, die die Teilnehmer unter diesen Bedingungen machen, sind erstaunlich!

Warum ist es Ihrer Ansicht nach überhaupt nötig, mikrochirurgisch zu arbeiten? Geht das nicht auch ohne Lupe? Welchen Unterschied macht es für Zahnfleisch oder Knochen, wenn der Operateur mit Vergrößerungshilfe arbeitet?
SOLAR: Der große Unterschied besteht darin, dass ich unter dem Mikroskop einfach ganz genau sehen kann, was ich tue; die Augen führen die Hand mit extrem kleinen Bewegungen; diese Bewegungen sind viel reduzierter und kontrollierter als beim makroskopischen Operieren. Das ist natürlich auch sehr gewebeschonend.

Welche Art der Vergrößerungshilfe ist denn überhaupt nötig bzw. sinnvoll? Und welche Vergrößerungshilfe ist aus Ihrer Sicht hinderlich?
SOLAR: Ich persönlich habe drei Sehhilfen; neben einer 3-fach vergrößernden Lupenbrille, die ich praktisch ständig trage, ein OP-Mikroskop mit bis zu 23-facher Vergrößerung und ein kopfgetragenes „Varioscope" mit bis zu 9-facher Vergrößerung. Das OP-Mikroskop verwende ich für die klassischen zahnärztlichen Tätigkeiten (Präparationen, Füllungen, Kleben, ...) mit einem Vergrößerungsfaktor zwischen 10 und 15. Das „Varioscope" trage ich beim Operieren, wobei ich ständig mittels Fußpedal stufenlos hinein- und hinauszoome. Für mich hat sich in der Chirurgie ein Vergrößerungsfaktor zwischen 4 und 7 als ideal herauskristallisiert. Hier wird das Blickfeld jenseits einer 7-fachen Vergrößerung für mich zu stark eingeschränkt.

Auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Mikroskopzahnheilkunde wurden Praktika für mikrochirurgisches Nähen von Nahtmaterial mit 8-0- und 9-0-Fäden angeboten. Hat diese feine Nahttechnik eine Zukunft? Oder wohin - meinen Sie - wird sich die Mikrochirurgie entwickeln?
SOLAR: Das ist selbstredend: die Mikrochirurgie ist extrem techniksensitiv; das dünnste Nahtmaterial wird nicht helfen, wenn beispielsweise der Lappen unter Spannung vernäht wird. Aus den Publikationen von Rino Burkhardt wissen wir, dass mikroskopisches Operieren tatsächlich frühere Lappen- Revaskularisierung und damit raschere und schmerzfreiere Heilung bewirkt. Auch das ästhetische Ergebnis kann entscheidend verbessert werden. Mit der Verfeinerung der von der Industrie zur Verfügung gestellten „Hardware" muss aber auch die „Software" des Operateurs - seine Technik, seine Geduld, sein Wille zur Perfektion - mithalten. Jeder, der einmal zahnärztlich mit 8-0-Fäden gearbeitet hat, weiß, dass damit ein sehr hoher Anspruch an die eigene Fähigkeit verbunden ist. Ob das Operationsergebnis den Einsatz rechtfertigt kann ich nicht beantworten. Ich habe sogar 10-0-Fäden in der Ordination, aber - um ehrlich zu sein - noch nie eingesetzt. Je nach Indikation verwende ich 5-0, 6-0 oder 7-0.

Vielen Dank für das Interview!
DDr. Klaus Kotschy

Abb. 4: Panoramaröntgen mit
fertiger Stegversorgung