Stilvoll essen in Zeiten der Krise?

Was ist eigentlich aus der einst so hochgehaltenen Kultur des Tafelns geworden? Denn heute kocht man ungefähr so: Man lädt seine Freunde in die offene Wohnküche ein, lässt sie Erdäpfel schälen, Saucen abschmecken und Suppen umrühren. Am besten beginnt man schon zu essen, bevor die Töpfe vom Herd genommen sind, denn es soll cool & locker - wie in einer TV-Kochshow - zugehen.

Deshalb kramt auch niemand mehr feines Tafelporzellan und dazupassendes Besteck hervor. Denn wenn das Dekor zu festlich ist - wie ist sie doch schnell dahin, die herrlich ungezwungene Stimmung!

Unser Gast der jetzt entschwundenen Wohlstandsjahre saß vor schlichten weißen Tellern, denen man nicht ansehen konnte, ob sie von Leiner oder Ikea waren. Und er trank aus Gläsern, die man günstig im Supermarkt gekauft - oder am Flohmarkt mit der dezenten Klebeetikette am Glassockel „Made in Moldavia" erstanden hatte.

Zu Zeiten des Kanzlers Bruno Kreisky und danach hätte man Gäste auch niemals in die Küche eingeladen. Einsam kämpfte die Hausfrau mit ihren Häferln. Anschließend trug sie das Ergebnis auf dampfenden Platten in das Esszimmer, wo die Gäste warteten, und zwar vor dem stilvollen Geschirr, auf dem sich böhmische Zwiebelmuster rankten. Schließlich ging es darum, zu repräsentieren; dabei ließ man sich keineswegs in die Töpfe schauen, aber investierte umso mehr in das Tischdekor.

Wenn es eine positive Nebenwirkung der Krise geben könnte, dann die, dass die Tischkultur zurückkehrt. Denn wird es in der Finanz- und Wirtschaftswelt draußen eisig kalt, zieht sich der Mensch - wie zu Zeiten des Biedermeier - in sein trautes Heim zurück; „Retreat" nennt sich das neudeutsch. Und in der neuen Häuslichkeit werden die Dinge wichtiger, mit denen man sich umgibt. Sie geben Sicherheit in einer Zeit, in der nichts mehr sicher scheint.

Studien haben gezeigt, dass Menschen, die ihr Leben mit festen Tischsitten zu festgesetzten Zeiten strukturieren, ausgeglichener leben. Denn während man in der Außenwelt schnell vom Aktientycoon zum armen „Würstchen" wird, kann man sich bei Tisch noch wie ein nobles „Fürstchen" fühlen: etwa indem man in Porzellan aus der einst königlich-ungarischen Porzellan-Manufaktur Herend investiert, Besteck von Wilkinson auflegt oder indem man aus edlem Kristallglas von Saint-Louis trinkt. Damit haben schon die französischen Könige ihren Bordeaux in die Kehle gekippt, bevor ebendiese unfein durchtrennt wurde.

Saint-Louis gibt es im Gegensatz zur französischen Monarchie noch immer, die Manufaktur gehört heute zu Hermés. Es ist ein Glas, das zusammenbrechende Gesellschaftsordnungen übersteht, das sollte uns optimistisch stimmen.

Eine Ausstellung in London im Vorjahr über die geborgenen Gegenstände aus dem Schiffswrack des Luxusdampfers Titanic brachte es in diesem Sinn ans Licht: Vor allem das eigens für die Reederei produzierte Porzellan mit dem Logo der „White-Star-Line" hatte alle Katastrophen überstanden.

Hubertus