Implantologie, Geroprothetik und Studienplätze

Seit mittlerweile mehr als sieben Jahren befindet sich die Innsbrucker Zahnklinik (mit Ausnahme der MKG-Chirurgie) im Gebäude des Medizinzentrums Anichstraße (MZA). „Wir sind sehr glücklich, dass uns hier der gesamte 1. Stock zur Verfügung steht und sich die bei uns traditionell sehr enge Zusammenarbeit zwischen Zahnersatz und Zahnerhaltung auch räumlich abbildet", sagt Prof. DDr. Ingrid Grunert, Direktorin des Departments Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Leiterin der Universitätsklinik Zahnersatz/Zahnerhaltung. „Alles ist modern und funktionell", so Grunert, „und wir würden heute bei der Einrichtung eigentlich nichts anders machen."

Wer wird der Nachfolger von Professor Richter in der Kieferorthopädie?

Grunert: Mit Anfang März wird Prof. Crismani die Universitätsklinik für Kieferorthopädie leiten. Er kommt von der Wiener Zahnklinik zu uns.

Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre im Zahnersatz-Bereich?

Grunert: Ich würde sagen, vor allem die Weiterentwicklungen in der Implantologie zusammen mit den Möglichkeiten, sehr ästhetische Restaurationen zu schaffen, speziell durch den Einsatz von  Zirkonkomponenten. Rehabilitationen aus Vollkeramik - nicht nur implantatgestützt - ermöglichen heute optimale ästhetische Ergebnisse, was für die Patienten immer wichtiger wird.

Aufgefallen ist mir auch, dass die Zahl der Problempatienten mit dekompensierten Dysfunktionen nach prothetischer Versorgung deutlich zugenommen hat. Der Okklusion und Funktion wird leider in der Prothetik viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, für etliche Zahnärzte spielen sie überhaupt keine Rolle. In Göteborg hat Prof. Carlsson die Gesichtsbögen sogar völlig eliminiert.

Die Patienten leben heute in einer stressigen Zeit, sie sind wohl auch weniger tolerant als früher, und wenn dann noch eine insuffiziente Zahnmedizin, die Okklusion und Funktion zu wenig beachtet, hinzukommt, dann kippt das System.

In den letzten Jahren sehr wichtig geworden ist sicherlich auch die Geroprothetik.

Wie viele Studienplätze gibt es derzeit an der Innsbrucker Zahnklinik, und wie sehen die Erfahrungen mit dem zahnmedizinischen Eingangstest aus?

Grunert: In Innsbruck gibt es derzeit pro Jahr 40 Plätze für Zahnmedizin- und 360 für Humanmedizinstudenten und -studentinnen. Zum EMS-Test treten übrigens über 2000 Personen an. In der ersten Studienphase, das heißt in den ersten sechs Semester, sind in Innsbruck dann das Medizin- und das Zahnmedizinstudium praktisch ident.

In die Klinik kommen pro Jahr 25 Studenten. Der zahnmedizinische Eingangstest hat sich dabei sehr bewährt. Es hat sich gezeigt, dass Studenten, die hier schlecht abschneiden, sich auch später schwer tun.

Mit der derzeitigen Studentenzahl ist eine hochqualifizierte Ausbildung möglich. Leider wird momentan auf der Medizinuniversität vor allem auf die Impact-Punkte der Publikationen geachtet, die in der Zahnmedizin sehr aufwändige Lehre wird eindeutig zu wenig geschätzt.

Was versteht man unter Geroprothetik genau, und wo liegen hier die größten Herausforderungen?

Grunert: Fälschlicherweise wird mit „Geroprothetik" manchmal nur die Behandlung pflegebedürftiger, bettlägeriger Menschen assoziiert. Generell geht es darum, alten, nicht selten kranken Menschen wieder mehr Lebensqualität zu verschaffen. Bei Implantaten muss es ja nicht unbedingt die Maximallösung sein, oft genügen zwei Implantate im Unterkiefer, um eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen.

Die Herausforderungen in der Behandlung alter Menschen sind groß: Wir sind in der Regel mit Schleimhautatrophie, reduzierter Speichelsekretion, mangelnder Mundhygiene, kariogener Ernährung und reduzierter Adaptionskapazität konfrontiert. Nicht selten kommt es vor, dass rund um das 80. Lebensjahr plötzlich Wurzelkaries bei mehreren Zähnen auftritt. Hier spielt die Xerostomie eine wichtige Rolle. Alte Menschen trinken oft zu wenig, und sie nehmen zu einem hohen Prozentsatz Medikamente, die sich negativ auf die Speichelproduktion auswirken - wie Antihypertonika, Diuretika oder Antidepressiva. Leider bringen Speichelersatzprodukte nach meiner Erfahrung nicht viel.

Gibt es für die Versorgung mit Implantaten eine Altersgrenze?

Grunert: Eigentlich nicht, auch 100-Jährige bekamen schon Implantate. Freilich würde ich dann eine minimalinvasive Vorgehensweise wählen. Insgesamt sollte einem bei prothetischer Planung immer bewusst sein, dass eine Pfeilervermehrung durch ein bis zwei Implantate an strategischen Positionen die prothetische Situation und die Prognose des Zahnersatzes oft deutlich verbessern kann und Patienten sich etwa wieder viel besser ernähren können.

Wie stehen Sie zur Sofortbelastung von Implantaten?

Grunert: Was die Sofortbelastung betrifft, waren wir in Innsbruck immer eher traditionell orientiert und zurückhaltend. Im zahnlosen Unterkiefer funktioniert Sofortbelastung gut, aber insgesamt ist die Abstimmung zwischen Chirurg, Prothetik und Zahntechniker nicht so einfach. Außerdem wird durch die Störungen während der Einheilzeit die Misserfolgsrate höher. Daher wird nach meiner Erfahrung derzeit bei der Sofortbelastung von Implantaten wieder etwas „zurückgerudert".

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner
Grunert: ?Die Zahl der Problempatienten mit dekompensierten Dysfunktionen nach prothetischer Versorgung hat deutlich zuge-
nommen.?