Abwehrschwäche und vermehrte Keimbelastung als Verstärkermechanismen

Progression und Aktivität von Parodontalerkrankungen sind gleichermaßen abhängig von der bakteriellen Belastung der Mundhöhle als auch von der Immunantwort des Wirtsorganismus. Besonders bei bereits vorgeschädigte Gewebsstrukturen können qualitative und quantitative Veränderungen des mikrobiellen Milieus und Verschlechterungen der Abwehrlage zu schubartigen Entzündungsgeschehen mit allen daraus resultierenden Folgen, wie irreversiblen Verlust an Weich- und Knochengewebe führen. Zu den provokativen Faktoren gehören metabolische Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, genetische Faktoren, Bluthochdruck, Stress, erhöhter Alkohol- und Zigarettenkonsum, aber auch Infektionserkrankungen der Atemwege und grippale Infekte.

Persistierende Zahnfleischentzündung nach grippalen Infekten
Gerade im Zusammenhang mit eher harmlosen Erkältungen, lässt sich oft eine damit einhergehende, teilweise massive Verschlechterung einer bestehenden Parodontalerkrankung feststellen. Hartnäckige Entzündungen, Blutung, schmerzendes Zahnfleisch und Mundgeruch bleiben oft auch noch Wochen nach Abklingen des grippalen Infekts bestehen. Die entzündliche Aktivität in den vorher ruhenden Zahnfleischtaschen wird in erster Linie durch die mit der Erkältung einhergehende Suppression des Immunssystems hervorgerufen. Systemische und lokale Abwehr sind mit der gleichzeitigen Abwehr des grippalen Infekts und der Parodontalkeime überfordert. Die bakterielle Belastung in den Zahnfleischtaschen steigt an - die kritische Keimmasse wird erreicht und es kommt zur Entzündung der Gingiva und des Knochengewebes.

Erreger grippaler Infekte sind primär Viren aus den Familien der Picornaviridae ( z. B.: das HRV - 1A, Rhinoviren, Coxackieviren B1, diverse Echoviridae und humane Enteroviren. Mit vor allem respiratorischen Infekten in Zusammenhang stehen Coronaviren, Paramyxoviridae mit dem humanen Parainfluenzavirus und Reoviridae. Die häufigsten Erreger sind mit 40% die Rhinoviren gefolgt von Coronaviren mit 10 - 25%.

Der Virusinfekt wird häufig überlagert und verstärkt durch bakterielle Superinfektionen mit Keimen aus den Gruppen der Staphylokokken und Streptokokken, welche dann die Gesamtkeimbelastung zusätzlich verstärken. Besonders Infekte der oberen Atemwege können bakteriell verursacht sein, wobei hier Keime wie Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus und Pneumokokken eine wichtige Rolle spielen. Diese Keime, ebenso wie ihre Begleitflora können das pathogene Potential der Parodontalkeime in den Zahnfleischtaschen synergistisch verstärken. Die Summe der Zahnfleischtaschen stellen, besonders im aktiven Zustand eine nicht unbeträchtliche Wundfläche dar, welche naturgemäß für Keimbesiedelungen aller Art extrem anfällig ist.

Wechselseitige Beeinflussung der Erregerspektren
Die Interaktion zwischen Prodontalkeimen und den Verursachern der Erkältungserkrankung, führt einerseits zu einer Verschlechterung der Situation im Sulcus, auf der anderen Seite können die parodontalspezifischen Bakterien aber auch ihrerseits respiratorische Erkrankungen modifizieren und verstärken. Die Keime können aus Mundhöhle und Rachen inhaliert werden und zu schweren Bronchitiden bzw. bis zur Pneumonie führen. Die Persistenz potentiell pathogener Keime im Milieu einer Zahnfleischtasche bedingt, dass gingivale Entzündungen oft noch Wochen nach Abklingen eines grippalen oder repiratorischen Infekts anhalten. Andererseits kann die mit aggressiven Keimen besiedelte Tasche wiederum Quelle und Ursache für weitere respiratorische Infekte werden. Die Keime werden gewissermaßen zwischen Parodontaltasche und Rachen- und Nasenschleimhaut wechselweise verteilt. In solchen Fällen ist eine generelle zahnärztliche Intervention zur Vermeidung weiterer Gewebeschäden notwendig. Mundhygienische Maßnahmen in Kombination mit lokaler Desinfektion zur Reduktion der Keimbelastung und in schweren Fällen eine dem jeweiligen Keimspektrum entsprechende antibiotische Begleittherapie sind Voraussetzung zur Wiederherstellung der oralen Gesundheit und zur Vermeidung rezidivierender Infekte.

Eine wichtige Rolle kommt auch den Pilzen zu. Bei entsprechendem Milieu können Hefen, wie Candida albicans oder Candida glabrata bei Entzündungen der Mundschleimhaut und in tiefen Parodontaltaschen vermehrt auftreten. Diese ursprünglich saprophytischen Organismen begünstigen aber in der Folge wiederum weitere virale und bakterielle Infekte.

Fusospirilläre Mischinfektion als Verursacher schwerer Entzündung
Einen mikrobiologischen Sonderfall stellt die Plaut Vincent Angina dar. Hier handelt es sich um eine Mischinfektion aus Treponema vincenti und Fusobacterium nucleatum, welche zu einer schweren Form einer nekrotisierenden Tonsillitis und Rachenentzündung führt. Dieselben Keime sind allerdings auch an der Genese massiver progressiver Parodontalentzündungen beteiligt. In beiden Fällen kommt es zu schmerzhaften Geschwüren, Nekrosen und übel riechenden schmierig graugelben Belägen der Läsionen. Am Zahnfleisch entsteht eine akut nekrotisierende ulzerierende Gingivitis mit Eiterbildung und in manchen Fällen auch hohem Fieber. Durch gegenseitige Verstärkung der Pathomechanismen beider Keimspezies entstehen Geschwüre und Abszesse. Durch die massiven Gewebsschäden werden anaerobe Verhältnisse begünstigt, was in der Folge zu weiteren Superinfektionen führt. Um diesen Kreis zu durchbrechen ist einerseits eine unter entsprechender gezielter antibiotischer Abdeckung durchzuführende Sanierung der gingivalen Läsionen erforderlich, andererseits auch eine Entfernung der Tonsillen, welche ein permanentes Erregerreservoir darstellen, notwendig.


Ch. Eder
L. Schuder