Gehört Gerasdorf zu Wien und Österreich zur EU – oder doch nicht?

Fragen über Fragen! Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser werden sich jetzt zu Recht fragen, was hat das mit Zahnmedizin zu tun? Tatsächlich sehr viel! Nämlich in dem Moment, wenn Sie sich überlegen, Ihre Kassenordination weiterzugeben.

In meinem Fall, Jahrgang 1963, stellte sich letztes Jahr allmählich die Frage, wie, wann und an wen ich meine über 31 Jahre geführte Kassenordination weitergeben würde. Das Schicksal führte mich mit einer jungen Kollegin zusammen, die nach dem Ende ihres Studiums im Taumel der Liebe einem jungen Zahnarztsohn in das benachbarte Deutschland gefolgt war. Dort war sie bei einem mir bekannten Kollegen in einer modernen und sehr gut geführten Ordination angestellt. Als die Liebe zerbrach, kehrte die Kollegin nach Niederösterreich in ihr Elternhaus zurück. Sie ließ sich in St. Pölten in die Zahnärzteliste eintragen und auf die Interessenliste für eine Kassenordination in Niederösterreich setzen. Nach kurzer Zeit stellte sich die heimatliche Kleinstadt für die weitgereiste Dame als zu eng heraus und so beschloss sie, sich eine Vertretungsstelle in Wien zu suchen. So trafen wir aufeinander und waren uns sofort sympathisch.

Jobsharing Vertrag

Voller Enthusiasmus von beiden Seiten wurde ein Jobsharing Vertrag mit der österreichischen Gesundheitskasse abgeschlossen und dieses Unterfangen stellte sich als wirklich einfach und für österreichische Verhältnisse als sehr unbürokratisch dar. Ein halbes Jahr arbeiteten wir teilweise gemeinsam in der Ordination und die junge Kollegin wurde von den Angestellten und den Patientinnen und Patienten höchst positiv aufgenommen. Also - eigentlich traumhaft! Aber das bittere Erwachen musste natürlich kommen, nämlich nach dem genauen Studium der von der Zahnärztekammer und dem Hauptverband ausverhandelten Reihungskriterien für Interessenten für einen Kassenvertrag in Wien. Die drei Jahre, die die junge Kollegin in einer exzellenten Praxis in Deutschland gearbeitet hatte, werden in keiner Weise angerechnet. Die Begründung lautet, dass das Krankenkassen-System in Deutschland komplett anders funktioniert und die jungen Kolleginnen und Kollegen ja das Kassensystem in Österreich verstehen sollen. Mir persönlich ist das nach 31 Jahren als Kassenarzt in Wien nicht gelungen, da ich besonders in letzter Zeit immer wieder erstaunt bin, welche neue Auflagen von den Kassen vorgeschrieben werden. Nun gut, die beiden Kassensysteme unterscheiden sich wirklich, aber die fachliche Arbeitsweise ist in Bayern nicht anders als in Wien und deshalb würde ich es als gerecht empfinden, dass wenigstens ein Teil der Zeit angerechnet wird. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass wir Semester für Semester für unsere nördlichen Nachbarn eine Vielzahl von Zahnärzten ausbilden, die nach dem Ende ihres Studiums wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Diese Tatsache wurde erst vor kurzem von DDr. Martin Hönlinger, Präsident der Salzburger Landeszahnärztekammer und Vizepräsident der österreichischen Zahnärztekammer, in der Presse beklagt. Wir bereiten also junge Zahnärzte vor ins Ausland zu gehen, aber die Rückkehr ist fast unmöglich! Drei Jahre der Liebe geopfert. Im Weiteren wurde mir, eigentlich durch Zufall, in einem Gespräch mit einer Kollegin klar, dass natürlich auch in Wien, eine eigene Interessenliste für den Kassenvertrag aufliegt, in die man sich eintragen muss.

Wien und St. Pölten

Die bei mir arbeitende junge Kollegin hatte sich in St. Pölten eintragen lassen, aber das reicht natürlich nicht - es muss auch in Wien sein! Wieder sechs Monate verloren! Und das alles in Zeiten eines Europas ohne Grenzen, wo junge Menschen kreuz und quer in den Mitgliedsländern studieren und arbeiten dürfen. Mein Sohn hat in drei verschiedenen Ländern studiert und arbeitet jetzt, seitdem er angestellt ist, in der dritten europäischen Hauptstadt. Er hatte keine Probleme mit der Anrechnung von Punkten oder Ähnlichem. In anderen Branchen scheint das vereinte Europa also zu funktionieren. Selbst in der „echten“
Medizin ist es möglich nach einer Ausbildung in den USA ohne großes Problem eine Anstellung in Europa zu bekommen. Nur bei der Vergabe eines Kassenvertrages, da lässt die Provinz grüßen! So wurde uns beiden nach und nach bewusst, dass wir noch einige Jahre gemeinsam arbeiten werden.

Teure Fortbildungspunkte

Im zweiten Schritt beschäftigten wir uns mit der Anzahl der Fortbildungs-Punkte. Die erreichbare Punkteanzahl ist 15. Klingt super, bis man das Kleingedruckte liest. Ein Fortbildungspunkt einer Veranstaltung wird nur mit 0,07 auf der Reihungsliste gerechnet. Also nehmen wir nun folgendes Beispiel an: Eine hochkarätige Fortbildung in Deutschland bringt 14 Punkte, kostet für zwei Tage 650 Euro (ohne Anreise bzw. Übernachtung) und bringt dann für die Reihung 0,98. Ein Onlinekurs eines kammernahen Fortbildungsinstitutes bringt 1–2 Punkte, also 0,07-0,14 Reihungspunkte. Die Anzahl der Fortbildungen, die die jungen Kolleginnen und Kollegen absolvieren müssen, kostet also viel Geld und Zeit. In Anbetracht der Tatsache, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen nach ihrem Studium mit theoretischem Wissen vollgestopft sind und ihnen hauptsächlich das praktische Arbeiten fehlt, empfinde ich die geforderte Anzahl an Fortbildungspunkten als übertrieben. Bitte mich nicht falsch zu verstehen – ich bin ein großer Verfechter der Weiterbildung und habe mein ganzes Berufsleben über Fortbildungen besucht. Aber was sind denn die Kriterien, um eine Kassenordination erfolgreich zu führen? Es sind die fachlich-menschliche Qualifikation, das Kenntnis des Kassensystems in Österreich und das Verstehen von wirtschaftlichen Grundlagen. Theoretisch-fachlich sind die Jungen hervorragend und soziale Kompetenz ist die Voraussetzung für einen medizinischen Beruf. Also bleibt das Kassensystem und das wirtschaftliche Führen einer Ordination – und genau in diesen Punkten sollte die Fortbildung für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen vorgeschrieben sein.

Soziale und wirtschaftliche Kompetenz wesentlich

Sofort fällt mir da das Praxismanagement, die Personalführung, der Umgang mit der Sterilisation, die Strahlenschutzverordnung und Ähnliches ein. Damit würden wir den jungen Kolleginnen und helfen und sie fit für ihr weiteres Berufsleben machen. Alle anderen Fortbildungen, Masterstudien etc. können später folgen. Am Anfang zählen soziale und wirtschaftliche Kompetenz und das praktische Arbeiten. Und wenn dann die Präsidenten der Landeszahnärztekammern über nicht besetzte Kassenplanstellen jammern und dann noch als besonderes Gustostückerl der beste Gesundheitsminister aller Zeiten von 800 zusätzlichen Kassenplanstellen phantasiert, dann versteht man die Welt wirklich nicht mehr. Aber was will nun die Gesundheitspolitik? Die Vermutung drängt sich auf, dass die Politik viel lieber billige Primärversorgungszentren und noch besser private Ambulatorien haben möchte. Die Armen gehen ins Primärversorgungszentrum und die Reichen sollen selbst beim Privatarzt zahlen. Jede nicht besetzte Kassenplanstelle spart Geld und ob der Patient, der die Abgaben zahlt, zufrieden ist, ist doch wirklich egal! Man kann sich doch bitte nicht um Alles kümmern.

Mein Appell an unsere Standesvertretung

Deshalb ist mein Appell an meine Standesvertretung: „Setzt Euch dafür ein, dass junge Kolleginnen und Kollegen, die noch den Mut haben freiberuflich zu arbeiten, in einer tolerierbaren Zeit und mit notwendigerweise vorgeschriebenen Fortbildungen die Kassenverträge des altgedienten Zahnarztes übernehmen können. Denn dies wäre dann eine Win-Win-Situation für die, auf die es ankommt – und das sind die Patientinnen und Patienten und wir Ärztinnen und Ärzte!

MR DDr. Barbara Thornton,
niedergelassene Zahnärztin in Wien

MR DDr. Barbara Thornton,
niedergelassene Zahnärztin in Wien