Orale Präkanzerosen – Teil 2: Frühdiagnose prämaligner Läsionen verhindert orale Karzinome

Die Unterscheidung harmloser von prämalignen Veränderungen der der Mundschleimhaut bereitet auf Grund der oft uncharakteristischen Morphologie Schwierigkeiten und erfordert neben einer differenzialdiagnostischen Ersteinschätzung durch den Zahnarzt meist eine zusätzliche pathohistologische Abklärung der Dignität.

Eine einfache Hilfe bei der Beurteilung der oft unscheinbar imponierenden Läsionen ist die Färbung von verdächtigen Arealen mit 1%igem Toluidinblau. Zellen von präkanzerös-dysplastischen und bereits invasiven Malignomen haben einen vermehrten Gehalt an Nukleinsäuren, zu welchen der blaue Farbstoff hohe Affinität hat. Zusätzlich bindet Toluidinblau an sulfatierte Mukopolysaccharide des pathologisch veränderten Epithels. Eine weitere hilfreiche Methode ist „Autofluoreszenz Imaging“, wobei mittels Licht von unterschiedlichen Wellenlängen endogene Fluorophoren wie Kollagen, Elastin, Keratin und vermehrter Gehalt an elektronenübertragenden Coenzymen wie NADH und FAD dargestellt
werden. Dysplastische Zellen verursachen Veränderungen in der Fluoreszenz der Mukosa und haben eine Sensitivität von 91%, allerdings liegt die Spezifität bei nur 58%, weshalb eine zusätzliche Biopsie zur Bestätigung und endgültigen Diagnose unbedingt erforderlich ist. Speichel-Biomarker sind Indikatoren für den Nachweis beteiligter onkogener Viren und dem Nachweis vermehrter assoziierter Zytokine wie IL-1b, IL-8 und TNFα, welche bei prämalignen und maligne Prozessen überexprimiert werden. Eine routinemäßige Verwendung dieser Marker bedarf allerdings noch weiterer Forschungsergebnisse. Besonders häufig manifestieren sich mögliche Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms als weiße oder rötliche, teils flache, teils erhabene Läsionen, häufig unter dem, in Teil 1 beschriebenen, klinischen Bild einer Leukoplakie. Eine spezielle Form dieser Kategorie ist die mit hohem malignen Transformationspotenzial einhergehende Erythroleukoplakie. Makroskopisch imponiert sie als samtartige, kräftig rot gefärbte, meist gutumschriebene Veränderung der Mukosa. In einigen Fällen kann sie auch wechselnde rote und weiße Areale beinhalten und wird dann als „Leukoerythroplakie“ bezeichnet. Betroffen sind bevorzugt Männer zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr, ein enger Zusammenhang mit Tabak- und Alkoholkonsum ist nachgewiesen. Prädeliktionsorte sind der weiche Gaumen und die ventrale Zunge, gefolgt von Mundboden und Tonsillenpfeilern. Die Erythroleukoplakie ist in den meisten Fällen asymptomatisch, nur selten werden brennende Sensationen oder Schmerzen beschrieben. Da die Läsion meist nur solitär in einem kleinen Bereich auftritt und den Patienten kaum irritiert wird sie häufig übersehen oder als lokale Entzündung eingestuft und unterschätzt. Dieser Irrtum kann allerdings fatale Folgen haben, da die Erythroleukoplakie in bis zu 51% in ein invasives Plattenepithelkarzinom übergeht. Bei Biopsie findet man in bis 80% der Fälle bereits histologische Kriterien der Malignität mit schwerer Dysplasie entsprechend einem Carcinoma in situ oder sogar einem bereits invasiven Plattenepithelkarzinom. Die Frühdiagnose hat daher besonderen Stellenwert.

Lichen planus mucosae (OLP)

Diese fakultative Präkanzerose wurde erstmals von Erasmus Wilson 1869 beschrieben und ist eine autoimmune, chronisch inflammatorische Erkrankung, welche neben den Schleimhäuten in ca. 50% als integumentaler Lichen auch die Haut und die Nägel betreffen kann. Dort findet man als Primäreffloreszenz kleine rötliche Knötchen mit schuppigen festhaftenden Epithelien. Die Manifestation in der Mundhöhle wird als „Oraler Lichen planus (OLP)“ bezeichnet und eilt möglichen Hautläsionen oft um Monate voraus. OLP verursacht 10% aller weißen Schleimhautveränderungen und betrifft bevorzugt Frauen (60%) um das 5. bis 6. Lebensjahrzehnt. Am häufigsten findet man ihn auf der buccalen Mukosa nahe der Mundwinkel, gefolgt von Gaumen, Zunge, Lippen und Alveolarschleimhaut. Das Entartungsrisiko ist verglichen mit der Erythroleukoplakie und der verrukösen Leukoplakie mit 0,5 -3,7% relativ gering. Die klassische Form ist der retikuläre Typ mit streifig weißer Zeichnung (Wickham-Streifen) in filigranen netzartigen Mustern auf der Mukosa. Schwieriger wird die richtige Einschätzung beim papulären und beim plaqueartigen Typ, welche klinisch kaum von praktisch ident imponierenden Läsionen einer Leukoplakie unterschieden werden können. Auch atrophische und erosive Formen sind möglich und bedürfen wegen erhöhter Entartungsgefahr immer einer bioptischen Abklärung. Die seltene bullöse Form kann mittels direkter Immunfluoreszenz differenzialdiagnostisch von einem Pemphigus vulgaris oder einem oralen Pemphigoid unterschieden werden. Beim OLP findet man IgA-, IgM- und C3 Deposits entlang der Basallamina und irreguläre Fibrinogenablagerungen in der Basalmembran. Histologisch findet man eine Degeneration und Homogenisierung der Basalzellen des Epithels mit Einlagerung von Kolloidkörperchen, den sogenannten Civette bodies, sägeblattartige Reteleisten und subepithelial ein dichtes Infiltrat von T-Lymphozyten mit zusätzlicher perivaskulärer Akzentuierung. Es kommt zu einer gesteigerten Zytokinexpression, einer up-Regulation von Adhäsionsmolekülen an den Membranen der Keratozyten und zu einer erhöhte Freisetzung von Metalloproteinasen. Das Zusammenwirken dieser Prozesse verursacht die Apoptose der basalen Epithelzellen und löst die typische Entzündungsreaktion aus. Zusätzlich können genetische disponierende Faktoren eine Rolle spielen. Studien zeigen auch Zusammenhänge mit zahnärztlichen Werkstoffen wie Composit, Gold und Amalgam, Medikamenten, systemischen Erkrankungen, wie Diabetes mellitus, Hashimoto Thyreoiditis und dem Sjögren Syndrom. Ein interessanter Zusammenhang besteht mit chronischen Infektionen mit dem Hepatitis C Virus. Die virale RNA ist in 60% der Fälle nicht nur in den Hepatozyten, sondern auch im Sulkusfluid nachweisbar. Durch eine strukturelle Übereinstimmung von Bestandteilen der Viren mit molekularen Strukturen der Keratinozyten kommt es zu einem Mimikry Effekt und zu einer Kreuzreaktivität zwischen Virusepitopen und körpereigenen Geweben. Für die Erstellung der Verdachtsdiagnose empfiehlt sich eine exakte Anamnese, die endgültige Abklärung muss auch hier durch Biopsie und anschließende histopathologische Beurteilung erfolgen. Da besonders der retikuläre Typ große Areale umfassen kann, müssen wegen einer möglichen inhomogenen Differenzierung der Läsion multiple Gewebeproben zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer Dysplasie entnommen werden. Die Therapie erfolgt, besonders bei erosiven Varianten, mittels antiphlogistisch und immunsupprimierend wirksamen topischer Glukokortikoiden in Form von Haftsalben oder eingebettet in Lipid-Mikrosphären. Alternativ kommen in einigen Fällen auch Retinoide und lokale Spülungen mit Cyklosporin-A zum Einsatz, nur in schweren Fällen kann eine systemische Behandlung erforderlich werden. Cyklosporin-A hemmt inflammatorische Zytokine und Calcineurin/Calmodulin und damit einen Signalweg der T-Lymphozytenaktivierung. Engmaschige Kontrollen sind notwendig, um eine mögliche maligne Transformation frühzeitig zu erkennen.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at