Synoptisches Behandlungskonzept - Implantatgetragene Locator-Prothese in der zahnlosen Maxilla & Einzelzahnimplantat Regio 46

Das synoptische Behandlungskonzept stellt in der zahnärztlichen Prothetik den umfassenden, interdisziplinären Behandlungsansatz bzw. systematischen Behandlungsablauf dar, mit dem den Patienten die optimalen und langfristigen funktionellen sowie ästhetischen prothetischen Behandlungsergebnisse gewährleistet werden können.

Das synoptische Konzept besteht aus einigen wichtigen Punkten, wie umfassender Befundung und Diagnosestellung, vorläufiger Fallplanung, Behandlungskoordination und -durchführung mit Schwerpunkt auf der konservierenden und parodontologischen Vorbehandlung, Qualitätssicherung durch Reevaluation und der definitiven Fallplanung, sowie der abschließenden prothetischen Rekonstruktion. Die Locatoren bzw. Locator-Aufbauten sind eine spezielle Form der Implantataufbauten, die mittels eines "Patrizen-Matrizen”-Systems die Retention der bestehenden Totalprothesen deutlich erhöhen können, was vor allem durch verbesserte Kaufunktion und optimierte Geschmackwahrnehmung zur erheblichen Verbesserung der Lebensqualität von Totalprothesenträgern beitragen kann. Sie stellen, im Vergleich zu anderen Retentionselementen und -systemen eine kostengünstigere, technisch relativ leicht durchführbare und patientenfreundliche auf Implantaten getragene hybridprothetische Lösung dar.

Fallvorstellung

Der Patient, 64 Jahre alt, stellte sich erstmals im November 2021 vor. Zu diesem Zeitpunkt war er im Oberkiefer schon zahnlos und trug eine Totalprothese. Die klassischen Probleme, wie schlechter Halt sowie reduzierte Geschmackwahrnehmung durch Gaumenbedeckung, stellten auch bei diesem Patienten den großen Leidensdruck dar. Daher äußerte er den Wunsch nach einer implantatgetragenen Versorgung. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung war der Patient im Unterkiefer mit einer weitspannigen Brückenversorgung im 4.Q. zum Schluss der Lücken in Regio 44 und 46 teilbezahnt. Die allgemeinmedizinische Anamnese war unauffällig, die Allergie-, Medikamenten- sowie Raucheranamnese war negativ.

Befunderhebung und Diagnosestellung

Die bestehende OK-Totalprothese wurde auf Halt, Funktionalität und Ästhetik eingehend geprüft. Dabei konnte kein akuter Anpassungs bzw. Reparaturbedarf festgestellt werden. Im 4. Quadranten wurden zu dem Zeitpunkt die bestehenden Lücken in Regio 44 und 46 mit einer VMK-Brücke mit Zähnen 43, 45, 47 als Brückenpfeiler versorgt. Der routinemäßig erhobene extra- und intraorale Status zeigte sich unauffällig, an den restlichen Zähnen wurde das an der SFU-Zahnklinik standardmäßige parodontale Screening in Form von der PGU durchgeführt. In allen drei Sextanten wurde ein PGU-Wert 4 (ST > 5,5 mm) sowie Pusaustritt im 4. Quadranten, verzeichnet. Der Patient wurde anschließend über eine vorliegende Parodontitis im UK sowie eine notwendige Parodontitistherapie aufgeklärt. Abschließend wurde die Befunderhebung durch Durchführung der klinischen Tests (Sensibilität- und Perkussionstest), sowie die Anfertigung der Röntgenbilder vervollständigt.

Vorläufige Therapieplanung

Im OK sollte der Patient nach Herstellung der stabilen Entzündungsverhältnisse mit einer von sechs Implantaten getragenen Locator-Prothese versorgt werden. Aufgrund des unzureichenden Knochenangebots sollte der geplanten Implantatinsertion eine Knochenaugmentation, in Form von einem bilateralem Sinuslift, vorausgehen. Gemeinsam mit dem Patienten wurden mehrere Versorgungsmöglichkeiten, sowohl festsitzend als auch herausnehmbar (Steg, Teleskope, Locatoren), besprochen. Es wurde die endgültige prothetische Versorgung im Sinne des Retentionssystems von Locator-Aufbauten gewählt. Die Locator-Aufbauten waren nach umfassender Berücksichtigung der Patientenwünsche, finanziellen Situation, Platzverhältnissen und technischen Gegebenheiten die beste Versorgungsmöglichkeit. Die bestehende Brücke im UK sollte aufgrund des nicht erhaltungswürdigen Zahnes 47 (Furkation Grad III, sowie vertikale Knochendefekte
distal und mesial) distal des Zahnes 45 abgetrennt werden, sodass die Brücke von 43 auf 45 bestehen bleiben konnte. Die Zähne 43 und 35 wurden zu diesem Zeitpunkt, vor parodontaler Behandlung, aufgrund erhöhter Sondierungstiefen vorläufig als zweifelhaft eingestuft und sollten im Laufe der Therapie bei keiner feststellbaren Verbesserung ihres Zustandes extrahiert und durch Einzelzahnimplantatkronen, ersetzt werden. Außerdem sollte die konservierende Therapie, d.h. Füllungstherapie, im Rahmen der Vorbehandlung abgeschlossen werden.

Präprothetische Vorbehandlung

Nach der ersten parodontalen Statuserhebung wurde die endgültige parodontologische Diagnose von einer Parodontitis Stadium IV, Grad B gestellt. Eine subgingivale Reinigung der Restbezahnung und Extraktion des nicht erhaltungswürdigen Zahnes 47 stellten den ersten Schritt der Therapie dar. Nach Extraktion von 47 konnte die Parodontitistherapie starten. Im Rahmen dessen erfolgten zunächst gründliche Mundhygieneinstruktionen, gefolgt von der subgingivalen Reinigung mit Schall- und Handinstrumenten. Bei der Reevaluation erfolgte erneut eine komplette parodontale Statuserhebung. Im Allgemeinen war eine Verbesserung der parodontalen Lage festzustellen, jedoch noch kein vollständiger Therapieerfolg. In der Regio 43 wurde aufgrund ST von > 6mm nach erneuter Reinigung unterstützend ein PerioChip® eingelegt. Aufgrund verbliebener erhöhter ST am Zahn 35 von bis zu 9 mm und 36 von bis zu 7 mm wurde der Patient über die Notwendigkeit der weiterführenden Parodontitistherapie, in Form eines resektiven parodontal-chirurgischen Eingriffs aufgeklärt. Davor sollte noch zur Komplettierung der konservierenden Therapie ein Füllungstausch an den Zähnen 34 und 35 sowie an den Zähnen 36 und 37 erfolgen. Der geplante parodontal-chirurgische Eingriff im 3. Quadranten erfolgte komplikationsfrei mit Entfernung des gesamten Granulationsgewebes und Reinigung der Wurzeloberflächen mit Küretten (Scaling & Root Planing), kombiniert mit Osteoplastik sowie Osteotomie in Regio 35-36, mit abschließend dichtem Wundverschluss. Bei der letzten parodontologischen Kontrolluntersuchung ca. vier Wochen postoperativ war der parodontale Zustand des Patienten stabil.

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Fallplanung und Durchführung

Als erster Schritt der definitiven (implantat-) prothetischen Fallplanung wurde die Methode vom sogenannten „Backward-Planning“ durchgeführt. Die Erfassung der vorliegenden intraoralen Situation wurde mit bildgebenden diagnostischen Mitteln (Röntgenbilder & DVT) sowie der digitalen Abformung vervollständigt und eingehend geprüft, sodass alle notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen für die präprothetische chirurgische Therapie sowie abschließende prothetische Versorgung erfolgt waren. Daraufhin wurde der Patient über den chirurgischen Behandlungsplan (Therapieablauf, Komplikationen, postoperative Verhaltensmaßnahmen und den anfallenden Behandlungskosten) aufgeklärt. Aufgrund des geringen Knochenangebots im OK musste vor Implantatinsertion ein bilateraler Sinuslift durchgeführt werden. Postoperativ wurde eine Anpassung der bestehenden Totalprothese im Oberkiefer, im Sinne von Ausschleifen an der Prothesenbasis im Seitzahnbereich, durchgeführt. Der Patient hatte somit eine weiterhin bestehende OK-Versorgung während der Einheilphase. Nach Rückfrage vom Chirurgen wurde die Zahnprognose von 43 und 35 erneut parodontologisch reevaluiert und die Zähne als erhaltungswürdig angesehen. Daher konnte der Patient im UK lediglich mit einem Implantat in Regio 46 versorgt werden, wodurch die Kosten der ursprünglichen Planung deutlich reduziert werden konnten. Während der Einheilphase nach bilateralem Sinus-Lift erfolgte die Implantation in Regio 46. Nach einer Einheilungsphase von sechs Monaten nach bilateralen Sinus-Lift konnte die Implantatinsertion von sechs Implantaten in der Maxilla mithilfe einer zuvor angefertigten Bohrschablone erfolgen. Die Implantateinheilung erfolgte geschlossen. Bei der Implantatfreilegung wurden die entsprechenden Healing-Abutments (HA) eingebracht (Abb. 2). Anschließend erfolgte eine erneute Prothesenbasisanpassung an der bestehenden Totalprothese zur Vermeidung von Kontakten der Prothese mit den HA bzw. Implantaten. Nach der Freilegung wurde eine Einheilphase von ca. fünf Wochen beachtet, um der Gingiva genug Zeit zur Regeneration und Ausformung zu ermöglichen. Anschließend war es möglich mit der Herstellung der endgültigen prothetischen Versorgung zu beginnen. Beim darauffolgenden Termin erfolgte zunächst die Primärabformung zur Herstellung der individuellen Löffel. Zudem wurden nach Entfernen der HA die Gingivahöhen bei den Implantaten ausgemessen (Abb. 3) und die Locator-Aufbauten mit der entsprechenden Höhe ausgewählt. Abschließend wurde bei diesem Termin eine primäre Kieferrelationsbestimmung mit KSilikon durchgeführt und schließlich die HA wieder eingesetzt. ZTLAuftrag: Individueller Löffel für OK und UK + Bissschablone für OK. Eine Woche darauf wurden nach Entfernung der HA die ausgewählten Locator-Aufbauten eingesetzt und mit einem Drehmoment von 30 Ncm festgeschraubt (Abb. 4). Der korrekte Sitz der Aufbauten wurde mit Röntgenbildern verifiziert. Nach Aufsetzen der Abformkappen auf die Locator-Aufbauten wurde mit dem hergestellten individuellen Löffel zunächst im OK eine Präzisionsabformung mit A-Silikon durchgeführt. Weiteres wurden die Ruheschwebe und IKP-Höhe notiert und die endgültige Kieferrelationsbestimmung mittels Bissschablone durchgeführt. Daran anschließend erfolgte im UK die Präzisionsabformung für die Implantatkrone Regio 46 im Sinne einer geschlossenen Abformung mit ASilikon (Abb. 5). Abschließend wurde die Farbbestimmung durchgeführt, die eingesetzten Locator-Aufbauten im Mund belassen und die bestehende Totalprothese erneut angepasst. ZTL-Auftrag: OK-Wachsaufstellungsprobe mit den in der Prothesenbasis eingebauten Retentionsgehäusen + Anfertigung einer verschraubten Implantatkrone Regio 46. Die Wachsaufstellungsprobe mit den blauen Locator-Retentionseinsätzen zeigte einen stabilen und schaukelfreien Sitz, sowie ausreichende Retention. Die phonetische und ästhetische Kontrolle war zufriedenstellend. Es erfolgte ebenfalls das Einsetzen der Implantatkrone in Regio 46. Der Patient berichtete daraufhin von einem subjektiv angenehmen spannungsfreien Sitz der Restaurationen. Die abschließende Okklusionskontrolle für die OK-Wachsaufstellung sowie für die Implantatkrone Regio 46 war ebenso zufriedenstellend. Eine Anpassung bzw. Einschleifen der Okklusion war weder im OK noch in Regio 46 notwendig. Der Patient war mit der Ästhetik, Phonetik und dem Halt zufrieden. ZTL-Auftrag: Fertigstellung von OK-Locator-Prothese. Bei der Übergabe der Locator-Prothese zeigte sich mit den blauen Retentionseinsätzen nach wie vor ein stabiler und schaukelfreier Sitz mit ausreichender Retention und ohne feststellbare Druckstellen. Abschließend zeigten sich stabile Okklusions- und Artikulationsverhältnisse mit gleichmäßigen zentrischen Kontakten sowie einer Fronteckzahnführung in Exzentrik. Das Einsetzen und Herausgeben der Prothese wurden mit dem Patienten vor dem Handspiegel geübt und Hygienemaßnahmen besprochen. Der Patient war mit dem Gesamtergebnis, der Ästhetik sowie Phonetik sehr zufrieden. Bei dem Kontrolltermin waren keine Druckstellen festzustellen, sowie die Okklusion und Artikulation war optimal. Eine Anpassung war nicht notwendig. Der einzige „Mangel” der Versorgung, von dem unser Patient scherzhaft berichtete, war die Gewichtzunahme aufgrund deutlich verbesserter Kaufunktion sowie Geschmackswahrnehmung, was auf die erhebliche Verbesserung der Lebensqualität hinweist. Bei der letzten Mundhygiene-Kontrolle zeigte sich nach parodontaler Statuserhebung weiterhin ein stabiler parodontaler Zustand. Auch bei dem Follow-Up Termin wurde die Locator-Prothese im OK klinisch kontrolliert und sowohl vom Behandler als auch aus Sicht des Patienten als stabil und schaukelfrei bezeichnet (Abb. 6). 

Conclusio

Dieser Fallbericht zeigt, wie die synoptische Fallplanung und konsequente Durchführung als Teil des umfassenden Behandlungskonzepts in der zahnärztlichen Prothetik, die orale Gesundheit allgemein verbessern, sowie die Erhaltung der bestehenden Zähne und parallel dazu die Anfertigung des optimalen prothetischen Zahnersatzes gewährleisten können. Dadurch können den Patienten jegliche Art der Übertherapie sowie die erheblichen damit einhergehenden Kosten erspart bleiben. Außerdem konnte aufgrund gründlicher und gewissenhafter Fotodokumentation der Gesamtbehandlungsablauf bei der Herstellung einer Locator-Prothese bis in das kleinste Detail dargestellt werden und als klinischer Leitfaden für die unerfahrenen Behandler zur Verfügung gestellt werden. Die Locator-Prothesen bleiben nach wie vor eine kostengünstigere, technisch relativ leicht durchführbare und patientenfreundliche implantatgetragene hybridprothetische Versorgung, die damit noch lange Zeit ihre Anwendung in Versorgung der zahnlosen Patienten finden werden.

Dr.med.dent. Amar Ibric und
cand.med.dent. Annabel Kühnl
Zahnklinik der Sigmund Freud
PrivatUniversität, Wien

Literaturverzeichnis:
1 Matthias Kern, Stefan Wolfart,
Guido Heydecke, Siegbert Witkowski,
Jens Christoph Türp, Jörg R. Strub;
Curriculum Prothetik; Band 1-3; 5.,
überarbeitete und erweiterte Auflage
2022; Quintessenz Verlags-GmbH,
Berlin
2 Das Locator® Overdenture Implant System,
Technisches Handbuch, Zest Dental
Solutions® (letzter Online-Zugriff am
03.03.2024)

Kontakt: Zahnklinik der Sigmund
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