Orale Biologie - Competence Center

„Wir arbeiten nicht im Elfenbeinturm, und unsere Tätigkeiten und Ergebnisse sind nicht geheim, oft aber zu wenig bekannt - daher erzähle ich gerne davon“, so Prof. Dr. Reinhard Gruber, Lehrstuhlinhaber für Orale Biologie und Leiter des Competence Center Oral Biology an der Univ.-Zahnklinik Wien, im Gespräch mit ZMT.

Was tut sich am Competence Center Oral Biology?

GRUBER: Wir sind international gut vernetzt und führen viele Projekte durch. Die Personen im Labor kommen über Stipendien oder über Drittmittel zu uns, aktuell haben wir Mitarbeiter aus dem Iran, aus China, Brasilien und Peru. In Kürze kommt eine Biotechnologin aus Italien am Ende des Studiums über Erasmus zu uns. Wir haben Kooperationspartner in Norwegen und Spanien, und zudem bin ich nach wie vor Assoz. Professor in Bern, an der Klinik für Parodontologie, das ist meine „kleine Affiliation“. Ich kooperiere auch mit der Universität Zürich, einerseits beratend, anderseits haben wir den Zellatlas „Kommunikation der Zellen“ (mit vielen elektronenmikroskopischen Bildern) herausgegeben. Die Kapitel wurden jeweils von einem Kliniker und einem Theoretiker verfasst. Zum Buch gibt es eine Augmented Reality-App, die den Osteoklasten zum Leben erweckt. Der Mitherausgeber Prof. Bernd Stadlinger war bei der 10-Jahres-Feier des Umbaus der Wiener Zahnklinik einer der Hauptsprecher, und zwar zum Thema der Künstlichen Intelligenz. Weiters war ich 10 Jahre lang im Stiftungsrat der Osteology Foundation in Luzern, habe viel gelernt und beeindruckende Persönlichkeiten kennengelernt. Jetzt bin ich dort „pensioniert“ und im Honorary Board. Das Ziel der Osteology Foundation ist es, gezielt in die Entwicklung junger Talente und ihre Arbeiten zu investieren. Es gibt auch eine Research Academy. Viele Mitarbeiter sind in den letzten 10 Jahren mit dem Competence Center gewachsen. Meine Stellvertreterin ist Layla Panahipour, eine Zahnärztin, mittlerweile habilitiert. Sie ist ein integraler Bestandteil meiner Gruppe und ich hoffe, dass sie ihre Karriere an der Universität fortsetzen kann. Mein ehemaliger Doktorand, Balazs Feher, hat praktisch gleichzeitig
als PhD promoviert und seine Habilitation abgeschlossen, er war als Scholar der Osteology Foundation in Harvard bei William Giannobile und wurde dort um ein Jahr verlängert. In meinen Augen zählt er zu den „future leaders“. Karol Apaza kommt ursprünglich aus Peru und kam über ein Stipendium der Osteology Foundation zu uns. Sie hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Mausgenetik im Kontext der Zahnmedizin auseinandergesetzt. Ihre Arbeiten wurden international ausgezeichnet, sie hat diverse Preise und Travel Grants der IADR erhalten und ist jetzt über ein Stipendium bei Prof. Jill Helms in Stanford.

Womit beschäftigen Sie sich beispielsweise noch?

GRUBER: Mit platelet-rich fibrin (PRF), der entzündliche Osteolyse und meinem Lieblingsthema, dem „Knochen“. PRF ist in den letzten Jahren wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Bereits vor 20 Jahren haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen, nun wurde ich wieder in das Feld gezogen und kann sagen, dass wir uns im Spitzenfeld der Forschung befinden. Mit Prof. Kuchler haben wir zudem in der Neufassung der Leitlinie Osteoporose der Österreichischen Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel das zahnmedizinische Kapitel geschrieben. Mit Frau Apaza arbeite ich zur Mausgenetik von Zahnhalteapparat, Parodont und Kiefergelenk, um mehr über die Pathogenese diverser Erkrankungen zu erfahren und gezielte Therapien zu entwickeln, im Sinne der Personalized Medicine. Das ist so, wie wenn in einem Orchester der Triangelspieler krank ist; man muss die Partitur kennen, das fehlende Instrument erkennen und letztlich einen Ersatz finden. Weiters halte ich Vorträge z.B. für ZIV und ZAFI und zuletzt in Nizza beim Erfinder des PRF-Konzepts Joseph Choukroun, in Madrid und bei den deutschen Kieferchirurgen.

Was ist zum Thema Pyroptose zu sagen?

GRUBER:
Es gibt verschiedene Arten, wie Zellen sterben. Die Pyroptose ist eine entzündliche Form davon. Wir haben zu diesem komplexen und schwierigen Thema geforscht und die Arbeiten abgeschlossen. Zahnärztliche Therapien sind oft sehr intensiv, einige Zellen werden nekrotisch, wie beeinflussen diese gesunden Zellen? Frau Panahipour und ich haben übrigens die erstaunliche Entdeckung gemacht, dass nekrotische Tumorzellen bei gesunden Zellen eine Entzündungsantwort hervorrufen.

Was liegt Ihnen als Forscher besonders am Herzen?

GRUBER: Ich denke, am Ende der Karriere wird es nicht darum gehen, ob man 300 oder 400 Publikationen hat, sondern darum, welche Persönlichkeiten aus dem Competence Center hervorgegangen sind und ob sie positiv auf ihre Zeit hier zurückblicken. Wichtige Fragen sind: Wo sind die Schüler jetzt? Was war deine Leistung als Mentor? Einige Beispiele habe ich bereits genannt, weiters denke ich an einen ehemaligen Doktoranden aus Chile, Franz J. Strauss, der jetzt an der Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin in Zürich (Direktor: Ronald Jung) arbeitet. Das ist wie ein Wechsel zu Real Madrid. Wichtig ist natürlich auch, wissenschaftliches Potenzial zu identifizieren. Ich motiviere übrigens niemand – es ist unmöglich, jemand zu motivieren, wenn die intrinsische Motivation fehlt. Es ist die Entscheidung der Studierenden, ob sie etwas machen oder nicht, es sind Erwachsene. Wenn Leute, die im Forschungsbereich tätig sind, häufig auf die Uhr sehen, deprimiert mich das. Ohne Vorbilder gibt es keine Begeisterung für die Forschung. Ich denke etwa an Toni Sculean von der Universität Bern, eine andere Welt, Wissenschaft ist sein Leben, sein Commitment strahlt auf die nächste Generation aus. Lediglich ein Lippenbekenntnis zur Forschung reicht nicht aus. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Forscher bin oder temporär Forschung mache. Im ersten Fall gehört Forschen zu meiner Identität, Persönlichkeit, Verantwortung, meinen Eigenschaften. Ich empfinde Forschen als Berufung, nicht als Beruf. Mein wichtigstes Anliegen ist: Teach the teachers of tomorrow.

Herzlichen Dank für das Interview!
Priv.-Doz. Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

 

Prof. Dr. Reinhard Gruber