Embodiment - Warum die Synthese von Körper und Geist in den (Praxis) Alltag gehört

„Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich“, schrieb der Philosoph René Descartes im 17. Jahrhundert. Und bis heute ist der Verstand für die meisten Menschen das Werkzeug der Wahl, wenn sie Stress aus ihrem Alltag verbannen wollen. Das Wechselspiel zwischen Hirn, Psyche, Körper und Umwelt lassen sie oft außer Acht. Ein Fehler, der zunehmend korrigiert wird. In der Psychotherapie, im Leistungssport und auch in Firmen kommen aus gutem Grund immer häufiger Embodiment-Techniken zum Einsatz.

Wie stark der Körper unseren Seelenzustand beeinflusst und wie im Gegenzug unsere Psyche das Körpergefühl steuert, machen wir uns im Alltag selten bewusst. Gerade die Rolle des Körpers wird häufig unterschätzt. Dabei belegen zahlreiche Studien längst das Zusammenspiel von Körper und Geist. Wer einen bitteren Geschmack auf der Zunge hat, urteilt strenger über andere und deren Verhalten. Auf einem Podest zu stehen, versetzt uns in milde Stimmung. Nach Power-Posen fühlen wir uns nachweislich selbstsicher und kraftvoller. Umgekehrt können chronische Anspannung, Überforderung, Angst, Gefühle von Hilflosigkeit und Einsamkeit zu körperlichen Reaktionen wie einem gestörten Stoffwechsel oder Muskelverkrampfungen führen. Auch die Angst vor einem Zahnarztbesuch lässt sich häufig schon an der geduckten Körperhaltung eines Patienten oder der Patientin ablesen. Mit dem Zusammenspiel von Körper und Geist beschäftigt sich eine noch relativ junge wissenschaftliche Forschungsrichtung namens Embodiment, übersetzt ungefähr Verkörperung. Die Forschenden gehen davon aus, dass alles, was wir erleben, erfahren und begreifen, von unserem Großhirn und in den Körperzellen, den somatischen Markern, gespeichert wird. Muskelspannungen, Gelenkstellungen, aber auch Emotionen werden demnach mit bestimmten Haltungen verbunden.

Weit mehr als reine Körperarbeit

Doch Embodiment ist nicht als reine Körperarbeit zu verstehen, sondern bedeutet auch: „Ich verkörpere die Persönlichkeit, die ich sein will.“ Die meisten Menschen haben früher oder später mit Selbstzweifeln zu tun. Mal fehlt die Zuversicht, mal der Glaube an sich selbst. Doch nur mit einem gesunden Selbstwertgefühl strahlen wir die Energie aus, die wir brauchen, um andere von unserer Persönlichkeit und von unseren Fähigkeiten zu überzeugen. Unser Team, unsere Familie und Freunde, auch die Patientinnen und Patienten können Selbstzweifel spüren. Sowohl die innere als auch die äußere Haltung bestimmen über unsere Außenwirkung. Embodiment-Techniken dienen dazu, fest verankerte Muster, tiefsitzende negative Glaubenssätze und schädliche Prägungen im Unterbewusstsein ebenso aufzuspüren wie Red-Flag-Behavior im täglichen Leben. Beim Daten oder in den Sozialen Medien wird die rote Flagge für das Fehlverhalten des Gegenübers benutzt. Im Embodiment geht es darum, das eigene Fehlverhalten möglichst rechtzeitig zu erkennen. Auslöser für Red-Flag-Behavior können Sorgen in der Familie, im Freundeskreis oder im Beruf sein. Ein klassisches Szenario: Die dringend gesuchte zahnärztliche Assistenz ist noch immer nicht gefunden, das gerade erst installierte Verwaltungsprogramm läuft nicht wie es soll und im überlasteten Team kippt allmählich die Stimmung. Die Gedanken drehen sich nur noch um die Sorgen, erholsamer Schlaf wird zu einer schönen Idee, gegessen wird nebenbei irgendwas vom Bestelldienst, Nackenschmerzen sind normal und für die Magenschmerzen sind die Tabletten immer in der Tasche. Wer das zulässt, vergisst sich selbst. Er oder sie stellt die geistige und körperliche Gesundheit hintan und das Nervensystem kommt aus dem Lot. Dann ist es allerhöchste Zeit, die rote Flagge zu hissen.

Die Basis: Richtiges Atmen

Embodiment-Techniken helfen dabei, das Nervensystems wieder zu regulieren. Zentrale Punkte sind Selbstwahrnehmung und Selbstwertgefühl, der achtsame Umgang mit dem eigenen Ich. Basis für jede Verbesserung ist es, unserem Körper als wichtiges Erfahrungsinstrument Beachtung zu schenken. Im Kanon der Embodiment-Techniken ist Atemarbeit die Nummer eins. Warum die Atmung? Weil wir meistens zu flach atmen und dem Nervensystem damit signalisieren, dass wir auf der Hut sind – ein ständiger Stresszustand. Tiefes Atmen ändert das. Wer über einen Zeitraum von mindestens dreißig Tagen dreimal am Tag für fünf Minuten bewusst tief atmet, wird den Unterschied zu vorher merken. Weitere wirksame Tools zur Synchronisation von Körper und Geist sind zum Beispiel Akupressur, Meditation und Selbsthypnose sowie eine Reihe einfacher Körperübungen, die schnell in den Alltag zu integrieren sind. Meditation dient dazu, unserem Geist Momente der tiefen Ruhe zu schenken. Sie klärt den Blick auf wichtige Fragen und Entscheidungen. Doch Meditation ist nicht gleich Meditation. Über die Jahrhunderte haben sich viele verschiedene Meditationsarten entwickelt, die unterschiedliche Techniken und Ziele aufweisen. Ob Vipassana, Osho, Kundalini, Yoga oder eine andere Form die richtige ist, findet man am besten durch Ausprobieren heraus. Ist das Nervensystem allerdings komplett dysreguliert und in Aufruhr, dann kommt Meditation möglicherweise nicht gleich in Frage. „Jetzt soll ich auch noch meditieren“ bedeutet dann Druck und noch mehr Stress. Meditation ist als Werkzeug eher für Fortgeschrittene geeignet. Für den Einstieg reicht es, drei Minuten am Tag an einem ruhigen Ort nnezuhalten – wenn möglich in der freien Natur –, dem eigenen tiefen Atmen und den Geräuschen zu lauschen, dabei die Augen offenzuhalten und geradeauszuschauen. Es gibt zudem eine ganze Reihe von einfachen Achtsamkeitstechniken, die sich trainieren und dann in Stresssituationen einsetzen lassen.

Mit Selbsthypnose das Ich verändern

Wie wirksam Hypnose ist, wissen viele Zahnmedizinerinnen und -mediziner aus ihrer Praxis. Mit der zahnmedizinischen Trance können Sie ihren Patienten Ängste nehmen und für eine veränderte Wahrnehmung sorgen, in der unangenehme Geräusche und Schmerzen ausgeblendet werden. Nicht nur der Geist des hypnotisierten Patienten oder der Patientin reagiert auf die Hypnose, auch der Körper entspannt sich während der Behandlung. Atmung, Blutdruck und Puls werden langsamer, die Muskulatur lockert sich. Bei der Selbsthypnose geht es dagegen darum, Facetten der eigenen Identität zu verändern und die Selbstwahrnehmung auf einer tiefen Ebene zu verankern. Das nötige Wissen und die Technik werden in Lehrgängen vermittelt. Videos auf YouTube geben erste Eindrücke. Der Hampelmann für mehr Energie Auch durch geänderte Körperhaltungen ist es möglich, Stresssituationen und schlechte Gefühle zu bekämpfen. Manchmal reicht schon das bewusste Anheben des Kopfes. Weil sich unsere wichtigsten Sinnesorgane – Augen, Nase, Mund und Ohren – am Kopf befinden, nehmen wir mit erhobenem Kopf unsere Umgebung intensiver wahr, bekommen besser Luft und straffen automatisch die Schultern. Eine andere einfache EmbodimentÜbung mit einem schnellen Effekt ist der Jumping Jack, der Hampelmann, den viele noch aus Kindertagen kennen. Eine aufrechte Standposition einnehmen, die Füße nebeneinanderstellen, die Arme neben dem Körper hängen lassen (die Handflächen zeigen nach vorne). Dann hochspringen, dabei die Beine nach außen spreizen, gleichzeitig die Arme schwungvoll nach oben heben, über dem Kopf in die Hände klatschen und alles wieder von vorn. Der gesamte Körper wird dabei groß und weit, Arme und Beine sind gestreckt, Kopf und Rücken aufgerichtet, die Seele tankt Freude und Energie.

Ein Gastbeitrag von Nicole Wehn

Zur Person

Die Betriebswirtin, Vertriebs- und
Marketing-Expertin Nicole Wehn hat
seit 2018 bereits mehr als 1000 Unternehmerinnen
auf dem Weg von der gestressten Selbständigen zur
erfolgreichen Unternehmerin begleitet. Sie ist
als Transformational Embodiment Coach von der ICF
(International Coaching Federation) zertifiziert.
Ihr Wissen teilt sie in ihrem Podcast ‚Her Brand‘.

Nicole Wehn