Aus meiner Sicht - Fischen wir im falschen Teich?

Der heutige Personalmangel im Bereich der zahnärztlichen Assistenz stellt für die Zahnärzteschaft mittlerweile eine der größten Herausforderungen dafür dar, ihren Beruf jetzt und vor allem in Zukunft überhaupt noch ausüben zu können. Im Gegensatz zu Allgemeinmedizinern und Fachärzten der meisten anderen Disziplinen sind wir in der Zahnheilkunde ja auf bestens geschultes Personal angewiesen, weil wir, da über nur zwei Hände verfügend, nun einmal die wenigsten Behandlungen im Patientenmund ohne Fachassistenz durchführen können. In den letzten Jahren ist es aber, und dies ganz besonders im urbanen Bereich, immer schwieriger geworden, Pflichtschulabgängerinnen zu finden, die sich zur Ausbildung in diesem von uns so gesuchten, für sie aber auch attraktiven, familienfreundlichen und krisensicheren Beruf eignen würden. Das scheint mehrere Ursachen zu haben. Erstens ist es ein Faktum, dass durch eine kontinuierliche Veränderung der Bevölkerungsstruktur innerhalb der letzten Jahrzehnte besonders in den Städten eine zum Teil bildungsferne Parallelgesellschaft entstanden ist. Soziale, sprachliche oder kulturelle Hürden bewirken hierbei oftmals, dass deren Angehörige nur bedingt in unser bestehendes Schulsystem integrierbar sind, wenngleich sie der allgemeinen Schulpflicht unterliegen. Daraus ergab sich mit der Zeit, regional freilich in unterschiedlichem Ausmaß, eine weitaus tiefere Kluft zwischen dem erzielten Bildungsniveau in den sogenannten neuen Mittelschulen, vormals Hauptschulen, und jenem in den AHS, als das früher der Fall war. Daher wurde es auch für die Anwärter auf nichtakademische Berufe sukzessive naheliegender, das Gymnasium als Karrieresprungbrett ins Berufsleben zu wählen. Da wir unsere Auszubildenden bis dato aber nahezu ausschließlich aus dem Bereich der Pflichtschulen lukrieren, fischen wir also in Wahrheit in einem immer kleiner und immer seichter werdenden Teich nach für den Einsatz in der Medizin leider immer ungeeigneterem Personal. Zweitens ist unser Sozialsystem im Laufe der letzten Jahrzehnte von einem soliden Sicherheitsnetz, das es ja eigentlich sein sollte, zu einer sozialen Hängematte geworden, in der das arbeitsfreie Einkommen oftmals so hoch ist, dass eine Erwerbstätigkeit mitunter unattraktiver erscheinen kann, als sich einfach vom Staat durchfüttern zu lassen. Das sichert zwar einerseits den sozialen Frieden und reduziert die Kriminalität in unserem Land, es motiviert aber auch andererseits immer weniger zu persönlichem Einsatz, Ehrgeiz oder Eigenverantwortung und macht die eigene Arbeitsleistung erst ab einer deutlich darüber hinausgehenden Einkommenshöhe überhaupt interessant und erstrebenswert. Und drittens hat die Corona-Pandemie vielen Leuten den letzten Rest an der Bereitschaft dazu genommen, ihre vier Wände überhaupt noch täglich verlassen zu wollen, zumal das seit damals in vielen Berufen möglich gewordene und so beliebte „Homeoffice“ nun auch die bequeme, von Vorgesetzten ungestörte und zeitflexible Arbeit in Hausschlapfen und Pyjama ermöglicht, womit wir in der Zahnheilkunde aber leider – oder viel mehr Gott sei Dank? - nicht dienen können. An all diesen Fakten und Entwicklungen können wir Zahnärzte grundsätzlich nichts ändern, umso mehr müssen wir aber standespolitisch zeitnah die nötigen Konsequenzen daraus ziehen. Dazu werden Reformen unserer bisherigen Personalstrategie unumgänglich sein, wenn es uns auch in Zukunft noch möglich sein soll, unseren Beruf praktisch auszuüben. Wie wir unser existentes Personalproblem sicher nicht lösen werden, das haben wir in jüngster Vergangenheit erlebt. Wir lösen es jedenfalls nicht, in dem sich unsere Standesvertreter an den Verhandlungstisch mit der Gewerkschaft setzen, dort offensichtlich grundlos und ohne jegliche Gegenleistung des Sozialpartners eine Reduktion der Normalarbeitszeit für unsere Assistentinnen ausverhandeln und wir dann hören, dass es dadurch zu keiner Ist-Lohn-Erhöhung gekommen und der Beruf der ZAss attraktiver geworden sei. Mittlerweile hat ja jeder freiberuflich tätige Zahnarzt die Erfahrung gemacht, dass dieses Verhandlungsergebnis für alle Ordinationen entweder eine Stundenreduktion bei vollem Lohnausgleich oder anderenfalls sehr wohl eine Ist-Lohn-Erhöhung zur Folge hatte und der große Ansturm potenziell Auszubildender ist erwartungsgemäß ebenfalls ausgeblieben. Tatsache ist, dass wir eine wirklich tüchtige, loyale und verlässliche Assistentin auch ohne die Hilfe ihrer Gewerkschaft im beiderseitigen Interesse ohnedies wertschätzend und leistungsbezogen bezahlen, und das ist richtig und gut so. Desinteressierte und ungeeignete Personen werden aber erfahrungsgemäß leider nicht brauchbarer nur weil man sie höher entlohnt. Wo müssen wir also wirklich ansetzen, wenn wir in dieser Sache nun professionell sowie ziel- und zukunftsorientiert vorgehen wollen? Um es gleich vorwegzunehmen, wir brauchen dazu keineswegs das Rad neu zu erfinden. Andere medizinische Fächer leben es uns bereits seit vielen Jahren vor: wir müssen dazu übergehen, ergänzend zur ZAss nach der bestehenden Ausbildungsordnung, die natürlich weiterhin erhalten bleiben soll, einen zweiten, höher qualifizierten Assistenzberuf zu entwickeln, der auch für Maturantinnen erstrebenswert erscheint, denn wir müssen langfristig auch diese Zielgruppe ansprechen und in ihrem immer größeren und tieferen Teich zu fischen beginnen, um bei der gleichen Diktion zu bleiben wie zuvor. Anzudenken wäre hier etwa ein zahnmedizinisches Analogon etwa zur Radiologietechnologin (vormals Röntgenassistentin) oder zur biotechnologischen Analytikerin (vormals MTA). All diese medizinischen Berufe werden heute nach der Matura in Fachhochschulen gelehrt und schließen mit einem Bachelor ab. Diese Lehrgänge sind sehr gefragt und die Absolventinnen, deren Tätigkeit ebenfalls ausschließlich angestellt und unter Supervision des Arztes auszuüben ist, identifizieren sich auch viel verbindlicher und dauerhafter mit ihrem Beruf, als das bei der ZAss oftmals zu beobachten ist. Dieses höhere Berufsbild der zahnärztlichen Assistenz, für das es im Übrigen bereits Vorbilder in anderen Ländern gibt, soll selbstverständlich von vorn herein auch die Ausbildung zur PAss umfassen. Ein solches Ausbildungsmodell würde für viele junge Menschen darüber hinaus weitaus mehr Sinn und soziale Sicherheit ergeben, als nach der Matura aus Verlegenheit ein Orchideenstudium zu absolvieren und sich dann zeitlebens mit irgendwelchen „Jobs“ verschiedenster Art über Wasser halten zu müssen, die mit ihrer Ausbildung zumeist nichts zu tun haben. Es bleibt aber, und das sei an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten, weiterhin bei einer klaren Absage an die akademische Dentalhygienikerin nach ausländischem Vorbild, für die es in Österreich derzeit und wohl auch in Zukunft nach wie vor keinerlei Bedarf gibt und geben wird. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass wir unseren Personalbedarf mittel- und langfristig wohl nur dann decken können, wenn wir unser Suchfeld erweiterbar gestalten und wenn das berufliche Spektrum, das wir potenziellen Mitarbeiterinnen bei uns anbieten können, künftig vielfältiger wird. In diesem Sinne bedarf es seitens unserer Standespolitik aber auch einer neuen Kreativität, Flexibilität und neuen Mutes zur Veränderung in Richtung einer Modernisierung der Arbeitswelt in unserem Umfeld und den hierfür vorauszusetzenden Rahmenbedingungen. Zu Letzteren gehört selbstverständlich auch das richtige Agieren am Verhandlungstisch mit Gewerkschaften und Sozialversicherungen, denn das sind kommunizierende Gefäße. Schließlich können wir nur Löhne bezahlen, die sich auch erwirtschaften lassen. Ein Erhöhungsfaktor der Kassentarife weit unter der Inflationsrate und das nun schon zwei Jahre in Folge wird da wohl nicht der richtige Weg sein. Aber das ist eine andere Geschichte.

MR DDr. Claudius Ratschew

Facharzt für ZMK, Kassenpraxis in Wien seit 1991,
vormals Präsident der Landeszahnärztekammer
für Wien und des Zahnärztlichen Interessenverbandes
Österreichs (ZIV)

MR DDr. Claudius Ratschew