Bidirektionale Beziehung zweier destabilisierter Mikrobiome - Chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Parodontitis

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa werden unter dem Begriff IBD (Inflammatory Bowel Disease) zusammengefasst. Die Darmerkrankungen verlaufen chronisch mit akuten Exazerbationen und haben nicht nur negative Folgen für die Gesundheit des Gastrointestinaltrakts, sondern beeinträchtigen den gesamten Körper.

Parodontitis ist bekanntlich eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparates mit ähnlicher Verlaufsform. Auch hier kommt es periodisch zu akuten Schüben und zu Auswirkungen auf nahezu alle Organe. IBD und Parodontitis weisen ähnliche pathogenetische Pathways auf. Mikrobielle Dysbalance, genetische und immunologische Reaktionsmuster
und Umwelteinflüsse führen in beiden Fällen zu einem sowohl lokalen als auch systemischen inflammatorischen Respons.

Korrelation oraler und intestinaler Läsionen

Obwohl die Symptome bei M. Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU) durchaus ähnlich sind, gibt es doch wichtige morphologische Unterschiede: Die Colitis ulcerosa tritt im Dickdarm meist mit Punctum maximum im Rektum auf, betrifft Mukosa und Submukosa und zeigt kontinuierlichen Befall des betroffenen Darmabschnitts. Im Gegensatz dazu kommt es beim M. Crohn zu Läsionen im gesamten Verdauungstrakt von der Mundhöhle bis zum Anus. Hier liegt der Schwerpunkt im Ileum des Dünndarmes. Die auch unter dem Begriff Ileitis regionalis bekannte Erkrankung zeigt ein diskontinuierliches Muster mit einem Wechsel befallener und gesunder Abschnitte und Entzündungszeichen in der gesamten Darmwand. Im Gegensatz zu den ausgedehnten Ulzerationen der Darmschleimhaut bei der CU findet man beim MC Fissuren, Polypen und Pflastersteinrelief der Mukosa sowie epitheloidzellige Granulome. Extraintestinale Manifestationen kommen bei beiden Krankheitsbildern vor und reichen von Arthritis, Osteoporose und Leberleiden bis zu kardiovaskulären und vor allem auch oralen Erkrankungen. Die Zusammenhänge zwischen entzündlichen Darmerkrankungen und oralen Läsionen wurden erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieben. Neben schwerer, oft therapierefraktärer Parodontitis treten Ödeme, Fissuren, Geschwüre und Hyperplasien an Gingiva, Lippen, der buccalen Mukosa und dem vestibulären Sulkus auf. Ein relativ seltenes, aber typisches Krankheitsbild ist die Pyostomatitis vegetans mit miliaren gelblichen Pusteln auf gerötetem Grund und verruciformen Vegetationen. Eine Reihe von Läsionen wird durch die krankheitsbedingte Malabsorption verursacht. So kommt es bei zahlreichen Patienten zu manifestem Eisen-, Zink- und Vitamin-B12-Mangel. Die oralen Gewebe sind besonders stark von derartigen Defiziten betroffen und reagieren mit aphthöser Stomatitis, Schleimhautulzera, Mundwinkelrhagaden und Glossitis. Die Läsionen sprechen nur schlecht bis gar nicht auf konventionelle Therapien an und sollten deshalb immer in Hinblick auf entzündliche Darmerkrankungen abgeklärt werden. Typischerweise können orale Symptome wie chronische Lippenschwellungen und Cheilitis granulomatosa dem Vollbild eines M. Crohn um mehrere Jahre vorauseilen, weshalb dem Zahnarzt eine wichtige Rolle bei der ersten Verdachtsdiagnose und Früherkennung zukommt.

Dysbiose durch orale Pathogene im Darmmikrobiom

Besonderen Stellenwert hat die bidirektionale Beziehung zwischen Parodontitis und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Es steht heute außer Frage, dass die Zusammensetzung der Darmflora und die dadurch modulierte Reaktion des Immunsystems großen Einfluss auf die Genese und Progression eines M. Crohn und einer C. ulcerosa haben. Die Ursache liegt in einer sich wechselseitig aufschaukelnden Dysbiose innerhalb der ortsständigen Mikrobiome von Mund und Darm. Sowohl intestinale als auch parodontal-pathogene Mikroorganismen spielen dabei eine wichtige Rolle. Untersuchungen der Darmflora bei Patienten mit IBD ergaben deutliche Verschiebungen und Veränderungen der intestinalen Biozönose gegenüber gesunden Individuen. Ganz ähnlich wie bei Parodontitis zeigt sich ein Verlust der protektiven Residentflora mit einem „Klimawandel“ innerhalb des Mikroökosystems. Die damit einhergehende Verarmung der ursprünglich zahlreichen bakteriellen und fungalen Spezies erhöht die Anfälligkeit der Biozönose und führt zu einem Switch in Richtung einer pathogenen Mikroflora. Typischerweise sind akute Phasen einer floriden Parodontitis eng mit der Entzündungsaktivität im Darm korreliert. Durch Verschlucken von täglich bis zu 1,5l des keimbeladenen Speichels geraten oral pathogene Mikroorganismen in hoher Zahl in den Gastrointestinaltrakt. Viele der anaeroben gramnegativen Bakterien sind säureresistent und gelangen lebend in den Dünn- und Dickdarm. Dieser permanente Transfer virulenter Arten moduliert im Darm dann zusätzlich das durch die IBD bereits geschwächte Mikrobiom. Parallel dazu werden sowohl von den oralen Läsionen als auch von den intestinalen Herden mikrobielle Antigene und Entzündungsmediatoren über das Blut transportiert und verstärken an beiden Lokalisationen den inflammatorischen Respons.

Schlüsselkeime der Progression von M. Crohn und Colitis ulcerosa

Besondere Probleme machen die aus den parodontalen Taschen in den Darm gelangten „keystone Bakterien“, vor allem Porphyromonas gingivalis. Sie haben die Eigenschaft, zwar im Darm selbst nur eine niedrige Transkriptionsaktivität aufzuweisen, jedoch durch ihre bloße Anwesenheit zu tiefgreifenden Veränderungen des gesamten Biotops zu führen. Integriert in den intestinalen Biofilm bewirkt P. gingivalis eine hochgradige Dysbiose und in der Folge eine immunologische Dysregulation. Die bei IBD häufig auftretenden Mutationen in Bindeproteinen für bakterielle Toxine wie Lipopolysaccharide verstärkt die inadäquate Immunreaktion. Das pathologisch veränderte Mikrobiom bewirkt eine Reduktion von regulatorischen Immunzellen, eine überschießende Freisetzung reaktiver Sauerstoffverbindungen (ROS) und eine Aktivierung autoimmuner Mechanismen, welche sich gegen körpereigene Gewebe richten. Bei der Colitis ulcerosa hat besonders der Parodontalkeim Fusobacterium nucleatum einen wesentlichen Anteil an der Progression der Erkrankung. Neben seiner Fähigkeit zur Entzündungsinduktion aktiviert F. nucleatum die intestinale Autophagie und den Zelltod. Autophagie ist ein an sich notwendiger Prozess in den Zellen zum Abbau nicht mehr benötigter Organellen und reguliert die Interaktion zwischen dem lokalen Immunsystem des Intestinums und der Darmflora. Durch F. nucleatum kommt es durch ungebremste Überaktivierung zum Verlust der regulativen Funktion. Die Folgen sind exzessive Entzündung, überproportionales Absterben von Zellen der Darmschleimhaut und damit Progression der Colitis ulcerosa. Die Achse zwischen oralen und intestinalen Biotopen ist entscheidend für Gesundheit oder Krankheit des gesamten Organismus. Interdisziplinärer Austausch zwischen Zahnarzt und Gastroenterologen sowie koordinierte Therapie chronischer oraler und intestinaler Entzündungen führen zu deutlicher Verbesserung beider Krankheitsbilder. Bidirektionale Beziehung zweier destabilisierter Mikrobiome Chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Parodontitis.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at