Fallbericht - Behandlung einer Parodontitis nach S3-Leitlinie

Parodontitis ist durch einfache Maßnahmen zu diagnostizieren, die parodontale Grunduntersuchung bei neuen Patienten gibt rasch Aufschluss. Nach Erhebung eines Parodontalstatus in Form einer 6-Punkt-Messung und Anfertigung eines Panoramaröntgens lässt sich auch die Diagnose nach aktuell gültiger Klassifikation stellen.

Wie geht man nun aber bei der konservativen Parodontitistherapie leitlinienbasiert vor? Eine Mundhygiene ist sicher keine adäquate Therapie, auch braucht nicht jeder Parodontitispatient Antibiotika. Die S3-Leitlinie gibt evidenzbasiert genaue Anhaltspunkte, was sinnvoll ist und für welche adjuvante Maßnahmen es noch weitere Evidenz braucht. „Mein Zahnarzt meint, ich werde einmal alle Zähne verlieren“, „Ich soll mir die lockeren Zähne ziehen lassen und durch Implantate ersetzen“, „Ich gehe seit Jahren zur Mundhygiene, warum habe ich trotzdem noch Parodontitis?“ – Sätze, die leider immer noch im Jahr 2022 aus Patientenmündern kommen, die über Jahre Parodontitis mit sich rumschleppen und zur „Mundhygiene bis zum Ausfallen“ gehen. Dabei ist eine systematische Parodontitistherapie recht einfach, und die Europäische Föderation für Parodontologie ist stets bemüht, den aktuellen Stand der Wissenschaft unter die Praktiker zu bringen. Dafür hat sich das Project Committee, das von Prof. Filippo Graziani geleitet wird und dem neben Prof. Dommisch, derzeitiger Präsident der DGParo auch Dr. Matesanz von der Complutense Universität Madrid und Prof. Haririan von der Zahnklinik der Sigmund Freud PrivatUniversität angehören, an die Erstellung von Infografiken gemacht. Sie beschreiben step by step, wie bei einem Parodontitispatienten vorzugehen ist. Ziel der konservativen Parodontitistherapie ist die Abwesenheit von Sondierungstiefen >= 5 mm mit Blutung auf Sondierung sowie keine Sondierungstiefen von >= 6 mm. Wie man zum Ziel kommt, zeigt ein Ausschnitt aus Grafik 1, die darstellt, dass die subgingivale Reinigung als Therapie der Wahl gilt, diese entweder mit der Hand oder mit Schall/Ultraschall oder in Kombination durchgeführt werden kann und dass es irrrelevant sei, alle Zahnfleischtaschen innerhalb von 24 Stunden oder quadrantenweise an mehreren zeitlich weiter auseinanderliegenden Terminen auszureinigen. Generell wird eine systemische Antibiotikagabe bei Parodontitis nicht empfohlen, in einzelnen schweren generalisierten Fällen bei jüngeren Patienten wird sie jedoch durchaus als gerechtfertigt angesehen. Ob eine adjuvante Spülung mit antimikrobiellen Substanzen oder deren Applikation in Gelform nützlich sind, ist derzeit aus wissenschaftlicher Sicht mit offener Empfehlung zu versehen. Fallbericht Der vorliegende Patientenfall soll das systematische Vorgehen nach der aktuellen S3-Linie unterstreichen und zeigen, dass mit einfachen Maßnahmen drohender Zahnverlust verhindern werden kann. Die Patientin (Abb. 1), weiblich, Anfang 30, wurde wegen Parodontitis an die Abteilung für Parodontologie der Zahnklinik der SFU zugewiesen. Sie berichtete selbst über Zahnfleischbluten sowie Problemen im Unterkieferseitzahnbereich, insbesondere rechts (Abb. 2). Die Patientin berichtet, über einige Jahre eine Packung Zigaretten über drei Tage geraucht zu haben, seit mittlerweile zwei Jahren jedoch rauchfrei zu sein. Sie war im-mer wieder bei der Mundhygiene, was kurzzeitig das Zahnfleischbluten reduziert hätte. Zu Hause putzt sie mit Playbrush, verwendet Zahnseide und gibt an, nach einer kieferorthopädischen Therapie Interdentalraumbürstchen verwendet zu haben, mit welchen sie aber nicht zurechtkommt. Bis auf eine Schilddrüsenunterfunktion ist keine weitere systemische Erkrankung bekannt. Im Zuge der Parodontalstatuserhebung wurde die Patientin mit der eigenen elektrischen Zahnbürste und breiten Interdentalraumbürstchen instruiert. Der Parodontalstatus (Abb. 3) ergab Sondierungstiefen bis 12 mm mit Pusaustritt bei 46. Da der Sensibilitätstest eindeutig positiv ausfiel, konnte der Verdacht einer Endo-Paroläsion nicht bestätigt werden (siehe Kleinbild A, 46). Die Diagnose Parodontitis, generalisiert, Stadium 3, Grad C, Molaren Inzisiven-Muster, konnte folglich gestellt werden. Als Vorsanierung vor der Basistherapie, sprich dem subgingivalen Debridement, wurde die Entfernung von 18 und 28 als notwendig erachtet. Die Basistherapie wurde dann in zwei Sitzungen mit einem Abstand von einer Woche durchgeführt, wobei bei der zweiten und letzten Tiefenreinigungssitzung adjuvante systemische Antibiotika rezeptiert wurden (Amoxicillin 500 mg sowie Metronidazol 500 mg 3 x täglich für 7 Tage). Eine Mundhygienekontrolle nach vier Wochen empfiehlt sich aus mehreren Gründen. Einerseits wird die häusliche Plaquekontrolle der Patientin in der kritischen Heilungsphase überprüft. Andererseits bietet dieser Termin noch einmal die Möglichkeit, gezielt die eine oder andere Stelle nachzubearbeiten, da die Gingiva meist schon etwas retrahiert („gesundgeschrumpft“) ist und dabei oftmals Restkonkrement sichtbar wird (Abb. 7). Nach drei Monaten konservativer Parodontitistherapie mit adjuvanter Antibiose konnte reevaluiert werden. Der Parostatus zeigte keine erhöhten Sondierungstiefen mehr, außer bei 46, welcher noch distal bis zu 9 mm aufwies. Den Leitlinien folgend wurde an jener Stelle nochmals nachbearbeitet und noch zugewartet, eine chirurgische Parodontitistherapie einzuleiten. Eine weitere Überprüfung der Sondierungstiefen ergab einige Monate später die Reduktion auf 4 mm ohne Blutung auf Sondierung, womit das Ziel einer stabilen Sit ation erreicht wurde. Die röntgenologische Verlaufskontrolle zeigt ebenfalls Zeichen der Verdichtung des Knochens – die geschlossene Zahnreihe konnte ohne großen Therapie-und Kostenaufwand erhalten bleiben (Abb. 4–6). Die Patientin ist mittlerweile in Schritt 4 nach S3-Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis aufgenommen, welcher eine regelmäßige unterstützende parodontale Therapie (Recall) vorsieht (Abb. 8).

Literatur:
Sanz M, Herrera D, Kebschull M, Chapple
I, Jepsen S, Beglundh T, Sculean A, Tonetti
MS; EFP Workshop Participants and Methodological
Consultants. Treatment of
stage I-III periodontitis-The EFP S3 level clinical
practice guideline. J Clin Periodontol.
2020 Jul; 47 Suppl 22 (Suppl 22): 4-60.

Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Hady Haririan, PhD, MSc
Leiter Parodontologie, Zahnklinik
Sigmund Freud PrivatUniversität,
Fakultät für Medizin,
Freudplatz 3/2, 1020 Wien
hady.haririan@med.sfu.ac.at


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