Ein Überblick - Extrusionstherapie

Zum Thema „Extrusionstherapie“ interviewte ZMT Dr. Stefan Wuketich. Er arbeitet seit 2010 sowohl in eigener Praxis als auch im Team mit Kollegen und Kolleginnen in deren Ordinationen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen restaurative Zahnheilkunde sowie Implantologie/Geweberekonstruktion.

Wie funktioniert die Extrusionstherapie?

WUKETICH: Unter Extrusion verstehen wir das Herausbewegen eines Zahnes/einer Zahnwurzel aus dem Kiefer. Bei der forcierten orthodontischen Extrusion wird mit hohen Kräften über einen kurzen Zeitraum gearbeitet. Über ein Widerlager (z.B. einen an den Nachbarzähnen geklebten Extrusionssteg) wird die extrusive Kraft durch einen oder mehrere KFO-Gummizüge, die zweimal täglich vom Patienten erneuert werden müssen, erzeugt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Fibrotomie, die verhindert, dass Weichgewebe und Knochen die Extrusionsbewegung nach koronal mitmachen. Ist dieser Effekt jedoch gewünscht, kann durch selektive Fibrotomie das Attachment in einem bestimmten Bereich belassen werden. Die Fibrotomie kann ganz unterbleiben, wenn das Gewebevolumen in vertikaler Richtung vergrößert werden soll, z.B. vor einer geplanten Implantation. Die Extrusionstherapie gibt uns eine Option zur Zahnerhaltung in Situationen mit stark verminderter Restzahnsubstanz, z.B. nach Kronenfrakturen oder bei tief subgingivaler Karies. In solchen Fällen kann dadurch Dentin supracrestal exponiert werden, um durch eine Verbesserung des Ferrule-Effekts eine dauerhaft stabile Restauration mit einer Krone zu ermöglichen. Vor einer Implantation sind Zustand und Volumen der marginalen parodontalen Gewebe für die Wahl des operativen Vorgehens entscheidend. Im Fall crestaler Hart- und/oder Weichgewebsdefekte kann die Ausgangslage für eine Sofortimplantation problematisch sein. Die Extrusion des zu extrahierenden Zahnes/Wurzelrests kann zu einer vertikalen Regeneration des marginalen Gewebes führen und damit die Ausgangslage verbessern. Im Sinn einer „biologischen socket preservation“ ermöglicht die Replantation und spätere Extrusion eines Wurzelsegments den weitgehenden Erhalt und die darauf folgende Koronalbewegung der alveolären Strukturen nach Zahnextraktion. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass der marginale parodontale Faserapparat intakt ist. Ich führe in seltenen Fällen die forcierte Extrusion durch, um einen Wurzelrest zu lockern und darauffolgend atraumatisch zu extrahieren. Die zur Extraktion notwendigen Kräfte sind nach Extrusion geringer und können sich auf eine rein axiale Zugrichtung beschränken (evtl. auch unter Zuhilfenahme des Benex-Systems). Das kann dazu beitragen, den Druck auf sensible anatomische Strukturen wie z.B. den vestibulären Knochen zu verringen.

Was sind die Vor- und Nachteile der Extrusionstherapie, was die Kontraindikationen?

WUKETICH: Meines Erachtens liegt der größte Vorteil der Extrusionstherapie im schonenden, gewebeerhaltenden Vorgehen (verglichen etwa mit chirurgischer Kronenverlängerung, intentioneller Replantation, Extraktion). Die Materialkosten sind gering und der Behandlungsaufwand überschaubar. Die Dauer der forcierten Extrusion hängt stark von zahnbezogenen Faktoren ab, beträgt aber in vielen Fällen nur 10–14 Tage. Die aufgrund der dreimonatigen Stabilisierungsphase verlängerte Therapiedauer (bis zur nachfolgenden restaurativen Behandlung) kann von Patienten jedoch als Nachteil empfunden werden. Die Behandlungskosten sind durch die zusätzlichen Termine erhöht. Gelingt es nicht, die Zugkraft genau axial zu etablieren, besteht das Risiko eines Wurzeltorques und damit auch einer unerwünschten Resorption des Knochens. Für die zahnerhaltende Extrusionstherapie sind unbehandelte Parodontopathien, Wurzellängsfrakturen, geringe Wurzellänge bzw. ungünstiges Kronen-/Wurzelverhältnis und stark reduziertes parodontales Attachment als die wichtigsten Kontraindikationen zu nennen. Bei Patienten mit stark beeinträchtigter Feinmotorik muss sichergestellt sein, dass von ihm/ihr bzw. von einer Betreuungsperson der Gummizug eingehängt werden kann.

Wie kam es zu Ihrer Beschäftigung mit der Extrusionstherapie?

WUKETICH: Die Zahnerhaltung in komplexen Fällen hat mich schon seit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit besonders motiviert. An der Extrusionstherapie hat mich die Möglichkeit interessiert, auch als nicht kieferorthopädisch tätiger Zahnarzt in solchen Fällen eine Verbesserung erreichen zu können. Im Bereich der Implantologie ist meine persönliche Überzeugung, dass das Volumen und die Qualität der periimplantären Gewebe essenziell für den langfristigen ästhetischen Erfolg und die Hygienefähigkeit eines Implantats sind. Dementsprechend sind in der Planungsphase Überlegungen zum Gewebeerhalt nach der Extraktion anzustellen. In ausgewählten Fällen ermöglicht die Extrusionstherapie auf relativ atraumatische Weise einen begrenzten Zugewinn an Hart- und/oder Weichgewebe vor Zahnentfernung.

Wie sieht das Patientenfedback aus?

WUKETICH: Die überwiegende Mehrzahl meiner Patienten legt großen Wert auf die Erhaltung der eigenen Zähne. Darum schätzen sie es sehr, wenn ihr Zahnarzt den Aufwand nicht scheut, um stark zerstörte Zähne dauerhaft zu restaurieren. Die Akzeptanz und Compliance ist meiner Erfahrung nach hier sehr hoch. Das nach wenigen Wochen sichtbare Behandlungsergebnis und die eigene Mitarbeit am Therapieerfolg führen in den meisten Fällen zu sehr positiven Rückmeldungen.

Gibt es noch einen Punkt, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

WUKETICH: Um Misserfolge zu vermeiden und Patienten eine entsprechend vorhersagbare Therapieoption anbieten zu können, ist eine vorhergehende Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen eines Arbeitskurses wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich allen interessierten Kolleginnen und Kollegen die ausgezeichneten Kurse bei Dr. Sabine Hopmann und Dr. Stefan Neumeyer empfehlen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Priv.-Doz. Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Dr. Stefan Wuketich