Innsbruck - 40 Jahre Erfahrung

Prof. DDr. Ingrid Grunert studierte in Wien Medizin, arbeitete, während sie auf einen zahnmedizinischen Ausbildungsplatz wartete, zwei Jahre auf der Innsbrucker Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, schloss 1985 ihre Zahnmedizin-Ausbildung in Innsbruck ab und habilitierte 1994. Seit 1999 leitet sie die Univ.-Klinik für Zahnersatz und Zahnerhaltung (genaugenommen in den ersten Jahren die Klin. Abteilung für Zahnersatz, die Zahnerhaltung kam erst nach der Pensionierung von Prof. Kulmer hinzu).

Ab dem 1. Oktober ist Prof. Grunert in Pension; Grund genug für ZMT, mit ihr noch vor Pensionsantritt zu sprechen.

Was war für Sie die spannendste Entwicklung der letzten Jahrzehnte?

GRUNERT: Das war der Beginn der digitalen Technologie. Die Beschäftigung mit der digitalen Totalprothetik finde ich persönlich sehr spannend. Überraschenderweise haben gefräste Prothesen einen deutlich besseren Halt, was durch den Wegfall der Polymerisationsschrumpfung bei konventioneller Herstellung erklärbar ist. Durch die digitale Technologie haben junge Kolleginnen und Kollegen auch wieder mehr Interesse am abnehmbaren Zahnersatz. Die Crux dabei ist, dass man trotzdem wissen muss, wie man etwa die Abformung durchführt. Man muss die Basics also weiterhin beherrschen.

Gibt es immer noch das Problem zu vieler Studierender in Relation zu den Ressourcen?

GRUNERT: Ja, diese Problematik existiert nach wie vor. Ich halte es für essenziell, dass die Studierenden auch weiterhin ausreichend viele Patienten und Patientinnen behandeln können. Da die Ressourcen nicht unmittelbar an die höheren Studentenzahlen angepasst werden können, ist es wichtig, dass die Studierenden ihre praktischen Erfahrungen in einer Lehrpraxis und nicht am Phantom machen. Die Universität, die Standesvertretung und die Zahnklinik haben deshalb einen gemeinsamen Brief an das Ministerium verfasst. Es geht darum, dass die Ausbildung in Lehrpraxen neuerlich Eingang in das Zahnärztegesetz findet und die Studierenden bei Bedarf in eine Lehrpraxis gehen können. Aber es gibt noch zusätzliche Probleme. Ich finde es schade, dass die praktische Ausbildung in Innsbruck im Vergleich zu früher etwas schlechter geworden ist. Die Studierenden orientieren sich an den Mindestlimits. Wenn die vorgeschriebene Mindestzahl zum Beispiel an Füllungen erreicht ist, heißt es heute oft: Dann mache ich keine Füllungen mehr. Vielleicht gibt es heute auch mehr Vorlesungen, sodass die Behandlungszeiten weniger geworden sind, und die Zahnmedizin ist auch komplexer geworden – die Studierenden haben also mehr Stress. Die Studierenden haben vor einiger Zeit auch erreicht, dass sie keine zahntechnischen Arbeiten mehr durchführen müssen, darunter leidet das Verständnis für die (Zahn-)Technik.

Was gibt es Neues im Bereich der Gerostomatologie?

GRUNERT: Das Projekt zur Verbesserung der Mundgesundheit von Alters-und Pflegeheimbewohnern und -bewohnerinnen startete vor einiger Zeit. Es wird von Gesundheitskasse, Zahnklinik und Zahnärztekammer unterstützt. Das Projekt umfasst die Schulung des Personals, für jedes Heim wurde ein verantwortlicher Zahnarzt gesucht. Es geht um die konsequentere zahnärztliche Betreuung der Heimbewohner. Dann kam allerdings die Covid-19-Pandemie. Nach und nach soll das Projekt auf immer mehr Heime in Tirol ausgeweitet werden. Ich freue mich, dass dieses Projekt gestartet wurde, weil mir die Mundgesundheit älterer Menschen ein Herzensanliegen ist.

Gab es an der Klinik zuletzt Habilitationen?

GRUNERT: Ja, Frau Oberärztin DDr. Schnabl hat sich habilitiert. Das Habilitationsthema war die Betreuung von Patienten mit besonderen Bedürfnissen.

Welche Entwicklungen gibt es an der Klinik? Werden Zahnerhaltung und Zahnersatz wieder getrennt?

GRUNERT: Ausgeschrieben wurde nur die Professur für Prothetik (§ 98 Universitätsgesetz), die Hearings (mit vier Teilnehmern) fanden kürzlich statt. Es gibt leider keine österreichischen Bewerber. Die Leitung der Zahnerhaltung wird ab 1.10.2022 Frau Prof. Kapferer-Seebacher übernehmen (§ 99-Professur).

Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus?

GRUNERT: Mit mir geht eine der letzten Universalistinnen in Pension, die die Prothetik vom festsitzenden Zahnersatz bis zur Implantatprothetik, CMD sowie abnehmbaren Zahnersatz beherrscht. Neben mir war Prof. Dumfahrt einer, der noch alle Teilbereiche der Prothetik abgedeckt hat. Er wird sich vom kurativen Bereich aber demnächst zurückziehen. Es wird also für Problemfälle im Großraum Innsbruck schwieriger werden, einen erfahrenen Behandler zu finden. Ich werde auf jeden Fall weiterarbeiten und meine Patienten betreuen, wo und wie, ist noch nicht klar.

Herzlichen Dank für das Interview!
Priv.-Doz. Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Prof. DDr. Ingrid Grunert