Ein selbstverstärkender Teufelskreis: Stress, Depression und Parodontitis

Zwischen chronischem Stress und systemischen Erkrankungen bestehen enge pathophysiologische Koppelungen. Psychische Belastungen bis hin zu Depressionen können zahlreiche körperliche Symptome wie Magen-Darm-Beschwerden, Atemprobleme, kardiovaskuläre Erkrankungen und Miktionsstörungen verursachen.

Psychische Erkrankungen haben auch erhebliche Auswirkungen auf die Mundgesundheit. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und der Genese bzw. Exazerbation oraler/parodontaler Entzündungen. Parodontitis ist eine multifaktorielle Erkrankung, welche primär durch eine pathologische Veränderung des oralen Mikrobioms ausgelöst und aufrechterhalten wird. Eine aufgrund heterogener Ursachen fehlgerichtete Reaktion der Wirtsgewebe und des Immunsystems auf die bakteriellen Noxen führt dann zu irreparablen Destruktionen der parodontalen Gewebe. Wir wissen heute, dass Parodontitis in enger Wechselbeziehung zu zahlreichen systemischen Krankheiten steht. Die Beziehungen zwischen chronischen oralen Entzündungen und Systemerkrankungen sind fast immer bidirektional. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Zusammenhang mit psychischen Krankheiten.

Verhaltensänderung durch Stress

Psychosozialer Stress und langanhaltende depressive Phasen führen zu Veränderungen im Verhalten, welche sich negativ auf die Mundgesundheit auswirken. Nicht selten kommt es zu einer völligen Vernachlässigung der Mundhygiene, zu vermehrtem Tabak-und Alkoholkonsum und zu einer einseitigen ungesunden Ernährung. Seelische Belastungen werden im Schlaf verarbeitet. Dabei kommt es dann zu einer verstärkten Anspannung der Kaumuskulatur und zu Zähneknirschen. Dieses als Bruxismus bezeichnete Phänomen schädigt den Zahnschmelz und den Zahnhalteapparat. Noch wichtiger sind allerdings die Auswirkungen psychischer Störungen auf das Immunsystem. Immunregulative Prozesse sind in das komplexe Netzwerk aus neuroendokrinem und sympathischem System eingebunden. Durch Stress und/oder Depression werden die regulativen Interaktionen gestört. Die erhöhte Anfälligkeit der betroffenen Patienten für schwere gingivale und parodontale Entzündungen wird über zwei Mechanismen gesteuert. Dies ist einerseits die Achse zwischen limbischem System – Hypothalamus – Hypophyse – Nebenniere mit vermehrter Bildung von Glucocorticoiden und Katecholaminen, Adrenalin und Noradrenalin andererseits über eine Überaktivierung des Neurotransmitters Acetylcholin im Gehirn. Bedingt durch den bei depressiven Patienten manifesten Serotoninmangel werden vermehrt Stresshormone freigesetzt, welche an die entsprechenden Zellrezeptoren binden und die Bildung und Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen, besonders von IL-1ß, IL-6 und TNFa bewirken, welche auch bei Parodontitis massiv das Entzündungsgeschehen beeinflussen. Es kommt zu einer Alterierung der humoralen und auch der zellulären Immunität wie zu Verschiebungen innerhalb der Lymphozytenpopulationen der T-Helferzellen und Veränderungen in der Antikörperproduktion und Ausschüttung. Während akuter Stress nur die zelluläre Immunabwehr unterdrückt, wirkt chronischer repetitiver Stress zusätzlich auch auf die humorale Komponente der Immunantwort zum Teil überaktivierend, zum anderen Teil suppressiv. So werden einerseits chronische Entzündungen durch Aktivierung von Makrophagen und zytokinsekretierenden Zellen wie Endothel und Adipozyten induziert. Auf der anderen Seite kommt es zu einer massiven Ausschüttung der an sich immunsuppressiven Glucocorticoide, was zunächst den Immunrespons gegenüber pathogenen Keimen herabsetzt. Die übermäßige Ausschüttung dieser Steroidhormone bewirkt eine Down-Regulation und/oder eine Sensitivitätsminderung der Rezeptoren und dadurch ein Persistieren der Entzündung. Im Speichel und in der Sulkusflüssigkeit von Patienten unter chronischem Stress oder Depression sind deutlich gesteigerte Spiegel der proinflammatorischen Zytokine nachweisbar. Ebenso findet man hohe Konzentrationen typischer Stressmarker, wie Chromogranin A, a-Amylase, sowie Cortisol und ß-Endorphin. Die beiden Letzteren sind signifikant mit parodontalem Gewebeabbau und Zahnverlust korreliert. All diese Faktoren sind Auslöser und Betreiber chronisch-bakterieller Inflammationen wie Parodontitis. Umgekehrt sind chronische Infektionen aber auch eine ständige Belastung für den gesamten Organismus. Parodontitis kann den Verlauf zahlreicher Grunderkrankungen wie Diabetes, Atherosklerose und sogar neurologischer Krankheiten wie M. Alzheimer und M. Parkinson triggern und verstärken. So wirken die als Reaktion auf die vorwiegend gramnegative Parodontalflora ausgeschütteten Zytokine negativ auf die psychische Verfassung des Patienten zurück. Stresshormone begünstigen allerdings nicht nur von sich aus das parodontale Entzündungsgeschehen, sondern haben einen direkten modulierenden Einfluss auf das orale Mikrobiom. Besonders schwarzpigmentierte Anaerobier werden massiv in ihrem Wachstum gefördert. Glucocorticoide verändern die Genexpressionsprofile der gingivalen Plaque. So besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen stressbedingt hohem Cortisolspiegel und der Präsenz und Menge von T. forsythia. Bestimmte Rezeptoren von Aggregatibacter actinomycetemcomitans und E. coli werden über Katechelomanine aktiviert und damit wird das bakterielle Wachstum dieser Keime massiv gefördert. Neben diesen unmittelbaren Auswirkungen kommt es nicht selten zu oralen Nebenwirkungen der notwendigen Medikation einer Depression. Am häufigsten macht die Mundtrockenheit der oralen Schleimhaut Probleme. Dies und die erhöhte Anfälligkeit für orale/parodontale Entzündungen macht die Betroffenen zu zahnmedizinischen Risikopatienten. Sie bedürfen intensivierter zahnmediznischer Surveillance und Motivation zur Wiederherstellung und Erhaltung ihrer Mundgesundheit.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at