Innsbruck: Prophylaxe und Zahnerhaltung: ein weites Feld

Univ.-Prof. Dr. Ines Kapferer-Seebacher ist stellvertretende Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Zahnersatz und Zahnerhaltung. ZMT sprach mit ihr unter anderem über vollautomatische Zahnbürsten, Rezessionen und seltene Erkrankungen.

Wie denken Sie über vollautomatische 10-SekundenZahnbürsten?

KAPFERER-SEEBACHER: Ich halte diese Zahnbürstentechnik für eine geniale Idee. Während für Hand- und elektrische Zahnbürsten die Empfehlung lautet, jede Zahnoberfläche 4 bis 5 Sekunden zu putzen, schafft ein solches Gerät den gesamten Mund in 10 Sekunden. Dadurch, dass diese Bürsten alle bukkalen/oralen Flächen zugleich putzen, entspricht das der doppelten empfohlenen Putzdauer. Das Problem ist allerdings, dass jeder Kiefer eine unterschiedliche Form und Größe hat und die Borsten dieser Bürsten dadurch nicht an allen Zahnoberflächen optimal anliegen. Ideal wäre eine individuelle Anfertigung, das wäre aber wohl nicht leistbar. Die österreichische Amabrush hat leider noch nicht gut funktioniert, sie war zu starr und die oszillierenden Silikonzapfen hatten daher zu wenig Kontakt mit den Zähnen. Es gibt aber noch etliche andere Produkte auf dem Markt. Derzeit führen wir gerade eine Studie mit der französischen „Y-Brush“ durch, sie ist graziler, flexibler und besitzt Nylonborsten. Insgesamt dürften die 10-SekundenZahnbürsten noch nicht ausgereift sein. Ich sehe aber schon ihr Potenzial. Man darf schließlich nicht übersehen, dass auch normales Zähneputzen häufig nicht gute Ergebnisse liefert, etwa bei den Distalflächen der 7er oder palatinal im Oberkiefer. Eine Studie der Universität Gießen zeigte, dass 69% der Zahnoberflächen immer noch mit Plaque besiedelt waren, obwohl die Studienteilnehmer den Auftrag bekamen, so gut wie möglich zu putzen.

Was ist für Sie in der Prophylaxe am wichtigsten?

KAPFERER-SEEBACHER: Das Wichtigste in der Prophylaxe ist, dass die PASS mit den Patienten vor dem Spiegel das richtig Zähneputzen üben. Für etliche Patienten bedeutet „Prophylaxe“ lediglich professionelle Zahnreinigung und sie meinen, auch nur dafür zu bezahlen. Prophylaxe ist aber viel mehr, sie ist nur effektiv, wenn die Patienten regelmäßig instruiert werden. Prophylaxe ist für alle ein Gewinn – Patienten und zahnärztliches Team. Sie hat in Innsbruck eine jahrzehntelange Tradition, und diese möchten wir aufrechterhalten.

Wann sollte man Rezessionen chirurgisch decken?

KAPFERER-SEEBACHER: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Manche Patienten äußern den klaren Wunsch nach einer Rezessionsdeckung. Nach kieferorthopädischen Behandlungen haben Patienten ein erhöhtes Risiko für Rezessionen, und jetzt fallen sie auch mehr auf: Man hat nun schöne gerade Zähne und hätte verständlicherweise gerne auch eine schöne Gingiva. Rezessionen gehen mit einem höheren Risiko für Karies, Abrasionen und Hypersensitivität einher. Letztere wird z.B. bei Verwendung des momentan beliebten Sodastream noch häufiger. Ich empfehle eine Deckung der Rezessionen auch bei Progredienz oder bei weit fortgeschrittenen Rezessionen. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Patienten eine schonende, aber effiziente Putztechnik lernen.

Was ist bei oralen Piercings zu beachten?

KAPFERER-SEEBACHER: Nach meiner Erfahrung ist eine differenzierte Beratung zu empfehlen. Es bringt nichts, den Patienten strikt davon abzuraten, da stößt man oft auf taube Ohren. Vielmehr sollte man erklären, welche Piercings besonders risikobehaftet sind (in der Unterlippenmitte, stabförmige Piercings, Zungenpiercings, Verwendung von Stainless Steel).

Was sind die häufigsten seltenen Erkrankungen mit dentaler oder parodontaler Beteiligung, die Sie sehen?

KAPFERERSEEBACHER: Das sind wohl die Amelogenesis imperfecta, die als Teil eines Syndroms oder auch isoliert auftreten kann, und Nichtanlagen von Zähnen. Letztere können Zeichen einer ektodermalen Dysplasie sein und treten dann zusammen mit Haut- und Haarveränderungen auf. Schwere Parodontitiden im Kindesoder Jugendalter sind auch darauf verdächtig, dass es sich um ein Syndrom handelt. Es gibt übrigens auch Syndrome, wo die Zähne aufgrund des Mangels an Wurzelzement, nicht wegen Parodontitis ausfallen.

Sie beschäftigen sich schon länger mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom. Was gibt es hier Neues?

KAPFERER-SEEBACHER: Eigentlich gibt es 14 verschiedene Ehlers-Danlos-Syndrome. Eines davon ist das parodontale Ehlers-Danlos-Syndrom. Es manifestiert sich als schwere Parodontitis im Jugendalter, mit einer auffällig dünnen Mundschleimhaut, weil die Gingiva fehlt, und persistierenden Hämatomen an den Schienbeinen, die aber auch fehlen können. Viele denken, dass die Forschung mit seltenen Erkrankungen nur wenigen Menschen zu Gute kommt, aber tatsächlich ist es so, dass wir durch seltene Erkrankungen sehr viel von der allgemeinen Entwicklung der Gewebe verstehen, durch das parodontale EDS zum Beispiel, wie Gingiva entsteht. Das finde ich faszinierend.

Gibt es abschließend noch einen Punkt, der Ihnen am Herzen liegt?

KAPFERER-SEEBACHER: Ja, ich möchte erwähnen, was für ein tolles Team wir derzeit an der Zahnklinik in Innsbruck haben. Und ich freue mich, dass wir motivierte und forschungsinteressierte MitarbeiterInnen haben, so etwa Frau Dr. Schnabl, die kürzlich ihre Habilitation eingereicht hat.

Herzlichen Dank für das Interview!
Priv.-Doz. Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalis
peter.wallner4@gmail.com

Univ.-Prof. Dr. Ines Kapferer-Seebacher