Hygiene in der Praxis - Rückblick, Status, Vorschau

Seit knapp 40 Jahren beschäftigt sich Prof. Dr. Franz F. Reinthaler, Diagnostik- und Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der Med. Universität Graz, mit dem Thema „Hygiene in Zahnarztpraxen“. Zeit also für ein resümierendes Interview.

Was hat sich im Bereich der Hygiene in den letzten Jahrzehnten verändert?

REINTHALER: In den Praxen gab es zahlreiche Änderungen im Hinblick auf die Aufbereitung von Medizinprodukten, welche zu einem verstärkten Einsatz von maschinellen Verfahren im Vergleich zu den davor verwendeten und sehr fehleranfälligen manuellen Aufbereitungsverfahren führten. Dadurch konnte eine wesentliche Verbesserung und auch Erleichterung in der Qualitätssicherung erreicht werden. Die Akzeptanz für die Anwendung von Personalschutzmaßnahmen hat sich auch deutlich verbessert und durch die „Coronakrise“ einen neuen Schub bekommen. Einmalhandschuhe, deren Qualität sich ja verbessert hat, finden heute nahezu routinemäßige in den Zahnarztpraxen Anwendung.
Signifikante Verbesserungen gab es auch in der Ausbildung des zahnärztlichen Personals. Ich habe mit ersten Vorlesungen Mitte der 1980er- Jahre begonnen, damals waren für angehende Zahnärzte nur sehr wenige Vorlesungseinheiten (VE) für Hygiene vorgesehen. Dies änderte sich mit den neuen Lehrplänen, bei denen ich als Modulkoordinator auch die Wünsche der Hygieniker einbringen konnte: 1999 gab es im Diplomstudium bereits 30 VE, und im aktuellen Lehrplan halten wir bei über 80 VE, in welchen wir auf die Grundlagen der Hygiene und Mikrobiologie, Infektionen (auch im zahnmedizinischen Bereich) und alle Aspekte der Praxishygiene inkl. Personalschutz eingehen können.

Was sind die größten Herausforderungen für Zahnärzte und -ärztinnen?

REINTHALER: Nach wie vor ist die Aufbereitung von Übertragungsinstrumenten in der Praxis ein großes Problem. Einerseits sollte nach jedem Patienten ein Wechsel erfolgen und andererseits kann eine sichere (validierbare) Desinfektion bzw. Sterilisation nur maschinell erfolgen. Das kann hohe Kosten verursachen, da es noch nicht allzu viele Anbieter für geeignete Verfahren gibt.
Ein großes Problem ist auch, dass es keine systematische Erfassung von in Zahnarztpraxen infizierten Patienten oder zahnärztlichem Personal gibt (wobei der Prozentsatz beim Personal sicher höher ist). Zu Beginn der 1980er-Jahre waren bereits nach fünf Jahren Berufstätigkeit ca. 15% der Zahnärzte und -ärztinnen HBV-infiziert bzw. konnten spezielle Antikörper nachgewiesen werden, und nach 45 Berufsjahren bereits ca. 70%! Diese Situation hat sich natürlich auch aufgrund der Impfung stark verbessert. Allerdings haben in den letzten Jahren in der Bevölkerung die Infektionen mit HCV jene mit HBV überholt, und in Studien konnte gezeigt werden, dass die Seroprävalenz bei chirurgisch tätigen Zahnärzten signifikant höher ist als beim übrigen medizinischen Personal. Eine dringende Empfehlung wäre die Umsetzung von weiteren prospektiven Studien zu Risiken von Infektionen mit ausgewählten, häufigen und/oder besonders gefährlichen Erregern.

Wie lauten Ihre wichtigsten Hygiene-Empfehlungen für Zahnärzte und Assistentinnen?

REINTHALER: Maßnahmen am Patienten: sorgfältige Anamnese, ev. orale Antisepsis. Maßnahmen des Behandlungsteams: Händehygiene, Schutz vor Kontamination (Handschuhe, Mund-Nasen-Augenschutz, Schutzkleidung), Impfungen. Technische Maßnahmen: maschinelle vor manueller Aufbereitung, Qualitätssicherung.

Was sind die häufigsten Fragen, die Ihnen von Zahnärzten im Rahmen der COVID-19-Pandemie gestellt wurden?

REINTHALER: Zu Beginn der Pandemie standen Fragen des Personalschutzes bzw. zusätzlicher Maßnahmen im Vordergrund. Dabei konnte darauf verwiesen werden, dass die bisher empfohlenen Hygienemaßnahmen ausreichend sind und bei Corona-positiv getesteten Patienten zusätzlich organisatorische Maßnahmen empfohlen werden.
Des Weiteren wurden auch öfters die bei den zahnärztlichen Tätigkeiten entstehenden Spraynebel und Aerosole (durch Wasserkühlung hochtouriger Hand- und Winkelstücke, maschineller Scaler sowie durch den Wassermantel von Pulver-Wasser-Strahlgeräten) angesprochen. Sowohl Spraynebel als auch Aerosole können Infektionserreger beinhalten (Keime aus dem Mund des Patienten und aus dem Wasser der Dentaleinheit). Eine Minimierung dieses Infektionsrisikos ist vor allem durch die Behandlung mit ständigem Absaugen (Hochleistungsabsauganalgen) zu erreichen, jedoch ist gerade hier ein gut angepasster Mund-Nasen-Augenschutz (ev. Visier) unerlässlich. Ergänzend kann die Keimlast im Mund durch ein ca. einminütiges Spülen mit einer antiseptischen Lösung verringert werden.

Was halten Sie von Luftreinigungsgeräten für Praxen?

REINTHALER: Kurzzeitiges Stoßlüften wäre wesentlich effektiver als die derzeit angebotenen sogenannten Luftreinigungsgeräte. Besonders wenn diese im Umluftbetrieb arbeiten, ist deren Wirksamkeit nicht sicher. Darüber hinaus schützen sie nicht vor den angeführten Aerosolen. Geräte mit bioziden Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab. Die ÖGHMP hat es so formuliert: Die zum Zweck einer Raumdesinfektion eingesetzten Chemikalien sind mit Gesundheitsrisiken verbunden. Eine unnötige „Chemisierung“ der Atemluft ist, nicht nur aus medizinischen Gründen, abzulehnen!

Welche Entwicklungen im Bereich der Hygiene in Praxen erwarten Sie in Zukunft?

REINTHALER: Den verstärkten Einsatz von maschinellen Aufbereitungsverfahren und eine Kostenreduktion bei der Anschaffung von Geräten durch vermehrte Hersteller-Konkurrenz.

Herzlichen Dank für das Interview!

Priv.-Doz.
Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Prof. Dr. Franz F. Reinthaler