Epilepsie und Mundgesundheit - Krankheit und Medikation gefährden orale Gewebe

Epilepsie in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen ist die häufigste chronische neurologische Erkrankung. Weltweit beträgt die Inzidenz bis zu 3,4% der Bevölkerung, wobei Entwicklungsländer deutlich mehr betroffen sind.

40% der Epilepsie-Fälle treten im Kindes- und Jugendalter auf. Die Ursachen sind vielfältig. Sie umfassen perinatale Schäden mit Sauerstoffunterversorgung während der Geb-rt, Schädel-Hirn-Traumata, Tumoren, Fehlbildungen des Gehirnparenchyms oder der versorgenden Gefäße sowie virale (HSV, Masern, HCV, FSME) und bakterielle (Borrellien, Meningokokken) Infektionen. Im höheren Lebensalter kommt eine vaskuläre Enzephalopathie durch arteriosklerotische Gefäßverengung als möglicher Auslöser hinzu. Nach der Lokalisation und dem Ausmaß der Manifestationen unterscheidet man zwischen fokalen und generalisierten Anfällen. Das Spektrum reicht von keinen, oder nur minimalen Bewusstseinsstörungen über Absencen bis zu schweren tonisch-klonischen Krämpfen, letztere unter dem Begriff Grand Mal bekannt.

Gefahr oraler Traumata durch Krampfanfälle

Epileptische Erkrankungen und deren notwendige medikamentöse Behandlung haben erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Organismus und nicht zuletzt auch auf die orale Gesundheit. So kommt es, besonders bei schlecht einstellbaren Epilepsien, im Zuge der Krampfanfälle zu Traumata an Zähnen und oralem Weichgewebe. Dazu gehören Defekte und Brüche an den maxillären und mandibulären Incisivi sowie Destruktion des parodontalen Ligaments und Verletzungen am temporomandibulären Gelenk. Bissverletzungen an Zunge, Lippen und Wangeninnenseite heilen auf Grund diverser Nebenwirkungen von Antiepileptika schlechter und bilden damit Nährböden für bakterielle und fungale Besiedelung. Untersuchungen haben gezeigt, dass orale Komplikationen mit der Intensität und Frequenz der Krampfanfälle stark positiv korrelieren.

Erhöhtes Risiko für Karies und Parodontitis

Epileptiker zeigen im Vergleich zu Gesunden höhere Plaquescores, vermehrte Blutungsneigung und damit auch eine verstärkte Tendenz zu parodontalen Entzündungen und zur Karies. Die Ursachen dafür ergeben sich zum Teil aus der Grunderkrankung, da schwere Formen manchmal mit Einschränkungen der motorischen und kognitiven Fähigkeiten einhergehen und damit eine ausreichende individuelle Mundhygiene nicht durchgeführt werden kann. Nicht medikamentös beherrschbare Anfälle stellen zudem eine große Belastung für die Betroffenen und die pflegenden Angehörigen dar, sodass die Erhaltung der Mundgesundheit oft über lange Zeiträume keine Priorität hat. Die an sich schon problematische Situation wird zusätzlich durch die Nebenwirkungen der erforderlichen Antikonvulsiva verschärft. Je nach Art und Schwere der Erkrankung kommen unterschiedliche Substanzgruppen zum Einsatz. An erster Stelle steht hier Diphenylhydantoin, aber auch für Valproinsäure, Phenobarbital und Vigabatrin sind entsprechende negative Einflüsse auf Schleimhaut und Gingiva bekannt. Für Phenytoin und Zonisamide wird auch eine mögliche Alterierung der Dentinformation und der Knochendichte der Mandibula diskutiert. Die Langzeitmedikation mittels zuckerbasierten Arzneimitteln trägt neben anderen Faktoren zu einer vermehrten Kariesneigung bei.

Nicht nur Phenytoin verursacht Gingivahyperplasien

Phenytoin ist der zweifelsfrei am besten untersuchte Wirkstoff, da seine dominierende Nebenwirkung, die Gingivahyperplasie schon seit der Erstbeschreibung durch Kimball 1939 bekannt ist. Allerdings kann eine Hypertrophie des Zahnfleisches in geringerem Maße auch als Nebenwirkung anderer Antiepileptika auftreten. Dabei kommt es zu einer überschießenden Proliferation des gingivalen Bindegewebes mit unkontrollierter Fibroblasten- und Kollagenneubildung sowie zu einer Vermehrung der extrazellulären Matrix. Die Wucherungen beginnen an den Interdentalpapillen und können im Extremfall zu einer nahezu vollständigen Überwachsung der Zahnkronen führen. In den Pseudo-Zahnfleischtaschen kommt es zu vermehrter Plaqueretention mit der Konsequenz rezidivierender Entzündungen. Die zusätzliche medikamentös bedingte Xerostomie tut ein Übriges. Die Gingiva wird durch Austrocknung vulnerabler, die Pufferkapazität des Speichels ist vermindert und plaquekontrollierende Speichelfaktoren wie IgA fehlen. Damit werden Genese und Progression von Karies und Parodontitis vorangetrieben. Für die Entstehung der medikamentös verursachten Hyerplasie kommen unterschiedliche Faktoren in Frage. Einige Wirkstoffe haben direkte Effekte auf bestimmte Subtypen von Fibroblasten. Diese sogenannten „Responder“ bilden dann nur inaktive Formen des Enzyms Kollagenase, wodurch das angehäufte Kollagen im Bindegewebe nicht abgebaut werden kann. Pheytoin alteriert zusätzlich den Kalziuminflux, was wiederum die zelulläre Aufnahme von Folsäure behindert und in der Folge zu einer verringerten Produktion von Kollagenase-aktiviernden Enzymen führt. Weiters kommt es durch ein Ungleichgewicht zwischen Metalloproteinasen und deren Inhibitoren zu einer starken Anreicherung von extrazellulärer Matrix und zu Störungen der Zytokininteraktion. Vermehrte Wachstumsfaktoren erhöhen die mitotische Tätigkeit im hyperplastischen Gewebe.

Genetische Disposition und Plaque als Triggerfaktoren

Doch nicht alle Patienten reagieren auf die in Frage kommenden Wirkstoffe mit gleicher Intensität. Offensichtlich spielen genetische Faktoren, welche eine Heterogenität der gingivalen Fibroblasten und damit ein unterschiedliches Ansprechen auf proliferative Reize verursachen, eine zusätzliche Rolle. Die Schwere der Hyperplasie steht in Zusammenhang mit Dosis und Dauer der Therapie. So beginnen Zahnfleischwucherungen frühestens nach einem, häufiger nach drei Monaten der Wirkstoffgabe. Der Blutspiegel des Medikaments korreliert mit seiner Anreicherung in Saliva und Sulcusfluid. Von entscheidender Bedeutung ist die plaqueinduzierte Verstärkung der Hyperplasie. Durch den inflamma-torischen Reiz von Bakterien und Pilzen kommt es zu Ödemen und Läsionen von Epithel und Bindegewebe. Plaquereduktion durch intensivierte professionelle Mundhygiene und bei Bedarf gezielte antibiotische Begleittherapie können das Ausmaß der Hyperplasie hintanhalten. Zusätzlich sollen die betroffenen Patienten zu einer optimierten persönlichen Mundhygiene motiviert werden. Bei beginnender Entzündung können antiseptische Spülungen mit 0,2% Chlorhexidindigluconat zum Einsatz gelangen. Auch topische Anwendung von Folsäure wird empfohlen. Bei massiven Gingivawucherungen wäre ein Wechsel der Medikation oder zumindest eine Dosis-anpassung aus zahnärztlicher Sicht wünschenswert. Hier empfiehlt sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem behandelnden Neurologen, jedoch sind derartige Umstellungen leider in den meisten Fällen aus medizinischen Gründen nicht durchführbar. Die ultima ratio besteht in einer chirurgischen Intervention. Hierbei kann durch eine Gingivektomie oder eine parodontale Flap-Operation überschüssiges Gewebe entfernt werden. Häufig kommen hier auch Carbondioxid-Laser zum Einsatz, da sie zu einer geringeren Blutung führen und es damit zu einer schnelleren postoperativen Haemostase kommt. Leider sind die Hyperplasien rekurrierend. Bei guter Mundhygiene und Kontrolle sind aber durchaus Erfolge von bis zu 12 Monaten zu erzielen.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at